Mit dem traditionellen Singspiel wecken die Kinderchöre der Immanuelkirche Vorfreude auf das große Fest

Wedel. „Bei ‚Davids Sohn’ müsst ihr zupacken, und beim ‚Hosianna’ die Mundhöhle weit aufziehen.“ Wenn Susanne Krau Sätze wie diese äußert, sind das keine Tipps für ein spannendes Abenteuerspiel. Sondern Regieanweisungen für richtig sauber gesungene Weihnachtslieder. Und die 15 Fünft- und Sechstklässler, die sich an diesem Novemberabend vor ihr auf der engen Orgelempore der Immanuelkirche Wedel drängen, sind ganz Ohr. Schließlich sind sie Könner. Die meisten von ihnen haben auch schon die Kinderkantorei für die Sieben- bis Zehnjährigen durchlaufen. Diese zehn Mädchen und fünf Jungen bilden die Kurrende der Evangelischen Singschule, die Kirchenmusikerin Krau bei ihrem Amtsantritt in Wedel vor zehn Jahren ins Leben gerufen hat.

Wie viel Professionalität und Herzblut die Kantorin in ihre Arbeit steckt, das wird schon in den ersten Minuten dieser Probe deutlich. Susanne Krau lebt die Musik, arbeitet auf dem kaum hüftbreiten Areal zwischen ihrem E-Piano und der hinter ihrem Rücken steil abfallenden Balustrade der Orgelempore mit jeder Faser ihres Körpers. Eine Hand greift die Tasten, die andere zeichnet Tonhöhen in die Kirchenluft, macht die Melodielinien für die Kinder auch optisch sichtbar. Sie gibt Einsätze, singt mit, korrigiert Details: „Das ‚Be-ben’ müsst ihr wie auf einer Linie singen. Und die Konsonanten sehr deutlich, sonst versteht das Publikum den Text nicht.“ Das hilft. Beim zweiten Durchgang des poppigen „Im Himmel, ja, da ist was los“ gelingen den Kindern nicht nur strahlend schöne Harmonien, sondern man begreift auch den Inhalt.

Das Lied steht am Anfang des Singspiels „Wenn Engel streiten“, das die Chöre der Evangelischen Singschule Wedel am Sonnabend, 30. November, von 17 Uhr an in der Immanuelkirche aufführen werden. Den Klavierpart übernimmt Alexander Kroll. Der Eintritt ist frei.

Das Offene Weihnachtsliedersingen und ein Jahr für Jahr wechselndes Singspiel sind Klassiker, den die Singschüler traditionell während des Weihnachtsmarkts am Roland, jeweils am Vorabend des Ersten Advents zeigen. Jetzt ist alles bereit. Die roten Wollumhänge der Kinder sind gelüftet. Und extra für dieses Stück hat Jutta Bergfleth, Mutter eines Singschülers, acht Handpuppen gefilzt, die von Erwachsenen gespielt werden, während ihre Kinder singen. Maria, Joseph, Wirt und Wirtin, und natürlich die miteinander verkrachten Himmelsboten.

Kein Jesuskind? Susanne Krau schüttelt den Kopf: „Nein, das Jesuskind erscheint erst zu Weihnachten, nicht im Advent. Da setzen wir klare Grenzen.“ Deshalb sei im Singspiel nur der Stall zu sehen und Marias Wiegenlied zu hören. Und deshalb stehe zwar „Oh, Tannenbaum“ auf dem Programm des Weihnachtsliedersingens für alle, aber eben weder „Stille Nacht“ noch „Oh du fröhliche“. „Das muss einfach an Heiligabend sein.“

Im Stück aus der Feder von Ralf Grössler streiten sich die Engel darum, wer die frohe Botschaft von der Geburt Jesu verkünden darf. Der größte? Der schönste? Der selbst ernannte Favorit Gottes? Erst als der kleine Jesus seinen ersten Schrei längst getan hat, einigen sie sich schließlich. „Das bietet auch inhaltlich Gesprächsstoff für die Kinder, das haben wir im Chor thematisiert.“

Susanne Krau möchte mit dem Singspiel ein Zeichen der Ruhe im Vorweihnachtsrummel setzen. „Weihnachten ist nicht nur Einkaufen. Wir wollen zum Nachdenken anregen, aber ohne den erhobenen Zeigefinger.“

Das Singspiel markiert einen der beiden Jahreshöhepunkte in der Arbeit mit den etwa 40 Kindern und Jugendlichen der Singschule. Der andere ist das Musical – ebenfalls jedes Jahr frisch –, das kurz vor den Sommerferien auf dem Programm steht.

Als Susanne Krau 2003 mit dem ersten Musical „David und Jonathan“ die Singschule ins Leben rief, war die Nachfrage groß. „Wir wuchsen auf Schlag von zehn auf 90 Kinder.“ In ihren besten Zeiten umfasste die Institution 100 Sänger. Heute, sagt sie, wäre das Experiment schief gegangen. Die Ganztagsschule und die vielen konkurrierenden, vor allem sportlichen Angebote in Wedel sieht sie als Hauptgründe dafür, dass Nachwuchs für die Singschule knapp geworden ist.

In der Singschule lernen die Kinder mit Spaß, Abwechslung und Anspruch

Die Evangelische Singschule, die nach dem Konzept des Braunschweiger Domkantors Gerd-Peter Münden arbeitet, unterscheidet sich von konventionellen Nachwuchsensembles vor allem durch ihre feine altersmäßige Differenzierung. Im Idealfall singen jeweils nur zwei Jahrgänge gemeinsam. So können die Chorleiter viel individueller und altersgemäßer auf die Kinder eingehen als wenn Erst- und Viertklässler gemeinsam proben.

„Mein Ziel ist es, die Kinder so auszubilden, dass sie später die traditionelle, anspruchsvolle Kirchenmusik singen können“, sagt Susanne Krau. Und zwar mit Spaß, handwerklichem Anspruch und viel Abwechslung. „Ich möchte ihnen zeigen, dass ein Chor etwas Tolles ist und dass Singen einfach zum Menschen gehört.“