Uwe Schinz aus Heist geht bei Extremläufen regelmäßig an die Grenzen seiner körperlichen Leistungs- und Leidensfähigkeit

Heist. Er läuft und läuft und läuft. Was einst weltweit bekannter Werbeslogan für den legendären VW Käfer war, gilt auch für Ausdauersportler Uwe Schinz aus Heist. Immer noch. Während nämlich Volkswagens Dauer(b)renner im Jahr 2003 zum Auslaufmodell gemacht wurde, ist für den Kilometerfresser auf zwei Beinen noch lange nicht Schluss. Kaum, dass die Erinnerungsfotos vom Grand-Canyon-Lauf in den Vereinigten Staaten aus dem September einsortiert sind, plant der 61 Jahre alte Schinz die nächsten Extrem-Läufe. So will er im kommenden Jahr unbedingt den „Rheinsteig-Lauf“ zwischen Wiesbaden und Bonn „finishen“. Entlang des Rheins gilt es, bergauf und bergab durch die Weinberge; 320 Kilometer und fast 12.000 Höhenmeter zu bewältigen. Der „Rheinsteig-Lauf“ ist Deutschlands längster Nonstop-Ultratrail-Lauf. „Im vorigen Jahr habe ich mir in der ersten Nacht bei einem Sturz die Hand gebrochen. Nach 107 Kilometern ging es nicht mehr“, erinnert sich Schinz.

Dass er aus einem Lauf aussteigt und aufgibt, ist die Seltenheit. Immer wieder ist der Heistmer in den vergangenen Jahren weit über die Schmerzgrenze hinausgegangen und hat seine Grenzen körperlicher Leistungs- und Leidensfähigkeit neu ausgetestet. 2011 stürzte er beim 100-Kilometer-Zugspitz-Lauf bei Kilometer 90 im steilen Gefälle dreimal schwer – und quälte sich irgendwie ins Ziel. Beim Marathon über den zugefrorenen Baikalsee in Russland trotzte er auf spiegelglattem Geläuf dem eisigen Wind bis er praktisch bewegungsunfähig war, bis aufs Blut aufgescheuerte Füße sind für Schinz Wettkampfroutine. „Die Verletzungen überspielt man. Im normalen Leben würde man das nicht aushalten. Beim Lauf aber ist ab einem bestimmten Punkt alles adrenalingesteuert.“

Uwe Schinz, der als EDV-Service-Techniker bei einem großen Konzern arbeitet, ist ein Getriebener. Der Extrem-Sportler aus Heist ist verrückt, wie er selbst sagt, laufverrückt. Getrieben deshalb, weil das Laufen, das längst zu großen Teilen sein Leben bestimmt, Schmerztherapie für ihn ist. Angefangen hat er im verhältnismäßig hohen Alter von 49, und zwar während einer Kur. 25 Jahre lang hatte sich Schinz zuvor mit erheblichen Bandscheibenproblemen herum geplagt.

Bandscheibenprobleme brachten Schinz zum Ausdauersport

„Laufen Sie, dann brauchen Sie mich bald nicht mehr“, riet ihm ein Arzt während der Kur. „Also bin ich täglich gerannt, zuerst etwa sechs Kilometer im alten Trainingsanzug. Und plötzlich war ich für eine Weile schmerzfrei“, erinnert sich Schinz. Wieder zurück im Alltag, blieb der Heistmer dabei. „Zu Anfang lief ich jeweils sechs bis zehn Kilometer weit und war hinterher für zwei Tage meine Rückenschmerzen los.“ Der Außendienstler, der damals pro Jahr bis zu 70.000 Kilometer im Firmenwagen zurücklegte, lief sich die Schmerzen aus dem Körper. „Manchmal bin ich spätabends gegen 23 Uhr von der Arbeit gekommen. Dann gleich rein in die Laufschuhe und los ging es“, so Schinz.

Nach einem halben Jahr Training schloss sich der damals 50-Jährige dem Lauftreff Haseldorf an. Und nach einem Dreivierteljahr Ausdauertraining schaffte er seinen ersten Marathonlauf. „Das war ein großes Erfolgserlebnis. Und ich hatte keine Schmerzen“, sagt Schinz, „die Zeit weiß ich gar nicht mehr. Es waren um die fünf Stunden. Ich habe im Ziel geheult wie ein Schlosshund.“

Schinz lief weiter, musste weiterlaufen. Er absolvierte zahlreiche Halbmarathons und Läufe über die volle Marathon-Distanz von 42,1 Kilometern. Es ging buchstäblich immer weiter. In Biel in der Schweiz stellte sich Schinz als Mittfünfziger seinem ersten 100 Kilometer-Lauf. „Bei Kilometer 56 musste ich wegen starker Fußschmerzen aufgeben.“ Im Jahr danach, er war inzwischen 55 Jahre alt, trat Schinz wieder in Biel an – und finishte in einer Zeit von 10:49 Stunden. Die ganz langen Strecken haben für ihn längst den Schrecken verloren. „Ein schneller Marathonlauf ist für mich härter als ein 100-Kilometer-Lauf. Wie bei den Ultras über 60, 70 Kilometer fragt dich niemand nach der Zeit“, so Schinz.

Natürlich aber lief er auch den einen oder anderen klassischen Marathon, schraubte seine Bestzeit auf 3:19 Stunden. In normalen Wochen beträgt sein Trainingsumfang 80 bis 100 Kilometer. „Einen richtigen Trainingsplan habe ich nicht. Ich laufe so aus dem Bauch heraus“, sagt der Ausdauersportler. Zur Vorbereitung auf Wettkämpfe steigert er Umfang und Intensität des Trainings. „Dann laufe ich zum Beispiel an drei Tagen hintereinander von hier über Wedel und den Elbhöhenwanderweg bis Teufelsbrück und zurück. Das sind rund 25 Kilometer und ich mache dabei gut 500 Höhenmeter“, sagt der 61-Jährige. Das gehe alles nur, weil seine Frau Verständnis habe und ihn unterstütze, betont Schinz, „bei meiner Frau muss ich mich bedanken.“

Stumpf seine Trainingskilometer abzuspulen, das ist nicht Uwe Schinz‘ Ding. Der Mann, der grundsätzlich ohne Musik im Ohr läuft, sagt, er nehme sich die Zeit und Muße, in die Natur zu gucken und zu lauschen. „Ich spreche auch einmal Leute im Vorbeilaufen an“, sagt der Heistmer. Ganz viel Natur, aber eher wenig Gesprächspartner am Wegesrand wurden dem Heistmer beim Grand-Canyon-Lauf Ende September im Südwesten der USA geboten.

Beim Grand-Canyon-Lauf ging es sogar durch dichtes Kakteengestrüpp

Der sogenannte Selbstversorgerlauf wurde zum zweiten Mal ausgetragen. Auf den sechs Etappen über eine Gesamtstrecke von 273 Kilometern mussten die Läufer ihre komplette Ausrüstung für sechs Tage und Nächte inklusive Essen, Erste-Hilfe-Ausrüstung, Schlafsack, Landkarten und Lampen mit sich tragen, einzig Wasser wurde an Versorgungsstationen gestellt. „Jeder der 114 Teilnehmer musste 14.000 Kalorien für sieben Tage bei sich haben“, erklärt Schinz. Er trug ein spezielles Müsli zum Anmischen mit Warmwasser und eine Art Astronautennahrung mit sich.

Die Strecke führte durch die Wüste und größtenteils durch unberührte Wildnis. Die äußeren Bedingungen verlangten den Extremläufern alles ab. Tagsüber stieg die Temperatur auf bis zu 35 Grad an, nachts fiel die Quecksilbersäule unter Null. Es ging über Geröllfelder, Steilhänge, Sanddünen und durch dichtes Kakteengestrüpp. An einigen Stellen mussten die Teilnehmer Felsstürze mithilfe von Leitern überwinden. „Es gab eine 83-Kilometer-Etappe. Ich war abends gegen 23 Uhr im Ziel, habe dann zwischendurch gegessen und eineinhalb Stunden im Zelt geschlafen. Morgens um 6 Uhr, bei unter null Grad, ging es schon weiter“, berichtet Schinz. Auf der 273-Kilometer-Distanz mussten die Läufer mehr als 5500 Höhenmeter überwinden. Der höchste Punkt lag mehr als 2600 Meter über dem Meeresspiegel. „In dieser Höhe kommt man als Flachlandbewohner an seine Grenzen“, so der Heistmer. Nach 58 Stunden und 20 Minuten Laufzeit kam er ins Ziel. Der Schnellste, ein 37 Jahre alter Spanier, brauchte 31 Stunden und neun Minuten, der letzte der Finisher überquerte nach 79 Stunden die Ziellinie. Schinz war Zweitbester der Altersklasse 60 plus.

Schinz lief für sich – und die gute Sache. Er benutzte den Grand-Canyon-Lauf erstmals dazu, Geld für die Spendenaktion „Appen musiziert“ zu Gunsten schwerstkranker Kinder zu sammeln. Das will er in Zukunft regelmäßig tun. Was er auch sucht, sind Sponsoren in eigener Sache. Denn was kommende Lauf-Herausforderungen angeht, so ist „nur das Geld eine Bremse"“wie der 61-Jährige sagt. Pro Event, wie den Marathon des Sables durch die Sahara, veranschlagt der Extremsportler rund 4000 Euro. Ein Traum von ihm ist, am Lauf durch die Kalahari im Süden Afrikas teilzunehmen. „Das geht mitten durch den Busch, an Giraffen und Löwen vorbei.“ Sein größter Lauftraum: The Treck, ein 550-Kilometer-Rennen in zehn Etappen durch das australische Outback. Ach ja, quasi nebenher will Schinz in den kommenden Jahren noch einen Triathlon über die Iron-Man-Distanz schaffen. Weshalb er, außer Laufen, auch Schwimmen und Radfahren trainiert…

„Ich bin dankbar, dass ich gesund bin und all das machen kann“, sagt der Dauer(b)renner. Für den VW Käfer war nach 65 Jahren Schluss. Uwe Schinz indes hat sich fest vorgenommen: „Ich will meinen letzten Marathon mit 100 Jahren laufen.“