Aktion „Gewalt kommt nicht in die Tüte!“ zum zehnten Mal im Kreis Pinneberg. 2012 flohen in Schleswig-Holstein 1100 Frauen in ein Frauenhaus

Pinneberg . Ihr Mann kommt betrunken nach Hause. Er beschimpft sie als Hure. Ihre beiden Kinder schlafen zum Glück schon. Seit 13 Jahren sind sie zusammen. Das Verhältnis ist zerrüttet. Eigentlich sollte er schon vor Monaten ausziehen. Taumelnd baut er sich vor ihr auf, droht „Ich bringe dich um“. Die Ohrfeige sitzt. Es ist nicht der erste Schlag, den er austeilt. Die Frau geht zu Boden. Sie schafft es, sich in das Schlafzimmer zu retten, wo ihre Kinder schlafen. Sie schließt sich ein, will mit ihrem Handy die Polizei rufen. Ihre Hände zittern vor Angst. Sie schafft es nicht rechtzeitig, die Nummer zu wählen.

Der Mann bricht die Tür auf und entreißt ihr das Handy. „Du tust doch den Kindern nichts“, fleht sie. Sie sieht noch sein Grinsen, bevor er ihren Kopf in die Bettdecke drückt. Sie ringt nach Luft. Die fünfjährige Tochter ist wach geworden. Sie schreit: „Nein, Papa!“ Er lockert kurz den Griff und sie befreit sich. Irgendwie schafft sie es doch noch, die Polizei zu rufen. Als die Beamten endlich eintreffen, nehmen sie den Mann mit. „Der kommt hier nie, nie wieder rein“, flüstert sie.

Das Schicksal, das Traumaberaterin Ruth Stiasny-Seligmann vom Frauennetzwerk Pinneberg schildert, ist kein Einzelfall. Im Jahr 2012 gab es in Schleswig-Holstein 2563 polizeiliche Einsätze wegen häuslicher Gewalt, bei denen 434 Täter der gemeinsamen Wohnung verwiesen wurden. 11.300 Frauen suchten Hilfe bei den vom Land geförderten 23 Frauenberatungsstellen. Allein in der Frauenberatung in Pinneberg waren es in diesem Jahr mehr als 70.

„Viele Frauen zögern, bevor sie handeln und die Polizei rufen“, sagt Stiasny-Seligmann. Viele denken, es würde ihnen nur einmal passieren und geben dem Mann noch eine Chance. „Die letzte Chance sollte wirklich die letzte sein“, sagt Stiasny-Seligmann. Zwei Drittel aller Frauen, die häusliche Gewalt erleben, seien danach schwer bis lebensbedrohlich verletzt. Nicht nur körperliche Verletzungen zählen zu den Gewalttaten, auch seelische Gewalt oder Stalking.

Um das öffentliche Bewusstsein für Gewalt gegen Frauen zu stärken, veranstaltet das Frauennetzwerk Pinneberg in Kooperation mit anderen lokalen Bündnissen gegen Gewalt, den Gleichstellungsbeauftragten des Kreises und KIK, dem „Netzwerk bei häuslicher Gewalt“, vom 23. bis 29. November eine Aktionswoche mit dem Titel „Gewalt kommt nicht in die Tüte!“. Wichtige Partner dabei ist auch die Bäcker-Innung des Kreises. Kunden erhalten in diesem Zeitraum ihre Brötchen in einer besonderen Tüte. Darauf abgebildet ist unter anderem eine Telefonnummer, bei der Frauen, denen jegliche Art von Gewalt widerfährt, Hilfe erhalten. Die Hotline ist kostenlos und 24 Stunden zu erreichen. Auch für Familienangehörige und Freunde. Für Fremdsprachler gibt es Dolmetscher. Außer den Brötchen kommen Flyer in die Tüte mit Informationen, wo Frauen Hilfe finden können. Während der Aktionswoche finden eine Reihe von Veranstaltungen im Kreis statt (siehe Infokasten).

„So entsteht eine gute Mund zu Mund Propaganda. Das schafft Vertrauen“, sagt Stiasny-Seligmann. „Das führt zu dem, was wir unbedingt brauchen: die Ächtung von häuslicher Gewalt.“ Der Begriff ist irreführend, denn die Gewalt muss nicht immer im Haus stattfinden. Vielmehr ist es Gewalt, die vom Partner ausgeht. 70 Prozent der Übergriffe geschehen zu Hause. In einer Studie von 2004, in der bundesweit 10.000 Frauen befragt wurden, bestätigt jede dritte Frau, schon mindestens einmal diese Form von Gewalt erlebt zu haben.

Der Bedarf an Hilfeleistungen ist laut Stiasny-Seligmann höher als die Statistiken es erfassen. Die drei Frauenhäuser in Wedel, Pinneberg und Elmshorn sind belegt. Dazu kommt die steigende Wohnungsnot. Bei weiteren Angeboten von Anlaufstellen würde auch die Fallzahl steigen. „Das Angebot bestimmt die Nachfrage“, sagt sie.

Zwei Drittel aller Frauen, die häusliche Gewalt erleben, werden schwer bis lebensbedrohlich verletzt. Um die Opfer besser zu schützen, trat 2002 in Deutschland das Gewaltschutzgesetz in Kraft. Ein Mann darf die Wohnung der Frau nicht mehr betreten, wenn Gefahr von Gewaltanwendung herrscht.

Im Kreis Pinneberg wird in Fällen häuslicher Gewalt eine sogenannte Interventionskette durchgeführt. Wenn nach dem Übergriff die Polizei gerufen wird, kann diese den Täter für maximal zwei Wochen aus der Wohnung verweisen. Mit dem Einverständnis der Opfer werden die Frauenberatungsstellen benachrichtigt. Diese nehmen Kontakt mit den Frauen auf. Sie werden über ihre Rechte aufgeklärt und können die Möglichkeiten der Beratung wahrnehmen. Dann wird ein Antrag beim Familiengericht Pinneberg oder Elmshorn gestellt. Hier empfiehlt es sich, einen Anwalt einzuschalten. Der Richter erlässt im besten Fall sofort den Beschluss, dass die Frau bis zu sechs Monate in der Wohnung bleiben kann, der Mann darf sie nicht betreten. Inhalt des Beschlusses kann aber zum Beispiel auch sein, dass der Mann sich nicht dem Kindergarten der Kinder nähern darf.

Außer körperlichen hat häusliche Gewalt vor allem seelische Folgen. Die Frauen sind traumatisiert, haben Schlafprobleme, Flashbacks und Todesangst. Hier sind die Frauenberatungsstellen gefragt. „Wir stärken den Frauen den Rücken“, sagt Stiasny-Seligmann.