Für das Heimdrama „Von jetzt an kein Zurück“ mit Schauspieler Ben Becker dreht die Berliner Produktionsfirma Jost Hering Filme auch in Pinneberg

Pinneberg. Der Fürsorgebeamte sitzt an seinem Schreibtisch, eingerahmt von Karteikartenregister und Stempel, der oberste Knopf des frisch gestärkten Hemdes fest verschlossen. Ordnung muss sein. Schließlich ist die Angelegenheit eine ernste. Er muss den Vater dieser aufmüpfigen Rosemarie zu deren Betragen befragen. „Ist die Brille nicht ein bisschen zu viel des Guten?“, fragt Frank Amann. Der Beamte ist unsicher. Brille auf oder ab? Dann doch lieber erst einmal „oben ohne“. Der Kameramann blickt wieder kritisch durchs Objektiv. „An der Wand fehlt ein Bild, und der Aktenschrank muss weiter nach rechts“, sagt er.

Schon steht ein Crewmitglied mit Hammer und Nagel bereit. Bei den Dreharbeiten zum Kinofilm „Von jetzt an kein Zurück“ kommt es manchmal aufs Detail an. Produziert wird der Kinofilm vom Berliner Jost Hering, der auch den Fürsorgebeamten spielt. Seit einer Woche filmt das Team auf dem Gelände der ehemaligen Eggerstedt-Kaserne in Pinneberg. Die ehemaligen Unterkünfte der Luftwaffen-Rekruten eignen sich offenbar gut als Kulisse für ein Jungenheim und piefige Büroräume der 60er-Jahre.

Am Freitag beginnt der Tag für die fast 40 Crewmitglieder mit dem Morgengrauen. Schließlich hat das Team ein straffes Programm zu bewältigen. Wenn die Szenen im Kasten sind, muss das Equipment eingepackt werden. Es ist der letzte Drehtag in Pinneberg. Am nächsten Tag geht´s in Hamburg weiter. „Dann noch zwei Drehtage in Wien, und wir sind durch“, sagt Produktionsleiterin Caroline Kirberg.

Ein Monat Dreh liegt dann hinter dem Team um Jost Hering. Seit Herbst 1989 ist er selbstständiger Filmproduzent und hat seitdem etwa 50 Spiel- und Dokumentarfilme für das Fernseh- und Kinopublikum realisiert. Sein neuer Film spielt im Jahr 1967. Rosemarie, die sich selbst Ruby nennt, und Martin sind jung, lieben sich und proben den Aufstand. Sie fliegen von der Schule, die Eltern sind gewalttätig und schließlich führt ihr weg ins Heim.

Sie fahren auf nach Offenbach zu einem Jimi-Hendrix-Konzert. In Rückblenden erfährt der Zuschauer, dass dies mehr als nur ein Konzertbesuch ist. Martin (Anton Spieker) und Ruby (Victoria Schulz) sind auf der Flucht vor Eltern und Staat.

Ruby wagt es nicht, offen zu ihrer Liebe zu Martin zu stehen, denn für ihren Vater verkörpert Martin alles, wovon er seine Tochter fernhalten will. Martin ist rebellisch, langhaarig und hat „Flausen“ im Kopf. Martin träumt davon, Schriftsteller zu werden. Rubys Leidenschaft ist die Musik.

Der Traum ist schnell ausgeträumt. Ruby landet in einem geschlossenen katholischen Heim bei den „Barmherzigen Schwestern“ und Martin wird ins berüchtigte Erziehungsheim der Diakonie in Freistatt eingeliefert. Von nun an müssen sie ums geistige Überleben kämpfen – in einer Welt, die darauf abzielt, sie zu brechen. Zehn Jahre später, blickt Ruby zurück auf jene von Gewalt geprägten Jahre und zieht eine bittere Bilanz.

„Das Drama beschäftigt sich mit den Heimen der 60er-Jahre, in denen bekanntlich nicht die schönsten Dinge passierten“, sagt Aufnahmeleiter Fabian Gross. Vor einigen Jahren meldeten sich immer mehr ehemalige Heimkinder, die von Misshandlungen in kirchlichen Einrichtungen berichteten und ihre Resozialisierung und eine Entschuldigung forderten.

Die Berliner Produktion wird unter anderem von der Filmförderung Hamburg/Schleswig-Holstein mit 250.000 Euro aus öffentlichen Mitteln gefördert. Eine Vorgabe war deshalb, auch Kulissen in Hamburg und in Schleswig-Holstein auszuwählen.

Filmleute fühlen sich von Pinneberg als Kulisse offenbar angezogen. Bereits im Juni dieses Jahres hatte der NDR an der Unteren Dingstätte Szenen für den Kieler Tatort „Borowski und der Engel“ mit Axel Milberg in der Hauptrolle gedreht. In einer Folge der Kochdokumentation „Rosins Restaurants“ versuchte Sterne- und Fernsehkoch Frank Rosin im August das griechische Restaurant an der Dingstätte auf Vordermann zu bringen.

Sechs Jahre zuvor hatte sich Pinneberg zum mecklenburgischen Ort Pinnow gewandelt. Am Pinneberger Bahnhof wurden Szenen des Liebesfilms „Wenn Liebe doch so einfach wär“ mit Yvonne Catterfeld gedreht. Bereits 20 Jahre zuvor tauchte Marianne Faithfull – ehemaliges Supermodel und Ex-Freundin von Mick Jagger – in der Stadt auf. Im sogenannten Geisterhaus an der Mühlenstraße wurden Szenen des Films „When Pigs Fly“ gedreht.

Beim Dreh zu „Von jetzt an kein zurück“, der im Sommer 2014 in die Kinos kommen soll, war auch Ben Becker vor Ort. Er spielt Rubys Vater, einen unerbittlichen Tyrann, streng katholisch, vom Krieg und der Wiederaufbaumoral geprägt. In Pinneberg gab sich Becker für einen Schauspieler ungewohnt kamerascheu. Fotografieren lassen wollte er sich auf keinen Fall.