Schenefelder Ehepaar erfüllt sich einen Traum. Margot und Jörg Evers wandern rund 800 Kilometer auf dem Pilgerweg nach Santiago de Compostela

Schenefeld. Regen, steile Bergpfade und eine überfüllte Herberge: Nach drei Tagen hatte ihnen der Jakobsweg bereits einiges abverlangt. Von dem spanischen Städtchen St. Jean-Pied-de-Port am Fuß der Pyrenäen aus waren Margot und Jörg Evers in ihr mehr als vierwöchiges Pilgerabenteuer gestartet. Nach den ersten Etappen bei Nieselregen die Berge hinauf hatte sie der „Camino“, wie der Weg auf spanisch heißt, etwas Wichtiges gelehrt: Es lässt sich auch mit wenigen Dingen gut auskommen. Der Ballast musste also weg, er wurde einfach per Post nach Hause geschickt. Das Schenefelder Ehepaar trennte sich von Regenjacken, Socken, Isomatten und schickte insgesamt fünf Kilo in einem Paket gen Heimat.

Um so viel Gewicht erleichtert, ging es mit je zehn Kilo schweren Rucksäcken den Pilgerweg von der französischen Grenze 750 Kilometer bis zum Wallfahrtsort Santiago de Compostela und von dort aus – weil „man schneller war als gedacht“ – noch einmal weiter bis zum Meer, zum Kap Finisterre. Dort konnten sie endlich einmal die Beine baumeln lassen.

Seit vier Tagen sind Margot und Jörg Evers wieder zu Hause in Schenefeld. Sie wirken gelöst und entspannt. Eine typische Reisenachwirkung? „Nein, wir haben auf dem Jakobsweg gelernt, dass man glücklicher und gelassener leben kann“, sagt Jörg Evers. „Das versuchen wir uns so lange wie möglich zu erhalten.“ Seine Frau war die treibende Kraft hinter dem Plan.

Durch das Buch „Ich bin dann mal weg“ von Komiker Hape Kerkeling inspiriert, träumte sie schon seit Jahren von der Wanderung – dieselbe Tour entlang. „Ich wollte einfach mal mit wenig zurecht kommen, mich von A nach B bewegen und dabei einfach gehen müssen“, erklärt die selbstständig Tätige. „Doch die Kinder waren damals noch zu jung.“ Als ihr Mann das Pensionsalter ansteuerte und die 14 Jahre alte Tochter bei der 30-jährigen Schwester bleiben konnte, war der richtige Zeitpunkt gekommen.

Ursprünglich wollte sich die 48-Jährige allein auf den Weg machen. Obwohl ihr Mann das Projekt skeptisch beäugte und den Nächten in den überfüllten Herbergen mit geringen Standards sorgenvoll entgegensah, ging er mit. „Ich wollte sie nicht allein lassen, weil der Weg einen verändert und man diese Erfahrung dann nicht teilt“, so der 60-Jährige. Für ihn war es auch zugleich eine Wanderung in einen neuen Lebensabschnitt. Der ehemalige Kripobeamte nahm seinen Resturlaub und wanderte in seine Pension hinein. Bereut hat er es nicht. Ganz im Gegenteil. Sogar über die Herbergen verliert er ein paar gute Worte. Und das, obwohl er sich mit bis 140 Menschen eine Herberge teilen musste, was viel Gelassenheit und Anpassungsfähigkeit verlangt. Und trennen mussten sie sich auf dem Weg auch nicht. „Wir hatten von Paaren gehört, die zusammen hingefahren und als Singles wiedergekommen sind. Deshalb haben wir uns überlegt, wenn es nicht funktioniert, dass jeder sein Tempo geht und notfalls die Strecke allein wandert“, so Jörg Evers.

Nötig war das nicht. Nur einmal gab es etwas Krach, sie gingen getrennt weiter. „Aber nach 20 Minuten sind wir schon wieder zusammen unterwegs gewesen“, erinnert sich Margot Evers. Täglich machten die beiden Schenefelder etwa 24 Kilometer. Die weiteste Etappe waren 38,5 und nötig, weil sich in den überfüllten Herbergen kein Platz fand. Denn gebucht hatten die zwei zuvor nichts. Ganz im Gegenteil zu mancher Reisegruppe. Besonders auf den letzten 100 Kilometern nach Santiago de Compostela - die Pflicht sind, wenn man die Pilgerurkunde zum Schluss in Händen halten will - tauchten viele solcher Pilgertouristen auf. Die ließen sich ihr Gepäck auch per Bus zur jeweiligen Herberge fahren und besetzten dort bereits die Betten. „Das war anstrengend. Man wird dadurch so herausgerissen aus dem sonst so wunderschönen Weg“, sagt die Schenefelderin.

Denn den genossen sie besonders. Entlang von Weinbergen und Feldern wanderten die beiden täglich etwa acht Stunden. Zwischen 7 und 8 Uhr packte das Paar bei Dunkelheit die Sachen und suchte mittels Kopftaschenlampe die gelben Markierungen, die den Pilgern den Weg zeigen. Verpasst man mal eine Abzweigung, dann helfen die Spanier wieder auf den richtigen Pfad, wie die Evers’ selbst feststellen konnten.

Während die zwei wanderten, ihren Gedanken nachhingen und die Landschaft genossen, lernten sie Weggefährten kennen, mit denen sie sich dann in Santiago de Compostela unter Tränen der Erleichterung in den Armen lagen. Unter den Pilgern waren vor allem junge Frauen und Paare im Alter von 50plus. Die Schenefelder begegneten vielen Koreanern, weil dort gerade ein Buch über den Weg erschienen ist, und zahlreichen Kanadiern, die der Film „The Way“ auf den Jakobsweg spülte.

Der christliche Glauben spielte für das Schenefelder Ehepaar keine Rolle

Aber auch Deutsche trafen die Evers’. Einer, der aus Sachsen gestartet war und eine Frau aus Gütersloh, die für ihre an Krebs erkrankte Mutter den Weg pilgerte. Für viele war der christliche Glauben ein Antrieb. Der spielte für das Ehepaar keine Rolle. Jörg Evers stellt klar: „Wir haben Gott nicht gesucht. Es kann sein, dass er uns begegnete, aber das weiß ich nicht.“ Und seine Frau ergänzt nachdenklich: „Vielleicht begegnen wir ihm auch später. Denn diese Pilgerreise wirkt ja noch in unseren Alltag nach.“