Osteoporose betrifft laut Dr. Matthias Bögershausen immer mehr Menschen

Kreis Pinneberg. Osteoporose ist eine Volkskrankheit. Laut Schätzungen des Kuratoriums Knochengesundheit in Deutschland sind etwa 7,8 Millionen Menschen, vorwiegend Frauen, vom Knochenschwund betroffen. Die Regio Kliniken beteiligen sich am Welt-Osteoporose-Tag, der am Sonntag, 20. Oktober, unter dem Motto „Wir machen uns stark“, stattfindet. Dr. Matthias Bögershausen, Chefarzt der Regio Rehazentren, erklärt die Krankheit.

Hamburger Abendblatt:

Herr Bögershausen, wie viele Menschen sind im Kreis Pinneberg von Osteoporose betroffen?

Das lässt sich schwer sagen. Wir gehen davon aus, dass auf Basis der statistischen Zahlen bei acht bis zehn Prozent der Bevölkerung Osteoporose eine Rolle spielt. Im Kreis also bis zu 30.000 Bürger.

Viele Bürger über 50 Jahre sind betroffen. Warum leiden vor allem Frauen eher an Knochenschwund als Männer?

Bögershausen:

Das hat sicherlich zwei Ursachen. Wir entwickeln im Laufe unseres Lebens eine sogenannte maximale Knochenmasse. Die Entwicklung der Knochen ist mit 25 bis 30 Jahren beendet. Die maximale Knochenmasse ist bei Männern evolutionsbedingt 20 Prozent höher als bei Frauen. Zudem unterliegt der Knochen einem normalen Alterungsprozess. Er baut sich ab und erreicht irgendwann, wenn man nichts tut, einen Punkt, wo er sehr schnell frakturiert. Man vermutet, dass auch hormonelle Aspekte eine Rolle spielen.

Sie meinen Wechseljahre bei Frauen?

Bögershausen:

Ja. Das Östrogen stellt per se einen knochenschützenden Faktor da. Wenn dessen Produktion zurückgeht, geht auch die Knochenqualität allmählich zurück.

Die Behandlung von Osteoporosefällen kostet das Gesundheitssystem etwa drei Milliarden Euro jährlich, bei steigender Tendenz. Was sollte jeder tun, um das Risiko einer Erkrankung zu minimieren?

Bögershausen:

Ich sage mal euphemistisch: Er soll bei uns am Sonntag vorbeikommen, dort erfährt er genau das. Wichtig sind drei Säulen. Der Muskel muss gut arbeiten. Ein guter Muskel bewirkt einen guten Knochen. Ein schönes Beispiel ist Boris Becker, als er in Wimbledon gewann und seine Arme zum Jubel emporreckte. Der eine Unterarm war viel dicker als der andere, hatte mehr Muskeln. Der muskulösere Arm hatte einen deutlich stärkeren Knochen, das war auf Röntgenbildern sichtbar. Es ist inzwischen wissenschaftlich bewiesen, dass ein gut trainierter Muskel für die Knochenqualität gut ist. Das zweite Standbein ist gute Ernährung, und das dritte Standbein ist die Sturzprophylaxe. Ich muss sicherstellen, dass ich eine gute Brille, dass ich die Wohnung gut beleuchtet, dass ich keine Stolperfallen habe.

Kann ein Mensch frühzeitig erkennen, ob er Osteoporose gefährdet ist?

Bögershausen:

Ja, es gibt dafür Risikofaktoren. Zum einen das Alter, zum anderen die genetischen Faktoren. Wenn die Eltern Osteoporose hatten, ist das Erkrankungsrisiko höher. Bei Frauen kommt eine kurze fruchtbare Phase dazu. Wer sehr spät seine Regel hatte und früh in die Wechseljahre kommt, also weniger als 20 Jahre seine fruchtbare Phase hatte, ist stärker gefährdet. Untergewicht, wie bei den heutigen Magermodels, ist ebenfalls ein erheblicher Faktor. Auch Rauchen schadet extrem. Nikotin ist der stärkste Knochenkiller.

Und woran erkennt ein Betroffener, dass er unter Osteoporose leidet?

Bögershausen:

Das erkennt man erst einmal gar nicht. Osteoporose tut weh. Wer aber im Alter deutlich kleiner wird, einen Buckel bekommt und wessen Hände nicht mehr auf Oberschenkel sondern Kniegelenkshöhe sind, der hat höchstwahrscheinlich Osteoporose. Bei manchen geht das so schnell, dass sie Falten am Rücken bekommen, die dem Bild eines Tannenbaums ähneln.

Werden vorbeugende Untersuchungen von den Kassen bezahlt?

Bögershausen:

Leider nicht. Eine Knochendichtemessung wird erst bezahlt, wenn ein Knochenbruch vorliegt, also wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist. Die Messung müsste prophylaktisch erfolgen, was nicht gemacht wird. Da haben wir ein Systemproblem.

Welche Einschränkungen im Alltag ergeben sich für die Patienten?

Bögershausen:

Zum einen sind da die Schmerzen. Die Körperstatik verändert sich aber auch, der Schwerpunkt verlagert sich nach vorne, und die Sturzgefahr steigt somit. Außerdem kann aufgrund schlechter Knochenqualität zum Beispiel ein Wirbel brechen, wenn ich einen Korb anhebe oder eine Rippe, wenn ich kräftig huste.

Wie sieht es mit Sport aus? Die Muskeln sollen ja möglichst gestärkt werden...

Bögershausen:

Man muss aufpassen, welchen Sport man betreibt. Es gibt Sportarten, die für unterstützende Maßnahmen, für Muskelaufbau hervorragend sind, wie Schwimmen oder Radfahren, auch Gleichgewichtsübungen sind gut. Wir bieten hierfür in unseren Rehazentren in Pinneberg und Schenefeld spezielle Sportgruppen an. Was ich nicht machen darf, sind Kampfsport- oder Ballsportarten wie Volleyball.

Gibt es bei Osteoporosepatienten auch psychische Folgen der Krankheit?

Bögershausen:

Ja klar. 25 Prozent der Betroffenen, die sich den Oberschenkelhals brechen, kommen nicht wieder auf die Beine, werden pflegebedürftig. 21 Prozent der Patienten mit Oberschenkelhalsfrakturen sterben im ersten Jahr. Das sind dramatische Zahlen.

Das Pflegesystem muss sich also auf solche Fälle vermehrt einstellen?

Bögershausen:

Richtig. Die Fälle mit Pflegebedarf werden zunehmen. Wir erwarten eine Verdreifachung des Auftretens von Osteoporose in den nächsten 30 Jahren. Wenn wir bedenken, dass zugleich die Bevölkerung schrumpft, dann kommt da eine Flutwelle an Herausforderungen auf uns zu.

Kann eine Osteoporose eigentlich zurückgebildet werden?

Bögershausen:

Ja, es gibt dort gute Erfolge. Eine Medikamententherapie dauert drei bis fünf Jahre. Die Qualität der Knochen wird dabei verbessert. Wenn Rauchen oder Untergewicht abgeschaltet werden, sind die Besserungschancen nicht schlecht. Eine vollständige Heilung gibt es aber nicht.