Der urige Bauernhof in Klein Nordende hat sich mit Kultur und Kunsthandwerk zum Publikumsmagneten gemausert

Klein Nordende. „Freiheit, Geborgenheit, Sicherheit – ich hatte hier einfach eine tolle Kindheit. Es war so, wie Astrid Lindgren es in ihren Kinderbüchern beschreibt“, sagt Helmut Hamke, 62. Wenn der Sozialpädagoge, Gründer und Sänger der Gruppe Speelwark, nicht an diesen Kindheitserinnerungen gehangen hätte, wäre der Kreis Pinneberg heute vermutlich um ein ganz besonderes Kulturzentrum vor den Toren Elmshorns ärmer.

So aber ließen Hamke und seine Frau Gisela, 60, den elterlichen Hof in Klein Nordende 1993 nicht wie geplant zu einem Mehrfamilienhaus umbauen, sondern machten daraus ihr ganz persönliches Zauberhaus, auf plattdeutsch „Töverhuus“. In diesem kulturellen Zentrum, das die Hamkes nach einem Speelwark-Lied benannt haben, pflegen sie seit 20 Jahren niederdeutsche Sprache und ländliche Lebensart.

Die plattdeutschen Lesungen mit Ohnsorg-Stars und Rundfunk-Größen sind regelmäßig ausverkauft. Die Konzerte mit Musical-Hits, Shantys, Jazz und Oldies locken ein treues Stammpublikum in den ehemaligen Kuhstall und auf das Kopfsteinpflaster des Hofplatzes. Das Elmshorner Standesamt bietet im historischen Ambiente Trauungen an, hier werden Goldene Hochzeiten, runde Geburtstage und Konfirmationen gefeiert. Ausstellungen zieren die gemauerten Wände, und die Volkshochschule veranstaltet hier Seminare.

Ganz besonders in den nächsten Wochen geht es rund: Unter dem Motto „Herbstflair im Töverhuus“ stellen am Sonntag, 20. Oktober, ausgewählte Kunsthandwerker von 10 bis 18 Uhr im Café und auf dem Hofplatz ihre Produkte aus. Am Dienstag, 22. Oktober, zeichnet der NDR-Hörfunk von 20 Uhr an eine plattdeutsche Livesendung auf. Der Einlass beginnt um 19 Uhr. Karten zu je 12,50 Euro kann man unter Telefon 04121/930 15 reservieren. Und am Freitag, 25. Oktober, präsentiert Gert Richert von der Elmshorner Speeldeel unter dem Motto „Deftiges op Platt“ niederdeutsche Sketche zu einem rustikalen Holsteiner Essen. Los geht es um 19.30 Uhr, der Eintritt für Programm und Mahlzeit kostet 20 Euro pro Person. Jede Menge Gelegenheit zum Stöbern und Schlendern bieten außerdem der Hobbymarkt am 9. und 10. November sowie die neu eingeführten Adventsmärkte „Weihnachtszauber rund ums Töverhuus“ am 1., 8. und 15. Dezember jeweils von 14 bis 18 Uhr mit Stockbrot für die Kinder in „kommodiger“ (also: gemütlicher) Atmosphäre. Am vierten Advent, 22. Dezember, heißt es ab 17 Uhr „Wienachten op’n Hoff“. Neu im Programm ist auch das Krimi-Dinner mit der „Schieß-Bühne“ aus Kölln-Reisiek. Am Freitag, 15. November, serviert das Team Hochspannung plus Drei-Gänge-Menü für insgesamt 40 Euro pro Nase.

Eigentlich sollte der Hof zu einem Mehrfamilienhaus umgebaut werden

Mit anderen Worten: Die Hamkes treffen offenkundig bei viele Menschen ein Bedürfnis. Dabei lagen damals, als er den erstmals 1701 erwähnten und bis 1988 bewirtschafteten Hof übernahm, die Zeichnungen für die geplanten Mietwohnungen bereits fertig in der Schublade. „Das wäre finanziell vermutlich einträglicher gewesen. Aber wir konnten das Gebäude einfach nicht loslassen“, sagt Hamke. „Das hat so viel mehr Geschichten zu erzählen als ein normales Haus.“

Und dann sprudelt es aus ihm heraus: die Familienfeiern auf der großen Diele, wenn alles festlich geschmückt war. Die Kühe, die immer genau wussten, welchen Platz im Stall sie beim Melken ansteuern mussten. Der plattdeutsche Schnack der Großeltern, Eltern und Nachbarn bei Grog und Zigarren. Und natürlich die Weihnachtsrituale auf dem Hof: „Mein Großvater rieb auf der Diele jedes Jahr Meerrettich für den Karpfen“, sagt Hofherr Hamke. „Meerrettich, Grog, Zigarren und Kuhstall – für mich ist das der Geruch von Weihnachten.“

Zwar habe er als Kind und Jugendlicher sein Schicksal als Bauernsohn oft verflucht. „Wenn die anderen im Sommer zum Baden gingen, musste ich aufs Feld und bei der Ernte helfen.“ Doch im Rückblick sei ihm klar geworden, wie erlebnisreich und elementar diese Kindheit war. „Auf dem Heuboden zu toben, sich dabei durchaus auch mal ein Bein zu brechen. Relativ frei in der Natur herumzustrolchen, aber immer jemanden zum Ansprechen in der Nähe zu haben – das sind Erlebnisse, die man in einem Wohnblock einfach nicht haben kann.“

Hamke liegt die Pflege des Plattdeutschen am Herzen. Umso schmerzlicher trifft ihn das allmähliche Verschwinden der Alltagsprache seiner Kindheit. „Früher haben wir mit unseren Speelwark-Konzerten zu Weihnachten fünfmal das Stadttheater Elmshorn mit seinen 400 Plätzen gefüllt, heute würden wir es vielleicht einmal voll bekommen“, sagt er. Zwar begrüße er die niederdeutschen Sprachkurse an Volkshochschule und Grundschulen. Ob das reiche, wage er allerdings zu bezweifeln. „Mit dem Sterben der Höfe und kleinen Handwerksbetriebe verliert die Sprache mehr und mehr ihre Heimat. Das Plattdeutsche und seine Inhalte muss man leben, das muss man ständig hören.“

Von Anfang an war der Norddeutsche Rundfunk Stammgast bei den Hamkes. Die Eröffnung übertrug der Sender live. Hier zeichneten die Fernsehleute die Sendungen „Freut euch des Nordens“ und „Lachen und Stimmung aus Lüders Krug“ auf, die Helmut Hamke moderierte. Die Kontakte kamen über Speelwark. „Wir waren eine Art Hausband des NDR“, sagt Hamke. Alles, was in der Szene Rang und Namen hatte, machte bei Hamkes Station.

Bei TV-Aufzeichnungen saß das Duo Klaus & Klaus unter dem Trecker

Heino sang im Dauerregen, Klaus und Klaus posierten unter einem alten Trecker, Rolf Zuckowski, Günter Wewel – alle gastierten sie in den im Töverhuus aufgezeichneten Sendungen. Und beim letzten Konzert der Gruppe Speelwark, die sich 2012 aufgelöst hat, füllten 2000 Besucher die Wiese am Hof, darunter viele ehemalige Redakteure, Plattenproduzenten, Künstler. „Das war sehr bewegend“, sagt Gisela Hamke.

Die gebürtige Ostpreußin ist die Seele des historischen Hofs, genau wie ihr Mann lebt sie das Konzept, genießt trotz der vielen Arbeit die Veranstaltungen an den Adventswochenenden auf dem Hof. „Wir freuen uns, dass das halbe Dorf hier zusammenkommt, dass die Kinder Stockbrot grillen und die Eltern bei Grog und Kerzenschein schnacken“, sagt sie. Ihr Mann nickt: „Wir waren ja auch bei den Speelwark-Konzerten oft die ‚Weihnachts-Bringer’. Das empfinden wir nicht als Belastung, sondern eindeutig als Gewinn.“