Generationen von Rellinger Schülern lernten Verkehrserziehung auf dem landesweit einzigartigen Übungsrad

Rellingen/Bönningsted . Die Klingel wackelt, die flache Werkzeugtasche baumelt windschief am Sattel, und manchmal löst sich einer der Reflektoren aus den Halterungen an Vorder- und Hinterrad. Keine Frage: Dieses etwas in die Jahre gekommene Fahrrad würde bei Polizeihauptmeisterin Nicole Spehr mit Pauken und Trompeten durch die Verkehrskontrolle rasseln.

Dabei hat es ihr Kollege Holger Wiebling, ehemaliger Leiter der Polizeistation Bönningstedt, vor 20 Jahren ausgerechnet zum Zweck der praktischen Verkehrserziehung konstruiert. Allerdings nicht als straßentaugliches Gefährt, sondern als reine Holzkonstruktion.

Und dass Bremse, Rücklicht und Konsorten locker, wenn auch nicht so locker wie heute sitzen, gehört zum Konzept des landesweit einzigartigen Bönningstedter Holzrads.

Die pädagogische Idee dahinter ist es, dass vor allem Grundschul- und Kindergartenkinder aus einem Sammelsurium von unterschiedlichen Komponenten, die durchaus nicht alle an ein Rad gehören, die korrekten Teile auswählen und aufstecken. Auf diese Weise könnten sie durch Ausprobieren lernen, welche Teile zu einem verkehrssicheren Fahrrad gehörten, sagt Nicole Spehr, die seit 2001 das Unikum made in Bönningstedt für den Verkehrsunterricht an der Rellinger Brüder-Grimm-Schule nutzt.

Generationen von Steppkes aus Bönningstedt und Rellingen haben an der handgetischlerten Konstruktion aus wasserfester Spanplatte und unterschiedlichen Holzresten, die der gelernte Tischler und passionierte Hobby-Bastler Wiebling 1993 in seiner Privatwerkstatt gerade auf Lager hatte, buchstäblich begriffen, wo Pedalreflektoren, Tachometer und funktionierende Beleuchtung ihren Platz am Drahtesel haben.

Bei durchschnittlich 100 Erst- und Zweitklässlern pro Jahr waren es allein in Rellingen seit 2001 etwa 1300 Kinder. Durch wie viele Hände das Holzrad genau gegangen ist, weiß niemand präzise. Als es vor Wieblings Pensionierung noch in Bönningstedt seinen pädagogischen Dienst tat, puzzelten auch Kindergarten-Schützlinge und Grundschüler aller Altersklassen an dem stabilen Lehrmaterial herum.

Dieses ungewöhnliche Modell wird jetzt, beim Verkehrssicherheitstag in der Rellinger Brüder-Grimm-Schule am Freitag, 25. Oktober, seinen definitiv letzten Auftritt haben. „Nach 20 Jahren schicken wir es in den Ruhestand", sagt Verkehrslehrerin Spehr, die das Show-Mobil vor wenigen Jahren noch mit einem blau-roten Anstrich etwas aufgehübscht hatte. „Ich finde das ein bisschen schade, aber es hat wohl seine Zeit gehabt.“

Zum einen zeige es nach dem nicht immer rücksichtsvollen Gebrauch durch die Jungforscher deutliche Ermüdungserscheinungen. Zum anderen aber entspreche es bei aller persönlichen Verbundenheit nicht mehr der heutigen Fahrradrealität.

Moderne Räder verfügen zum Beispiel nicht mehr über weiße und rote Reflektoren für vorne und hinten, die sind heutzutage in die Beleuchtung integriert, zählt Spehr auf. Die weißen Reflektorstreifen an zeitgemäßen Radmänteln machten die in die Speichen geklemmten Katzenaugen überflüssig, und der klassische Dynamo habe als Lichtmaschine ausgedient.

Gebaut hatte Wiebling sein Unikat ursprünglich nicht als Lehrmodell für Kinder, sondern als eine Art Quiz-Rad für das Bönningstedter Straßenfest. „Damit wir als Polizei etwas Handfestes präsentieren konnten“, sagt er. Auch Erwachsene durften daran ihre Radsicherheitskenntnisse testen und schnitten nicht selten schlechter ab als ihre Sprösslinge.

Manche Erwachsene wollten zum Beispiel statt der einfachen Klingel eine Sturmglocke oder eine Hupe anbringen, sagt Wiebling. „Das ist natürlich viel zu laut und deshalb verboten.“ Auch der damalige Innenmininster Hans-Peter Bull und seine Assistentin, Ex-Tagesschau-Sprecherin Dagmar Berghoff, taten sich bei einem Polizeifest Mitte der 90er-Jahre in Kiel schwer mit der Aufgabe. „Die kamen damit gar nicht zurecht“, sagt Wiebling.

Allerdings hätten auch die Kenntnisse der Verkehrsanfänger deutlich nachgelassen, haben die Ordnungshüter festgestellt. „Manche Kinder können sich ihr eigenes Fahrrad nicht vorstellen. Selbst unter den älteren Grundschülern wissen viele nicht, wie sie ihr Licht oder den Dynamo einschalten“, sagt Nicole Spehr.

Deshalb wird sie mit ihrer Kollegin Maike Liedtke auch nach der Holzrad-Ära weiter in der Brüder-Grimm-Schule Verkehrsunterricht zum Anfassen geben. Das neue Trainingsgerät, ein ausgedientes Damenrad, wird dem gleichen Prinzip des Aufsteckens loser Teile folgen. Es braucht allerdings bis zum Dienstantritt 2014 noch ein wenig Aufbauhilfe. „Wir müssen es total zerlegen und dann mit Magneten versehen“, sagt Polizeihauptmeisterin Spehr. „Da können die Kollegen sich noch ordentlich austoben.“