Der frische Holsteiner Apfelkuchen ist der heimliche Star des Rellinger Apfelfests. Sein Geheimnis liegt in den Details

Rellingen. Gegen 10 Uhr schlägt Wan Wulff das erste Ei auf. Mit einem satten Plopp plumpsen Dotter und Eiklar in die mächtige Edelstahlschüssel in der Halstenbeker Bäckerei Schlüter. Das profane Geräusch markiert an diesem Donnerstag den Anfang einer genau festgelegten Kette von Arbeitsschritten, an deren Ende am Sonnabend, 28. September, pünktlich um 14 Uhr zum feierlichen Anschnitt beim Apfelfest eine fruchtig-süße Spezialität steht, die unter Eingeweihten und Naschkatzen als heimlicher Star der Rellinger Traditionsparty gilt: der Holsteiner Apfelkuchen der Bäckerei Schlüter.

Der Leckerbissen gehört zum Fest wie Bobby-Car-Rennen und Laternenumzug. Schon eine halbe Stunde vor dem Anschnitt durch die Bürgermeisterin und die örtliche Politprominenz bilden die Fans lange Schlangen vor der Filiale an der Partymeile entlang der Rellinger Hauptstraße, die die Polizei extra zum Fest zwischen Tangstedter Chaussee und Bergstraße für den Verkehr sperren sperrt. 2007 machte das Fest Schlagzeilen, als die Polizei in letzter Minute ein Bombenattentat vereitelte. Trotzdem treffen die Ordnungshüter keine besonderen Sicherheitsvorkehrungen, sondern beschränken sich auf die Verkehrslenkung und die Begleitung des abendlichen Laternenumzugs. „Das ist ein Familienfest, und dabei wollen wir es belassen“, sagt Götz Nowobilski, stellvertretender Leiter des Rellinger Polizeireviers. „Mit der Festsetzung des Täters war die Gefahr gebannt.“ Um die Sicherheit am Festtag kümmern sich die Polizistinnen Eva-Maria Kälberloh und Nicole Spehr.

Doch zurück zum Holsteiner Apfelkuchen. 1200 Stück backen die Konditoren extra für diesen Tag. Und damit der Publikumsliebling besonders duftig-frisch daherkommt, schiebt die Frühschicht ihn später als die anderen Kuchensorten in den Ofen. „So zwischen 6 und 7 Uhr früh“, sagt Konditorin Kristin Möller.

Das Rezept ist fast so geheim und mindestens so alt wie das von Coca-Cola

Sie muss es wissen. Nach 13 Jahren in der Halstenbeker Backstube könnte die stellvertretende Abteilungsleiterin Zutaten und Abläufe für den Apfelkuchen vermutlich im Schlaf herunterbeten. Darf sie aber nicht, jedenfalls nicht im Detail. Denn der spezielle Mix beruht auf einem alten Familienrezept der vor 125 Jahren gegründeten Bäckerei. Und das ist fast so geheim und mindestens so alt wie das Rezept für Coca-Cola. Selbst Bäckerei-Inhaber Jürgen Schlüter, 55, Urenkel des Firmengründers Daniel Ferdinand Schlüter, muss bei der Frage nach dem Ursprung passen. „Diesen Apfelkuchen backen wir gefühlt schon immer, also definitiv länger, als ich auf der Welt bin.“

Was genau den besonderen Geschmack ausmacht, verrät der Chef nicht. Sicher aber ist: Dieser Apfelkuchen ist ein echter Norddeutscher. Soweit möglich, kauft Schlüter Zutaten aus der Umgebung ein. „Die Eier stammen vom Quickborner Elisenhof, das Mehl von der Mühle Haars aus Kollmar. Die beziehen ihren Weizen von Höfen im Umkreis von 20 Kilometern“, sagt Jürgen Schlüter. „Regionalität ist mir wichtig, wir sind schließlich ein regionaler Familienbetrieb.“ Und die Äpfel? „Die beziehen wir zwar über einen Händler im Alten Land, aber der kann natürlich nicht zu jeder Jahreszeit auf hiesige Früchte zurückgreifen“, sagt der Bäckereichef.

Mindestens ebenso entscheidend dürfte die enorme Präzision sein, mit der die Konditoren vorgehen. „Bei uns wird alles aufs Gramm genau abgewogen“, sagt Kristin Möller. Nicht nur Mehl und Zucker, auch das Bindemittel, das den Saft beim Backen in den gestiftelten Früchten hält oder das Quäntchen flüssiges Apfelaroma, das die Spezialisten unter die Apfelmasse rühren. „Es kommt auf die kleinen Dinge an, damit das Ergebnis gelingt“, sagt ihr Chef.

Zwar setzen die Halstenbeker traditionell auf Handarbeit und frische Zutaten. Doch auch hier zählt im Alltag Effizienz. Neonröhren tauchen die Räume in ein sachliches Licht. Sahnebläser surren, eine Spülmaschine rauscht, mannshohe Kühlgeräte summen. Aber über allem schwebt der unwiderstehliche Duft nach Äpfeln und ofenfrischem Gebäck.

Jede Schicht durchläuft Ruhephasen im Kühlraum oder bei Minusgraden

Allmählich nimmt der Holsteiner Form an. Die Eier sind mittlerweile Teil eines Mürbeteigs. Bevor Konditor Larsen Ubbelohde ihn ausrollen und in die 60 mal 20 Zentimeter großen Profibleche einpassen kann, ruht der Teig eine Nacht lang im Kühlraum. „Damit sich der Zucker gleichmäßig verteilt“, sagt Schlüter. Auch der weiche Rührteig, der später wie ein luftiger Puffer zwischen Früchten und Mürbeteigboden liegen wird, wandert zur Nachtruhe in den Kühlraum. „Dann kochen wir den Vanillepudding“, sagt Konditorin Möller. Nach einigen Stunden bei minus 20 Grad im Tiefkühlraum ist auch der so gefestigt, dass er seine Funktion als Trennschicht zwischen Teig und Apfelmasse erfüllen kann.

Die Fachfrau jagt 30 Kilogramm roher Äpfel durch die Schneidemaschine. Die Früchte kommen geschält und entkernt in der Backstube an. Exakt zwei Minuten lang wird die Masse mit flüssigem Aroma und pulvrigem Bindemittel gerührt. „Die Masse darf nicht zu lange gerührt werden, sonst verflüssigt sie sich und wird unbrauchbar.“

Am nächsten Tag muss es fix gehen, sonst werden die Zutaten zu warm. Zu fünft verstreichen die Konditoren Rührteig, Vanillepudding und Apfelmasse auf dem ausgerollten Mailänder. Akkurat spachteln sie Schicht für Schicht in den von Backblechen begrenzten Rechtecken aufeinander. „Bei uns ist es sehr wichtig, dass die einzelnen Schichten der Kuchenstücke im Anschnitt deutlich zu erkennen sind“, sagt Kristin Möller. Kollege Ubbelohde verstreut Zimt drauf, krönt das Werk mit dem gleichmäßig gelöcherten Mürbeteigdeckel, bürstet sorgfältig Mehlstaub ab. „Der würde im Ofen schwarz verbrennen und bitter schmecken“, sagt der Konditor. Nach 70 Minuten im 210 Grad heißen Etagenofen duftet der frische Holsteiner Apfelkuchen schon verführerisch. Im letzten Schritt verstreicht das Team heiße Aprikosenmarmelade und zuckersüßen Fondant auf dem Deckel. Und dann heißt es: ab auf den Verkaufstresen!