Begnadetes Quartett um Geigendiva van Keulen entfesselt Piazollas Feuer beim Musik Festival

Haseldorf. Von wegen Wiegeschritt. Glühend heiß, schmerzhaft sehnsüchtig und prickelnd vor Sinnlichkeit kommt Astor Piazollas Tango Nuevo daher. Meisterhaft destillierte der 1992 verstorbene Argentinier den leidenschaftlichen Kern aus den schwülen Klängen der Bordelle seiner Heimatstadt Buenos Aires, veredelte das Magma mit Elementen von Jazz und Klassik zu einer magischen Melange.

Dieser Musik widmete ein Quartett um Geigendiva Isabelle van Keulen jetzt einen emotionsgeladenen Konzertabend beim Schleswig-Holstein Musik Festival. Vor 1200 faszinierten Zuhörern feierte sie mit Christian Gerber, Bandoneon, Rüdiger Ludwig, Kontrabass, und ihrer exzellenten Klavierpartnerin Ulrike Payer im ehemaligen Rinderstall des Gutes Haseldorf ein furioses Tango-Hochamt.

Geschmeidig wie Raubkatzen - und ebenso mutig - meisterten die Vier im Synkopengewitter die halsbrecherischen musikalischen Serpentinen Piazollas. Sie unterlegten die gemeißelten Klänge gekonnt mit der rauen Erdigkeit der Hafenspelunken. Sie entfesselten die pulsierende Kraft und tiefe Wehmut von Klassikern wie "Verano Porteno", "Michelangelo 70" oder "Solidad".

Als ausgewiesene Könner ihres Fachs konnten sie es sich leisten, selbst bittersüße, kitschverdächtige Passagen gefühlig bis zum Anschlag auszukosten, ohne dabei in ranzige Klischees zu verfallen. Die Grundlagen für diese haarscharfe Balance legte Piazollas Kompositionskunst. Wenn etwa ein wehmütiges Geigensolo in schale Gefühlsduselei umzuschlagen drohte, bändigten Klavier, Bass und Bandoneon die Gefahr mit scharfen, abrupten Akkorden.

Neben dem gewohnt ausdrucksstarken Auftritt der Primadonna van Keulen faszinierte vor allem die instinktsichere Musikalität von Christian Gerber, der mit diesem furiosen Abend seinen Ruf als deutsche Bandoneon-Koryphäe festigte. Kein falscher Schritt entwertete sein tänzelnd-elegantes Spiel, jede Phrasierung passte perfekt ins Puzzle. Und wenn alle vier die Zügel schießen ließen, schien selbst das knorrige Eichengebälk ansatzweise im Tango-Rhythmus zu schwingen.

Obwohl Piazollas Musik weniger zum Tanzen als zum Zuhören gemacht ist, spiegelt sie plastisch die überraschenden Kehrtwendungen und plötzlichen Stimmungswechsel, die für den getanzten Tango typisch sind. Immer wieder unterbrachen erhabene, leise Momente den Fieberrausch der Musik. Jazzige Improvisationselemente und Anleihen von klassischen Kollegen bereicherten die Kompositionen. So tauchte mitten im "Invierno Porteno" unerwartet Gevatter Bach auf: Respektvoll zitierte Piazolla das Thema von dessen Goldberg-Variationen - barocktypischer Triller inklusive.