Grüne Bundespolitiker fordern in Pinneberg stärkere Kontrolle der Geheimdienste. Regierung handele ahnungslos.

Pinneberg. Die jüngsten Enthülllungen des in Moskau festsitzenden ehemaligen US-Geheimdienst-Mitarbeiters Edward Snowden zeigten, welches Ausmaß die Überwachung der Bevölkerung durch die Geheimdienste heute erreicht hat, kritisierten am Dienstag mehrere Bundestagsabgeordnete der Grünen in Pinneberg. Datenschutz werde mit Füßen getreten, das Internet sei für uns alle zu einem unsicheren Ort geworden, stellten Valerie Wilms, Konstantin von Notz, Bundestagsfraktionschefin Renate Künast und Europaabgeordneter Jan Philipp Albrecht fest.

Die heute angewandten Programme wie Prism, Tempora oder Xkeyscore, die ein systematisches Abscannen und Speichern jedweden elektronischen Daten- und Kommunikationsverkehrs aller Bürger möglich machten, seien totalitär und widersprächen dem demokratischen Rechtsstaat, kritisierte der grüne Datenschutz-Politiker von Notz. "Damit stehen wir mit einem Bein in der DDR."

Im Gegensatz allerdings zu den technischen Möglichkeiten der Stasi in der ehemaligen ostdeutschen Diktatur, die die Angaben über das Ausspähen der Bürger durch ihre 200.000 Spitzel auf Karteikarten festhielt, werde offenbar heutzutage jede E-Mail, jedes Telefongespräch, jeder Facebookeintrag in Echtzeit gescannt und gespeichert. Zusammen mit den Ortungsfunktionen der Smartphones könnten so von allen Bundesbürgern Bewegungs- und Verhaltensprofile erstellt werden, die mit dem vom Bundesverfassungsgericht verbrieften Recht auf den persönlichen Datenschutz nichts mehr zu tun hätten. "Das ist bedrohlich und schlimm."

Bevor sie am Abend in Bönningstedt mit Bürgern über das aktuelle Thema diskutieren wollten, trafen sich die Grünen-Politiker am Dienstag in der Kreisstadt zu einem datenschutzpolitischen Rundgang. "Wir wollen uns ein Bild davon verschaffen, welches Ausmaß die Überwachungsmaßnahmen im öffentlichen Raum angenommen haben", sagte Valerie Wilms, Bundestagsabgeordnete aus Wedel. Allein die Kommunen im Kreis hätten heute 700 Videokameras auf öffentlichen Plätzen im Einsatz, zitierte Kreisvorsitzender Holger Nohr einen Artikel des Hamburger Abendblatts, der vor einigen Monaten erschien. Hinzu kämen all die Überwachungskameras im privaten Raum wie den Supermärkten, Banken oder Juweliergeschäften. "Das hat extrem zugenommen." Dabei müsse die Verhältnismäßigkeit gewahrt bleiben, fordert Renate Künast. Wenn es wie in Berlin zu Gewalt-Übergriffen in U- und S-Bahnen komme, sei eine solche Überwachung gerechtfertigt. "Aber dann brauchen wir auch jemanden, der sich diese Videoaufzeichnungen ansieht und notfalls eingreifen kann. Sonst haben wir nur eine technische Überwachung, die den Überfall nachträglich aufklären kann, aber niemanden schützt."

Die amtierende schwarzgelbe Bundesregierung tauche beim Thema der systematischen Datenüberwachung der Bevölkerung ab und mache auf ahnungslos, kritisiert Künast. "Wir brauchen aber eine umfassende Aufklärung darüber, was hier passiert, und eine stärkere Kontrolle der Geheimdienste", fordert Künast eine "internationale Magna Charta des Datenschutzes".

Wer glaube, er habe ja nichts zu befürchten, und denke, sollen die doch meine E-Mails lesen und Telefonate abhören, irrt gewaltig, so die grüne Bundestagschefin. "Diese systematische Überwachung ist überall in unserem Alltag zu Hause, in der Schule, auf der Straße." Selbst trivialste Verabredungen zum Grillen würden abgefischt, sagt von Notz. Das verunsichere immer mehr Menschen, mache sie vorsichtig, was sie sagen und schreiben dürften, und schade letztlich der Demokratie. "Wer beobachtet wird, ist nicht frei."

Die technischen Möglichkeiten gingen weit darüber hinaus, was George Orwell vor 65 Jahren in seinem Zukunftsroman der Totalüberwachung "1984" vorausahnen konnte. "Heute braucht es keine Baumrinde-Mikros mehr, um die Bürger einzuschüchtern. Dafür reicht ein cooler Trojaner auf dem iPad."

Eine dafür sensibilisierte, künftige Bundesregierung, an der die Grünen nach dem 22. September beteiligt sein wollen, müsse die parlamentarische Kontrolle der Geheimdienste forcieren. "Wir brauchen einen Richtungswechsel", so Renate Künast. So müsse der Geheimdienstausschuss Zeugen unter Eid vernehmen und diese bei Falschaussage auch bestrafen können. Zudem bedürfe es eines großen Mitarbeiterstabes, um all die inkriminierten Akten durcharbeiten zu können.

Auch die Bundestagsabgeordneten wären in ihrer Kommunikation nicht vor dem Ausspähen geschützt, sagte Valerie Wilms. Im vergangenen Jahr seien für alle Abgeordnete und deren Mitarbeiter zertifizierte Sicherheitsleitungen geschaffen worden. "Dann hieß es plötzlich, die laufen nicht auf unseren iPhones und wurden wieder abgeschafft."