“Es geht nicht mehr um die Behinderten“, klagen Betroffene. Sie kämpfen mit Anwalt für Schenefelder Arbeitsstätte. Seit Monaten zittern die Betroffenen, hoffen, bangen, glauben und sie schwiegen.

Wedel. "Was soll ich meinem Sohn bloß sagen?", fragt Sabine Henschel-Drewke. Ihr Sören wird wieder an der Tür auf sie warten, mit diesem Blick, hoffend, dass sie Neuigkeiten mitbringt. Aber auch diesmal muss sie ihren geistig behinderten Sohn enttäuschen. Sie kann ihm nicht sagen, wie es mit der Betriebsstätte der Lebenshilfe Schenefeld nach der Insolvenz im Oktober weitergeht und ob er seinen Arbeitsplatz dort behält. Eine seit langem herbeigesehnte Entscheidung konnte der Lebenshilfe-Vorstand den Betroffenen, Eltern und Betreuern während des Informationsabends am Montagabend wieder nicht mitteilen.

Einen Sachstand gab's: Man bemüht sich weiter um eine Lösung, setzt auf einen Werkstattverbund mit der Glückstädter Diakonie. Aber es haben sich neue Hürden aufgetan. Die Gründung dauert mindestens neun Monate, es muss eine Zwischenlösung her. Die hängt vom Ja der Bank, die einen Kredit zur Zwischenfinanzierung gewähren müsste, und dem Ja der Pinneberger Kreisverwaltung ab, die als zuständige Behörde den Plänen zustimmen muss.

Seit Monaten zittern die Betroffenen, hoffen, bangen, glauben und sie schwiegen. Bis jetzt. Den Eltern der betroffenen Menschen mit Behinderung reicht es. Sie gehen in die Offensive, wollen für den Erhalt der Arbeitsstätte in Schenefeld kämpfen. Dafür haben sie sich auch juristische Hilfe geholt. Lothar Selke vertritt bereits acht Betroffene aus Hamburg und sechs aus dem Kreis Pinneberg. Vom insolventen Lebenshilfewerk sind insgesamt 63 Menschen mit Behinderung betroffen.

Der ehemalige Amtsrichter aus Pinneberg macht den Job ehrenamtlich. Er selbst ist Vater eines behinderten Kindes und gründete 2009 den Verein Verbraucherschutz für behinderte Menschen mit, der sich gegenüber Trägern wie der Lebenshilfe und gegenüber den zuständigen Behörden für die Interessen der Behinderten stark macht.

Ein Sprachrohr für die Betroffenen, das vermissen die Eltern bislang. Sie haben das Gefühl, dass in den seit Monaten währenden Verhandlungen zwischen Trägern und Behörden über die Finanzierung einer Nachfolgeeinrichtung ihre Kinder auf der Strecke bleiben. "Es geht immer nur ums Geld. Nie sagt mal einer, dass es wirklich um die Menschen mit Behinderung geht," sagt Heidi Schröder, deren Sohn Christian in der Keramikwerkstatt des insolventen Lebenshilfewerkes arbeitet.

Selke ist erst vor ein paar Wochen eher zufällig über den Fall der Schenefelder Lebenshilfe gestolpert. Er hatte die rechtliche Betreuung für einen der betroffenen Menschen mit Behinderung übernommen. Nach einigen Eltern- und Infoabenden ist ihm noch nicht klar, wie es soweit kommen konnte, woran eine Lösung scheiterte. Ihm ist nur klar: Die Eltern brauchen Unterstützung - und zwar dringend.

Er hat im Namen der Eltern Widerspruch eingereicht und will noch in dieser Woche eine einstweilige Verfügung gegen die Kündigung der Leistungsvereinbarung von Seiten des Kreises bewirken. Denn aus seiner Sicht stiehlt sich die Pinneberger Kreisverwaltung aus der Verantwortung. "Die Behörde hat dafür zu sorgen, dass es ausreichend Plätze im Kreis Pinneberg gibt. Sie schuldet den Eltern nicht das Geld für die Leistung, sondern den Arbeitsplatz, und das ist eine Bringschuld", so Selke. Er ist entsetzt darüber, dass die Kreisverwaltung die in Pinneberg lebenden Betroffenen erst Ende Juni darüber informierte, dass es wohl keine Nachfolgelösung geben wird, während die Stadt Hamburg bereits im April zum selben Ergebnis kam. Zudem wurde den Eltern oder Betreuern nur ein Monat, also bis Anfang August, Zeit eingeräumt, eine neue Arbeitsstätte zu suchen. Für Selke ein Unding. "Das ist viel zu kurzfristig und dann auch noch in den Ferien. Zudem ist es die Aufgabe der Kreisverwaltung einen Ersatzplatz anzubieten."

Marc Trampe, Pressesprecher des Kreises, weist die Vorwürfe zurück. "Wir handeln nicht behindertenfeindlich." Den Kündigungen wären zahlreiche Gespräche vorausgegangen, mehrere Fristen seien der Lebenshilfe gesetzt worden. Darüber wurden die Eltern vom Träger informiert. "Eine langfristige Lösung zeichnete sich nicht ab. Wir mussten kündigen." Warum Hamburg das früher wusste? "Wir waren optimistischer", sagt Trampe. Er weist darauf hin, dass den Eltern Ersatzangebote gemacht worden seien, unter anderem in der Werkstatt in Thesdorf.

Darüber kann Heidi Schröder nur traurig lachen. "Dort wollten sie Christian damals nicht mehr haben", erinnert sie sich. 1998 flatterte ihr das Schreiben ins Haus, ihr Sohn sollte die Einrichtung innerhalb von einer Woche verlassen, weil er dort nicht richtig gefördert werden konnte. "Wir haben ein Jahr gebraucht und etliche Absagen anderer Werkstätten erhalten, bis wir endlich den Arbeitsplatz in Schenefeld gefunden haben", erzählt die 71-Jährige. Das hat sie auch der Kreisverwaltung geschrieben, mit dem Hinweis doch einmal in die Akten ihres Sohnes zu schauen.

Christian Schröder ist 49 Jahre alt und seit seiner Geburt behindert. Er leidet unter Anfällen, kann sich schwer konzentrieren. In der Keramikwerkstatt, die zum insolventen Lebenshilfewerk gehört, sei er aufgeblüht. Dort würde er gut betreut, in den kleinen Gruppen fühle er sich wohl, hätte weniger Anfälle als früher in der Werkstatt in Thesdorf, sagt seine Mutter. Zudem lebe er in einer der Wohngruppen der Lebenshilfe Schenefeld. "Er braucht dieses Umfeld. Sonst würde er innerhalb kürzester Zeit all seine Fähigkeiten verlieren." Ja, der Job habe auch Sören verändert, bestätigt Henschel-Drewke. Ihr 25 Jahre alter Sohn arbeitet im Anzuchtbereich am Gremsbargen. Das war sein Traum, dort wollte er hin. Die Wedeler Familie musste dafür kämpfen, zwei Jahre lang, mit einem Anwalt. Acht Jahre später ist sie am gleichen Punkt. Sie kämpft schon wieder mit Behörden um seinen Arbeitsplatz und für die Rechte ihres behinderten Sohnes.