Seit 15 Jahren ist die Künstlergruppe Paradox auf Helgoland aktiv. Jetzt wird gefeiert

Helgoland. Deutschlands einzige Hochseeinsel ist nicht nur ein Sehnsuchtsort für Frischluftfans und Badetouristen. Am Roten Felsen hat auch die Kunst ihre festen Plätzchen, zum Beispiel in der zur Galerie umfunktionierten Hummerbude 33 am Hafen. Zum 15. Mal lädt die deutsch-chinesische Künstlergruppe Paradox jetzt zum Kunstsommer und damit zu einem Ausstellungsreigen in die Tiinerbuud an der Hafenstraße 1009. In der Jubiläumsausstellung vom 21. Juli bis 4. August zeigt Paradox-Gründer und -Kurator B. J. Antony einen Querschnitt durch das Schaffen der Mitglieder. Am Sonnabend, 3. August, feiern Künstler und Besucher den Anlass mit einem bunten Überraschungsprogramm. Los geht es am Nachmittag, am Abend ab 18 Uhr tritt Kabarettist Jacques Oerter auf. Im Interview erläutert Kurator Antony, was Deutschlands Außenposten auf hoher See als Kunstort auszeichnet.

Hamburger Abendblatt: Wie entdeckten Sie Ihr Herz für Helgoland?

B. J. Antony: Ich bin in Bremerhaven geboren, da hat man schon früh Kontakt mit der Insel, zum Beispiel durch Klassenfahrten. 1975, nach dem Abitur, habe ich dort zum ersten Mal eine Saison lang gearbeitet - als Fahrstuhlführer vom Unterland zum Oberland. Seitdem bin ich mit Helgoland verbunden und war immer wieder dort. Und wie der Zufall es so wollte, heiratete mein Bruder Rudolf später eine Helgoländerin und ist nun schon seit 1983 Insulaner. 1991 meldete ich schließlich meinen zweiten Wohnsitz auf Helgoland an, seit 1998 führen mein Bruder und ich die Galerie in der Hummerbude.

Wo finden Sie die Insel besonders schön?

Antony: Mein Lieblingsort ist natürlich unsere Hummerbude Tiinerbuud, was in der helgoländischen Sprache Halunder einfach Hummerbude heißt. Und der Sprengungskrater im Mittelland. Lieblingsmomente gibt es unzählige: Sonnenuntergang am Nordstrand, in Farben, die man, wenn man sie malen würde, als Kitsch pur empfinden würde. Oder nächtlicher Sternenhimmel über der Düne. Und nur Stille, in der Ferne atmet das Meer. Oder bei Vollmond am Südstrand sitzen, dem Rauschen und Glitzern der Wellen folgen. Das sommerliche Meeresleuchten - und dann darin schwimmen gehen.

Gibt es auf Helgoland überhaupt genug Publikum für Kunstprojekte wie das von Ihnen initiierte Festival "Kunst ist eine Insel" und den "Kunstsommer" der Galerie Tiinerbuud?

Antony: Einerseits gibt es kunstinteressierte Helgoländer. Das Gros des Publikums bilden aber die vielen Gäste aus allen Teilen Deutschlands oder auch anderen Ländern. Das führt zu dem Effekt, dass die Ausstellungen oder Kunstaktionen eine enorme überregionale Reichweite haben. Immer wieder erlebe ich, dass ein Urlauber zum Beispiel aus München in die Hummerbude kommt: "Paradox - die kenne ich, habe ich schon in einer Ausstellung bei uns gesehen". Oder wir organisieren umgekehrt eine Ausstellung in einer Stadt, und bestimmt gibt es jemanden, der bemerkt, dass er und auch andere die Künstlergruppe von Helgoland kennen.

Aber lohnt sich dafür der Aufwand, den Sie betreiben?

Antony: Die Arbeit im Kunstbereich ist hier wie überall mit sehr viel Idealismus verbunden. Paradox ist eine freie Vereinigung - kein Verein - und hat sich zusammengefunden, um gemeinsam zu arbeiten und Kunstprojekte zu verwirklichen. Dabei steht im Vordergrund bei uns als Künstlergruppe nicht nur die ernsthafte Reflexion unserer Kunst, sondern auch und vor allem der Spaß an der Sache: der Spaß an der Arbeit, den Ideen, den Gedanken, der Verwirklichung, der Spaß unter den Künstlern und dem Austausch untereinander und nicht zuletzt der Spaß mit unseren Besuchern, denen wir wiederum auch den Spaß an der Kunst vermitteln wollen.

Nach welchen Kriterien wählen Sie als Kurator die Aussteller für einen Kunstsommer in der Tiinerbuud aus?

Antony: Vorrangig ist die Galerie in der Hummerbude für Künstler von Paradox vorgesehen und auch belegt - da brauche ich keine Kriterien, denn ich weiß, was die Künstler können. Ich stimme lediglich die Termine ab, das geht nach dem guten, alten Prinzip "wer zuerst kommt, ma(h)lt zuerst". Wenn das Jahr vergeben ist, muss man weiter in die Zukunft gucken.

Haben auch andere Künstler bei Ihnen eine Chance?

Antony: Ich nehme auch externe Künstler in die Hummerbude auf. Sie können sich bei mir bewerben, und dann schaue ich mir schon genau an, was sie machen und ob es passt. Die Entscheidung für Kunst ist immer subjektiv, aber glauben Sie mir, ich habe über all die Jahre einen Blick für Originalität entwickelt - und die zählt, egal in oder aus welcher Kunstrichtung auch immer.

Welche künstlerische Ausbildung haben Sie genossen? Haben Sie bei Ihren Studien in Trier und Marburg Malerei, Grafik oder Design studiert?

Antony: Ich bin in jeder Beziehung Autodidakt, ob als Maler, Autor, Filmemacher oder Kurator. In Trier habe ich zunächst Philosophie studiert, stellte aber sehr schnell fest, dass an der Uni freies Philosophieren nahezu unmöglich ist. Damals wurden an der Uni Trier Studienplätze in Soziologie verlost, und ich war einer der glücklichen Gewinner. Mit dem Wechsel an die Uni Marburg belegte ich Soziologie, Politikwissenschaften und Neuere Deutsche Literatur, war aber schließlich von der akademischen Laufbahn geheilt und entschied mich für die Kunst.

Sie gelten als sehr vielseitiger Künstler. Welche Vorbilder prägen Ihre Kunst?

Antony: Eigentlich keine. Ich folge meinen Emotionen, Vorstellungen und Ideen und sehe zu, dass etwas Gescheites dabei herauskommt. Einziges Vorbild ist das Leben in jeder Beziehung.

Worauf legen Sie bei der Jubiläumsausstellung den Schwerpunkt?

Antony: Eine möglichst stimmige Auswahl von den Bildern der Künstler aus Deutschland und China zusammenzustellen, die in all den Jahren in der Hummerbude vertreten waren. Außerdem plane ich eine Fotoserie aus der Geschichte der Galerie in der Tiinerbuud. Zur Vernissage werde ich selbstverständlich einführende Worte sprechen.

Eins Ihrer zentralen Projekte ist der kulturelle Austausch mit China. Sie organisieren Ausstellungen chinesischer Künstler in Deutschland, zum Beispiel "Der Drache des Osten und Westen", bringen umgekehrt Werke der von Ihnen gegründeten Künstlergruppe Paradox in chinesischen Ausstellungen unter. Was fasziniert Sie an China und chinesischer Kunst?

Antony: Das ist eine lange Geschichte. Die Faszination an diesem Land habe ich in meinem Buch "Eine Reise in Sichuan" und in meinen Filmen über China ausgedrückt - es ist kaum auf einen kurzen Nenner zu bringen.

Zum Beispiel?

Antony: Dies riesige Land mit all seinen verschiedenen Gesichtern, dieser Schmelztiegel von Menschen in ihrer direkten, erfrischenden Art, die unbeschreiblich rasante Entwicklung, die ich in den letzten elf Jahren erleben durfte, das lebendige Chaos, das mit viel Improvisationstalent bewältigt wird beispielsweise. China ist in jeder Beziehung einfach paradox, und deshalb passen wir dort auch so gut zusammen. Und fast alles, was man über China in der deutschen Presse in den letzten Jahren lesen konnte, kann man getrost in die Tonne kloppen. Die Chinesen leben anders als wir und das auf eine liebenswerte Weise - man muss nur bereit sein, es zu verstehen.