Hermann M., 78, der am 2. Januar 2012 eine Radlerin totfuhr und einen Fußgänger verletzte, muss 3000 Euro zahlen. Er hätte laut Gutachter nicht mehr mit dem Auto fahren dürfen.

Halstenbek/Pinneberg. Es war der 2. Januar 2012, als Hermann M. in Halstenbek eine regelrechte Amokfahrt hinlegte. An deren Ende ist eine Radfahrerin tot, ein Fußgänger schwer verletzt und der Ortskern auf 100 Meter Länge verwüstet. Am Freitag, fast 18 Monate nach dem Vorfall, erfolgte die juristische Aufarbeitung vor dem Amtsgericht Pinneberg. Das Urteil für den Halstenbeker: eine Geldstrafe von 150 Tagessätzen von 20 Euro.

Im Mittelpunkt des Verfahrens, in dem Staatsanwalt Thorsten Schwarzer dem inzwischen 78-jährigen Angeklagten Gefährdung des Straßenverkehrs, fahrlässige Tötung und gefährliche Körperverletzung vorwarf, stand eine Frage: Hätte der zum Zeitpunkt des Unfalls 76-Jährige wissen müssen, dass er auf Grund seines Gesundheitszustandes nicht mehr in der Lage war, ein Auto sicher zu führen? Klaus Püschel, Leiter des Hamburger Institutes für Rechtsmedizin und Gerichtsgutachter für Verkehrseignungsprüfungen, beantwortete diese Frage mit Ja. Bereits seit Mitte der 90er-Jahre sei dokumentiert, dass M. unter "anfallartigen Schwindelzuständen" leide. Püschel: "Es war eindeutig vorauszusehen, dass es bei dem Angeklagten zu Ausfallerscheinungen im Straßenverkehr kommen wird."

Gegen 18 Uhr am Tattag hatte M. seine Frau auf dem Parkplatz des Edeka-Supermarktes abgesetzt. Er fuhr dann zurück in die Hauptstraße und wollte links in die Gustavstraße einbiegen. "Es kam Gegenverkehr. Ich ließ diesen passieren, dann bog ich ab", schilderte er dem Gericht. Er habe sich beeilt, weil ein weiter entferntes Fahrzeug des Gegenverkehrs schneller gewesen sei als eingeschätzt. Was dann passierte - Püschel beschrieb es als "ganze Kette voller Fehlreaktionen und falscher Einschätzungen".

M. rammte mit seinem Mercedes Bernd H., der zur Seite geschleudert wurde, mit dem Kopf auf das Pflaster knallte und sich eine Platzwunde zuzog. "Dann bin ich wohl mit dem Fuß von der Bremse abgerutscht und auf das Gaspedal geraten", mutmaßte der desorientiert wirkende Angeklagte. Der Wagen schoss vorwärts, prallte frontal gegen die Radfahrerin Barbara S.. Die 64-Jährige wurde gegen die Windschutzscheibe, dann auf den Asphalt geschleudert. Sie starb sieben Tage später an ihren massiven Kopfverletzungen. Der Wagen rauschte in eine Hecke, touchierte das Rathaus-Schild und kollidierte schließlich mit einem Bauzaun.

"Der Wagen raste mit einem furchtbaren Tempo durch die Gustavstraße, dann sah ich einen Schatten durch die Luft fliegen", sagte Zeugin Erika S., 69. Andere Augenzeugen berichteten von einem ständig aufheulenden Motor und quietschenden Reifen, die sie auf das Geschehen aufmerksam machten. Laut dem Gutachten eines Verkehrssachverständigen erfasste der Mercedes den Fußgänger mit 18 Stundenkilometern, die Radfahrerin mit Tempo 60.

Die zwei Töchter der Toten nahmen an dem Prozess als Nebenklägerinnen teil. Sie erlebten mit, wie der verletzte Fußgänger Bernd H. vor seiner Zeugenaussage das Gericht angeblich aus Zeitmangel verließ, wenig später dann von der Polizei aufgegriffen und in den Saal gebracht wurde. Ein Atemalkoholtest ergab bei ihm knapp zwei Promille.

Sichtlich um Fassung bemüht, verfolgten die Töchter den Auftritt von Henry K., 70, dem Hausarzt des Angeklagten. Der räumte ein, dass die Schwindelanfälle von M. ihm seit 20 Jahren bekannt und diese umfangreich untersucht und dokumentiert seien. Henry K. wusste auch, dass der heute 78-Jährige in deren Folge mehrfach zusammenbrach und drei Krankenhausaufenthalte notwendig waren. Die Frage, ob der Halstenbeker noch Autofahren konnte, "hat sich aber weder mir noch den anderen Ärzten gestellt."

Gutachter Püschel sah das anders. Mindestens seit 2006 sei M. fahruntüchtig gewesen. Die Untersuchungsergebnisse belegten, dass der 78-Jährige außer den Schwindelanfällen unter Durchblutungsstörungen im Gehirn leide. "Es kommt bei ihm zu Konzentrations- und Koordinationsstörungen, Gedächtnisverlust und Zeitgitterstörungen. Das hätte auch dem Hausarzt auffallen müssen." Der wiederum erklärte die Ausfälle des Angeklagten vor Gericht mit "normalem Altersabbau".

"Die Aussage ihres Hausarztes hat mich erschüttert", so Richterin von Elm. Er wäre auf Grund seiner Fürsorgepflicht verpflichtet gewesen, mit dem Angeklagten über das Thema Autofahren zu sprechen. Die Juristin folgte mit ihrem Urteil dem Antrag der Staatsanwaltschaft. Verteidiger Vincent Graf von Baudissin hatte eine etwas geringere Geldstrafe gefordert. Im Urteil ist auch festgelegt, dass der Angeklagte nie wieder Autofahren darf. M. hat inzwischen schriftlich seinen dauerhaften Verzicht auf den Führerschein erklärt.