Der Pianist Matthias Kirschnereit gastiert in der Pinneberger Drostei. Er sagt: “Bei Mozart sind Sie splitternackt“

Pinneberg. Die "Neue Zürcher Zeitung" feierte Matthias Kirschnereit, 50, als Entdeckung des Mozartjahrs 2006. Die Sensibilität, Eleganz und das durchdachte Spiel, mit denen der Pianist die Überväter der Romantik von Schubert bis Schumann interpretiert, begeistert die internationale Fachwelt. 2009 gewann Kirschnereit den wichtigsten Schallplattenpreis der Branche, den Echo Klassik, für seine Weltersteinspielung des dritten Klavierkonzerts von Felix Mendelssohn Bartholdy. Zu dem Zeitpunkt hatte er längst einen festen Platz in der Belle Etage der zeitgenössischen Pianistenzunft. Nicht wenige seiner Produktionen kürte NDR Kultur in den vergangenen Jahren zu "CD's der Woche", darunter - wen wundert's - Aufnahmen mit Werken der Kirschnereitschen Lieblinge Schumann, Schubert und Mozart.

2011 gastierte er beim Rellinger Maifestival schon einmal im Kreis - und wurde vom Publikum gefeiert. Jetzt kommt er nach Pinneberg. Am Dienstag, 21. Mai, spielt der in Hamburg lebende Tastenzauberer und Klavierprofessor der Rostocker Musikhochschule, der sonst in großen Sälen wie der Münchner Philharmonie zuhause ist, Werke von Schubert, Mozart, Debussy und Mendelssohn in der Drostei.

Er freut sich auf das mit maximal 150 Plätzen überschaubare Terrain: "In kleineren Sälen wird die Musik des 19. Jahrhunderts auf ihre ursprüngliche Größe zurückgedreht", sagt er. "Gerade für so etwas Intimes wie einen Klavierabend eignet sich dieser Rahmen besser, vor allem, wenn der Saal eine schöne Atmosphäre hat." Im Übrigen bleibe Schubert Schubert - "egal, ob ich ihn vor 100 oder 2000 Leuten spiele".

Trotzdem ist klar, dass er mit seinem Programm Rücksicht auf die besonderen Gegebenheiten der Drostei nimmt. Heißt konkret: Dramatik ja, hämmerndes Dauerpathos nein. "Es liegt an der Kunst des Musikers, sein Spiel ans Instrument und den Konzertrahmen anzupassen."

Viel wichtiger als die Größe des Konzertsaals ist es Kirschnereit, eine Komposition so tief wie möglich zu ergründen und dabei zu einem Medium der Musik zu werden. "Man braucht eine Art Grundbesessenheit und den Willen, an die Grenzen des Ausdrucks zu gehen", sagt er. Er sucht nach der Logik und dem individuellen Idiom jeder Partitur. "Erst wenn ich die perfekte Klanglinie gefunden habe, dann bin ich mit einem Konzert zufrieden." Gerade bei dem Genie aus Salzburg sei das nicht so einfach. "Bei Mozart ist jede Note perfekt, da muss jeder Ton beseelt klingen. Das macht es so schwer. Bei Mozart sind Sie als Musiker splitternackt."

Kirschnereit entdeckte sein Herz für Mozart erst auf den zweiten Blick. "Er war mir anfangs zu leicht, zu elegant, zu oberflächlich." Das änderte sich mit dem Mammutprojekt, alle 21 Klavierkonzerte und die beiden Tasten-Rondos mit den Bamberger Symphonikern einzuspielen. Sechs Jahre dauerte das Unternehmen, das Kirschnereit als Mozartspezialisten berühmt und ihn zu einem Fan des Klassik-Wunderkinds machte.

Die Musik von Zeitgenossen ist Kirschnereit oftmals zu kopflastig

"Für mich ist er der menschlichste Komponist, weil alles, was er geschrieben hat, einen direkten Bezug zu unserem Leben hat", sagt er. Mozarts Musik klinge gleichzeitig erhaben und vulgär, verspielt und verzweifelt. Man müsse sein Werk von der Oper her denken, es vital und mit einem Schuss Frechheit behandeln, ohne dabei ins Billig-Geschmacklose abzugleiten. "Das ist ein schmaler Grat."

Neben Mozart und den großen Romantikern schätzt Kirschnereit vor allem Johann Sebastian Bach. "Bach ist reine Mathematik und gleichzeitig pure Emotion. Er ist das Größte."

Und was ist mit zeitgenössischen Komponisten? Vieles sei ihm zu kopflastig, zu sehr am Menschen vorbei komponiert, sagt Kirschnereit. Andererseits fasziniere ihn beispielsweise die Musik des Klarinettisten und Komponisten Jörg Widmann, und er setze sich gerade intensiv mit Wolfgang Rihms Arbeiten auseinander. Vor allem aber fehle ihm die Zeit, sich mit der "wahnsinnig reichhaltigen" zeitgenössischen Produktion auseinanderzusetzen. Denn mit 50 bis 60 Konzerten pro Jahr, seiner Rostocker Meisterklasse, neuen CD-Einspielungen, der Intendanz der Gezeitenfestspiele in Ostfriesland und nicht zu vergessen seinen beiden kleinen Kindern ist Matthias Kirschnereit ordentlich ausgelastet.

Der Klavierabend beginnt am Dienstag, 21. Mai, um 19 Uhr in der Drostei, Dingstätte 23. Karten zu jeweils 18, 15 beziehungsweise 13 Euro gibt es unter Telefon 04101/210 30 und in der Pinneberger Buchhandlung Bücherwurm, Dingstätte 24.