Tornescher Schüler haben eine Gehhilfe entwickelt, die problemlos Bordsteine meistert. Für ihre Erfindung wurden sie nun mit dem Jugend-forscht-Sonderpreis ausgezeichnet.

Tornesch/Bensheim. Manchmal ist es ein kleiner Ast, manchmal ein Stromkabel auf dem Wochenmarkt, das den Weg versperrt. Zumeist ist es ein Bordstein, der für Menschen, die auf einen Rollator als Gehhilfe angewiesen sind, zum fast unüberwindbaren Hindernis wird. Die vorderen Reifen bleiben am Bordstein hängen, wollen nicht auf den Bürgersteig hinauf. Da hilft nur ein mühsames Ruckeln und Anheben des Rollators - oftmals mitsamt den Einkäufen. Für die in ihrer Mobilität eingeschränkten Menschen bedeutet dies erhöhte Sturzgefahr.

Dieses derzeit alltägliche Bild könnte schon bald der Vergangenheit angehören. Denn Jannik Rank, Bjarne Görs und Moritz Hamminger von der Klaus-Groth-Schule haben einen Rollator entwickelt, der genial einfach ist und dennoch die Probleme effektiv löst. Für ihre Erfindung wurden die Tornescher Schüler nun mit dem Jugend-forscht-Sonderpreis der Christoffel-Blindenmission (cbm) ausgezeichnet.

"Es ist eine tolle Erfindung, die Menschen, die alt sind, wirklich nützt", sagt Dominik Bedorf von der cbm. Die cbm unterstützt weltweit Menschen mit Behinderungen, die etwa am Grauen Star oder Problemen mit dem Bewegungsapparat leiden. "Wir brauchen beständig Menschen, die sich Gedanken machen, wie Menschen mit Behinderungen effizient und auch kostengünstig geholfen werden kann", sagt Bedorf. Der Rollator der drei Tornescher sei ein perfektes Beispiel dafür, wie gehbehinderten Menschen das Leben einfacher gemacht werden könne.

Der Rollator funktioniert nach einem einfachen Prinzip: "Wir haben im vorderen Bereich die bisherigen einfachen Reifen abgebaut und statt dessen ein Sternrad montiert", sagt Jannik Rank. Die Haltegriffe wurden zusätzlich verlängert, sodass mit einer einfachen Hebelwirkung der Rollator im hinteren Bereich nach unten gedrückt wird und vorne die Rollen über das Hindernis fahren. Und damit die Hebelwirkung nicht versehentlich in Gang gesetzt wird, indem zu weit hinten angefasst wird, ist der hintere Griffteil mit Noppen versehen. Ein genial einfaches Prinzip, das aber noch niemandem vorher eingefallen ist. "Es gibt andere Versuchsmodelle, die zum Beispiel mit Schienen funktionieren. Diese können aber nur kleinere Objekte überwinden", sagt Bedorf. Das Tornescher Modell schafft dagegen mühelos bis zu 15 Zentimeter Höhenunterschied. "Das einzige, was damit nicht geht, ist Treppensteigen", sagt Hamminger.

Die Idee zu dem Stufenrollator kam den drei Jungs im Rahmen eines Robotikwettbewerbs an der Klaus-Groth-Schule, bei dem die Aufgabe gestellt wurde, etwas zu entwickeln, das älteren Menschen hilft. Die Schüler trafen sich daraufhin mit dem Seniorenbeirat des Altenheims und fragten nach, welche Probleme die älteren Menschen im Alltag hätten. Dabei fiel das Wort Rollator. Die Schüler ließen sich das Problem demonstrieren. Was sie sahen, ärgerte sie. "Es ist erschreckend zu sehen, wie manche Menschen an ihren Rollatoren herumzerren, um über die Bordsteinkante zu kommen", sagt Rank. "Dass einen dann so kleine Probleme wie ein Bordstein stoppen, das ist frustrierend", sagt der 15-Jährige. Das Altenheim war von dem Engagement der Jungs angetan und hatte prompt einen Versuchsrollator zur Verfügung gestellt. Dann, so erklärt Rank, hätten ihre Köpfe schon gerattert. Als ihnen Sackkarren einfielen, mit denen schwere Lasten über Stufen hinaufgerollt werden können, adaptierten sie die Idee und perfektionierten sie. Zehn Vorderräder, in Sternform montiert, drehen sich bei ihrem Rollator-Prototyp um eine gemeinsame Achse. Zu jeder Zeit berühren nur zwei Räder den Boden. Wenn ein Bordstein die Räder blockiert, kippt die Konstruktion mit leichtem Druck um eine Rolle nach vorne und schon geht die Fahrt weiter.

"Meine Oma hatte sich als Testperson zur Verfügung gestellt. Sie fand den Rollator toll", sagt Rank. Bis dieser alltagstauglich war, brauchte es aber etwas Zeit. Im September hatten die Schüler mit der Tüftelei begonnen. "Unsere ersten Entwürfe waren nicht ideal. Vieles war zu kompliziert", sagt Hamminger. Zu viel Technik war im Spiel. Sie vereinfachten ihr Modell, gingen zur Sternachsen-Konstruktion über. "Eine Herausforderung war, die passende Reifengröße zu finden", sagt Görs. Zu kleine Reifen bleiben im Kies ständig stecken, zu große Reifen machen die Gehhilfe sperrig. "Wir wollten, dass das Modell auch zusammengeklappt kompakt bleibt", sagt der 16-Jährige. Mit der jetzigen Konstruktion aus fünf Zehn-Zentimeter-Rollen pro Achse funktioniere der Rollator hervorragend. Die Materialkosten: nur 45 Euro. Wenn das alles perfektioniert werde und statt Kunststoff richtige Gummireifen eingesetzt würden, lägen die Zusatzkosten vielleicht bei maximal 100 Euro pro Rollator. Dafür wäre der Rollator aber leiser auf der Straße und besser gegen Stöße gedämpft.

Ihren Prototyp meldeten die Schüler in letzter Sekunde zum Jugend-forscht-Landeswettbewerb an. Für die ersten drei Plätze reichte es nicht. "Uns wurde gesagt, das sei zu einfach, nicht spektakulär genug", sagt Görs. Ganz anders die cbm: Sie erkannte das große Alltags-Potenzial des Stufenrollators und prämierte das Modell.

Auf ihren Lorbeeren ruhen sich die Jungs nicht aus. Sie verfeinern ihr Modell. Eine Beleuchtungsanlage für die Nacht haben sie bereits angebaut. "Wir hoffen jetzt, dass eine Firma das Projekt aufgreift und den Rollator baut", sagt Görs. Dass dies passieren wird, das sei, so Bedorf, nicht abwegig. "Das Modell ist das Beste, das ich in diesem Bereich bislang gesehen habe. Es ist serienreif."