Beim Barmstedter Kunsthandwerkermarkt zeigt Silke Menzel selbst gefertigte Bücher

Barmstedt. Irgendwann war der Moment gekommen, in dem Silke Menzel mit ihrer großen Liebe Schluss machte. Nach sechs Jahren, die eigentlich doch schön waren. "Ich hatte keine Lust mehr", sagt die 39-Jährige. Die Liebe zu ihrem Beruf, der Buchbinderei, schien erloschen. Was für kreative und handwerklich hochanspruchsvolle Dinge hatte sie in ihrer dreijährigen Ausbildung an der Universitätsbibliothek in Hannover gefertigt, ganze Bücher nach eigenen Ideen gestaltet. Hatte Iain Banks Krimi "Die Wespenfabrik" in einen Umschlag mit bezogenem Drahtgeflecht gehüllt, das aussah wie Bienenwaben. Hatte einem Rafik-Schami-Roman einen Graphitschnitt geschenkt und royalblaues Leder auf seinen Rücken gespannt. Papier marmoriert, die kunstvolle Japanbindung, sogar den Umgang mit Pergamenteinbänden geübt. "Ich hatte Zeit, alles auszuprobieren und zu erlernen. Anders als die Azubis in der freien Wirtschaft, die 100 Taschenbücher am Tag herstellen helfen", erinnert sie sich. Aber wie es so ist mit der Liebe, wurde aus der Leidenschaft irgendwann in Silke Menzels Gesellenzeit Routine: "Am Ende habe ich für die Uni hässlichen Pappbände mit Ausleihnummern angefertigt." Sie schloss das Kapitel Hannover, studierte in Hamburg Volkskunde, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte.

Gut, dass sich Silke Menzel mit ihrer ersten Liebe wieder versöhnt hat. Sonst gäbe es für die Besucher des Barmstedter Kunsthandwerkermarkts rund um den Rantzauer See am Donnerstag, 9. Mai, von 10 bis 18 Uhr, eine Attraktion weniger. Silke Menzel ist von Anfang an dabei. Momentan ist deshalb viel zu tun, den Seiten mit dem blauen Vorsatzpapier fehlt noch der Pressblumenumschlag, damit sie als Tagebuch oder Notizzettel Geschichten aufnehmen können. Vielleicht auch noch ein paar kleine Buch-Ohrringe mit Einbänden, kleiner als ein Geldstück. "Die sind auf Märkten immer sehr begehrt", sagt sie. Eine halbe Stunde benötigt Menzel für ein Notizbuch, oft produziert sie vor Ausstellungen 50 Stück zugleich, "damit bin ich dann schon ein paar Tage beschäftigt." Bücher zu reparieren - etwa eine alte Bibel mit gebrochenem Falz retten oder Omas zerfleddertem Kochbuch wieder zu neuem Glanz verhelfen - kann noch länger dauern.

Seit mittlerweile acht Jahren steht sie mehrmals pro Woche in ihrer kleinen Werkstatt hinter Barmstedts Ortsgrenze und widmet sich ihrem Beruf, der Buchbindekunst. Fast zärtlich streicht sie Leim über die Kante eines Stapels geschnittener Seiten, drückt mit liebevoller Genauigkeit himmelblaues Vorsatzpapier mit einem Werkzeug an, das an einen Brieföffner aus Elfenbein erinnert. "Das ist das Falzbein, aus Rinderknochen." Danach bedeckt sie das halbfertige Büchlein mit einem Gewicht, das an ein Bügeleisen erinnert. Neben ihr hockt Katze Olga und blickt kontemplativ auf Frauchens geschickte Finger. Silke Menzels Hände angeln abwechselnd nach Pinsel, Schere und Ahle, einem spitzen Metallpieker mit derbem Holzgriff. "Das ist das Universalwerkzeug meines Handwerks, sozusagen mein verlängerter Finger." Mit diesem hat sie schon tausende Seiten durchstochen, um Buchbinderfaden hindurchzuziehen, hat Papierschichten getrennt und Kanten angedrückt. An der Wand hängen Stickborten mit Blumenranken, Igelfamilien, Rehkitzen. Damit verziert Silke Menzel Kinderbücher oder Fotoalben. Ein paar Schritte weiter thront die Schlagpresse, ein blau lackierter 350-Kilogramm-Koloss, mit dem die Barmstedterin die Pflanzen presst, die anschließend hinter Maulbeerseide die Deckel ihrer Notizbücher zieren. Mit Hochdruck kann sie damit alles plätten, was sie in der Gegend oder auf ihrem Grundstück am Feldrand findet, ob Glockenblumen, Männertreu, oder Ahorn. "Ich habe ein Faible für Botanik. Manchmal muss ich aufpassen, dass mich der Garten nicht zu sehr von der Arbeit ablenkt", sagt sie.

Manchmal scheinen ihre Kunden eine Ahnung zu haben, warum sich Silke Menzel doch nicht von der Buchbinderei trennen konnte. Weil ihre Arbeit jedem gedruckten Buchstaben, jedem Motiv einen besonderen Wert verleiht. "Ich bemerke einen Trend zu handgefertigten Dingen", sagt sie. Es sei wie eine Gegenbewegung zum industriellen Einerlei. Alben etwa mit Familienfotos haben nach ihrer Ansicht einen schönen Einband verdient. "Solche Bilder haben Geschichte", bemerkt sie, seien Erinnerungen, die man vererben und immer wieder zur Hand nehmen könne.

Und so verwundert es nicht, dass Silke Menzel von sich sagt, sie habe "ein Auge für wertige Sachen". Schließlich erschafft sie sie selbst mit Hingabe. Und mit Liebe. Das muss die Ehefrau gespürt haben, die eines Tages mit einem Stapel Briefe in die Werkstatt der Barmstedterin kam. Die handgeschriebenen Blätter hatte der Ehemann der Kundin gesandt, jede Woche war ganz regelmäßig ein neuer Gruß dazugekommen. Nun sollten nach dem Wunsch der Gattin diese persönlichen Botschaften sprichwörtlich für immer zwischen zwei Buchdeckeln festgehalten werden. Ein Auftrag, in den sich Silke Menzel sofort verliebte.