Hilfe für Missbrauchsopfer aus Finanzgründen eingeschränkt. Beistand für traumatisierte Kinder läuft weiter

Elmshorn. Hilfesuchende abweisen. Sie wegschicken, sie vertrösten zu müssen. Für Ingrid Kohlschmitt, Chefin der Elmshorner Beratungsstelle Wendepunkt, keine schöne Vorstellung. "Aber wir haben uns mit dem Kreis darüber verständigt, dass wir eine Fallobergrenze für die Beratungsstelle gegen sexuellen Missbrauch setzen."

Der Wendepunkt mit Hauptsitz in Elmshorn und Außenstellen in Quickborn, Schenefeld und Hamburg bietet Hilfen für Kinder, Jugendliche und Familien in Krisen, nach Traumatisierungen, gewaltsamen oder sexuellen Übergriffen an. Keimzelle der inzwischen 22-jährigen Arbeit des Vereins ist die kreisweit tätige Beratungsstelle gegen sexuellen Missbrauch. Allein in diesem Bereich bearbeitete der Wendepunkt seit 1991 insgesamt 5533 Fälle. Geholfen werden überwiegend Opfern. Seit einiger Zeit übernimmt der Wendepunkt auch eine Täterarbeit. 2012 halfen die Experten 14 Kindern und Jugendlichen, die sexuell übergriffig waren, sowie 156 Opfern. Zehn Personen, bei denen eine Missbrauchsproblematik vermutet wurde, kamen zunächst auf eine Warteliste. In 17 weiteren Fällen schickten die Experten hilfesuchende Personen zu anderen Einrichtungen.

"Für diesen Bereich stehen uns vom Kreis 161.900 Euro zur Verfügung. Die Summe wurde seit 2012 nicht mehr angepasst", so Kohlschmitt weiter. Ihre Mitarbeiter würden analog zu den Tarifverträgen des öffentlichen Dienstes bezahlt, die Personalkosten seien aufgrund mehrerer Tarifabschlüsse gestiegen. "Um die Qualität unserer Beratungen aufrechtzuerhalten, müssen wir die Zahl der Fälle begrenzen", sagt die Wendepunkt-Chefin weiter. Sie weist darauf hin, dass laut Vertrag mit dem Kreis ohnehin nur 12,2 Mitarbeiterstunden pro Fall zur Verfügung stehen.

Projekt "Tipp-Kid" soll mit Spenden und Sponsorengeld weiterlaufen

Einen riesigen Ansturm erlebten die Wendepunkt-Mitarbeiter im vergangenen Jahr bei ihrem Modellprojekt "Tipp-Kid". Es steht als Abkürzung für die Begriffe Trauma, Intervention, Psychoedukation und Prävention bei Kindern und richtet sich an Kinder und Jugendliche, die Opfer von Gewalt im familiären Umfeld sind, die miterleben müssen, wie Eltern sich schlagen, die selbst misshandelt oder die von ihren Eltern vernachlässigt werden. "Wir sind aus diesem Bereich mit 191 neuen Fällen konfrontiert worden", erläutert Kohlschmitt. Das dreijährige Projekt, das von der Aktion Mensch finanziert wurde, lief Ende Januar aus. Kohlschmitt: "Wir machen trotzdem weiter, was die Beratung und Hilfestellung in diesem Bereich angeht." Eine Finanzierung erfolgt zunächst aus Spenden. "Wir müssen langfristig sehen, weitere Spenden zu sammeln und Sponsoren zu finden", sagt die Wendepunkt-Chefin.

Ein weiterer, wichtiger Bereich ist die Prozessbegleitung. Gewaltopfer, die vor Gericht gegen ihre Peiniger aussagen müssen, werden bei ihrem schweren Gang begleitet. "Unsere Hilfe setzt inzwischen bereits nach der Anzeigenerstattung ein", sagt die zuständige Mitarbeiterin Andrea Bünz. Nicht nur der Gerichtsprozess, auch die Zeit des Ermittlungsverfahrens sei für die Opfer eine große Belastung, so Bünz weiter. Seit 1995 unterstützte der Wendepunkt allein 488 Kinder und Jugendliche im Rahmen des Zeugenbegleitprogamms. 2012 kamen 43 neue Fälle dazu. Bünz: "Es sind viele Frauen darunter, die häusliche Gewalt erfahren haben."

Neben der Beratungstätigkeit ist das zweite Standbein des Wendepunkts die Fortbildung und die Prävention. 2011 nahmen 500 Eltern und 1400 Kinder und Jugendliche an Präventionsprojekten teil. "Die Nachfrage in diesem Bereich ist unverändert hoch", sagt Kohlschmitt. Viele Veranstaltungen werden von den Kommunen gezahlt - und zwar als freiwillige Leistungen trotz knapper Kassen.

Sehr erfolgreich bietet der Wendepunkt seit neuestem eine Fortbildung zur "Prima Klima-Fachkraft" an. Die Weiterbildung richtet sich an Personen, die im Bereich der schulischen Gewaltprävention tätig sind. "Die Teilnehmer kommen inzwischen aus ganz Schleswig-Holstein", sagt der Ansprechpartner Dennis Blauert.

Neu ist auch das Projekt "Der Kummerkönig hilft". Dahinter verbirgt sich eine Schulung, die medizinischem Personal in Kinderkliniken angeboten wird. Sie lernen Methoden, wie sie auf einfache, kindgerechte Weise mit ihren kleinen Patienten über deren Kummer reden können. Der Wendepunkt schulte 2012 insgesamt 121 medizinische Fachkräfte an zehn Kinderkliniken in Schleswig-Holstein.