Die Chorknaben Uetersen singen beim Schleswig-Holstein Musik Festival. Ihre älteren Mitstreiter veröffentlichen eine CD. Probenbesuch bei einer musikalischen Macht im Norden

Uetersen/Barmstedt . "Singen ist mein Hobby. Es macht einen Riesenspaß, die Gemeinschaft im Chor ist super. Und wenn mir jemand blöd kommt, weil ich singe, ist mir das egal. Ich stehe voll dazu." Lennard Trepmann, 17, brennt für die Chorknaben Uetersen. Vor zehn Jahren begann der Schüler aus Tornesch als Steppke im Vorchor. Vor acht Jahren schaffte er den Sprung in den Konzertchor, in dem knapp 50 Jungen diesseits des Stimmbruchs in den Sopran- und Altlagen gemeinsam mit den 31 Tenören, Baritonen und Bässen der Männerstimmen den größten Chor dieser Art in Hamburg und Schleswig-Holstein bilden. Jetzt zählt er zu den von den Jüngsten ehrfürchtig bestaunten "Anzugträgern", singt als Tenor bei den Männerstimmen.

Das 1965 als Chor der Uetersener Erlöserkirche von Ilse Rieth begründete Ensemble singt auf einem professionellen Niveau. Es gastierte in Schweden und den USA, tritt am 3. August unter Leitung von Eric Whitacre, weltweit gefragter Star unter den Chordirigenten, beim Schleswig-Holstein Musik Festival in Neumünster auf. Die Knabenstimmen des Ensembles sind für die prestigeträchtigen Aufführungen der Matthäus-Passion in der Hamburger Hauptkirche St. Michaelis gleich für die nächsten zehn Jahre gebucht. Im vergangenen September sangen sie in der Laeiszhalle zum 275. Geburtstag der ältesten Freimaurerloge der Welt eine Uraufführung - auf Bitten von Komponistin Gloria Bruni.

Die Qualität stimmt also. Doch der Chor hat auch einen Zulauf, um den die vier anderen Knaben- und Männerensembles in Kiel, Lübeck und Hamburg ihn beneiden dürften. Allein im Januar 2013 starteten 26 Erstklässler aus Uetersen und Umgebung in die dreijährige Vorchor-Ausbildung.

"Natürlich springen immer auch einige von ihnen wieder ab", sagt Chorleiter Hans-Joachim Lustig, 53. "Aber ich rechne damit, dass etwa 18 von ihnen es in den Konzertchor schaffen." Anders als bei manchen Jugendchören bleiben die Sänger in Uetersen bei der Stange, proben inklusive Einzelstimmbildung und monatlichen Probenwochenenden bis zu fünfmal pro Woche. "Dafür muss man schon die nötige Disziplin, eine gesunde Stimme und eine grundlegende Musikalität mitbringen", sagt Lustig.

Wie halten er und Stimmbildner Harald Stockfleth, 52, als langjährige ehemalige Chorknaben auch ein eingespieltes Team, ihr Ensemble bei so viel Probenstress bei Laune? "Ich glaube, es liegt an der richtigen Balance zwischen Spaß und Anspruch. Das muss sich die Waage halten", sagt der diplomierte Konzertsänger Stockfleth, der in Uetersen eine Musikschule betreibt. Eine Fuge zu proben und zu singen, sei als reine Spaßveranstaltung nicht zu schaffen. "Das ist echt anspruchsvoll."

Was dieser Mix aus Ernsthaftigkeit und lockerem Umgang praktisch bedeutet, lässt sich sehr anschaulich bei einer Probenfreizeit der Chorknaben in der Jugendbildungsstätte des Kreises Pinneberg in Barmstedt beobachten. Zwar ist der Umgangston locker, alle duzen sich, von Neuling Alexander Huckfeldt, 9, bis zu den Chefs. Lustig ist "Hajo", Stockfleth "Harry". Den langjährigen Jugendbetreuer Rolf Früchtenicht, 62, der am 16. Oktober 1965 zu den ersten Chorknaben überhaupt gehörte, rufen alle schlicht "Rolli". Zwischen den Proben spielen sie Fußball, albern herum, testen ihre Kräfte an der Kletterwand.

Doch es gibt klare Strukturen und Spielregeln. Die Größeren kümmern sich als Zimmerpaten um die Neulinge, helfen ihnen bei den gemeinsamen Proben, sich nach drei Jahren in einem 80-Mann-Ensemble und Partituren mit bis zu acht Stimmen zurechtzufinden. Und bei den Proben selbst ist die Konzentration quasi mit Händen zu greifen.

An diesem Vormittag kräuseln 20 Soprane zwischen acht und 14 Jahren geschmeidige Tongirlanden, feilen unter Anleitung von Stockfleth an sauberen a-Moll-Akkorden und präziser Phrasierung für Charles Gounods Vokalwerk "Pater Noster". Ein ähnliches Bild zeigt sich wenige Räume weiter, bei den Großen, den Routiniers. In T-Shirts und Schlappen versammeln sich hier weit mehr als 100 Jahre Chorerfahrung. Entsprechend hoch sind die Ansprüche von Lustig, als er mit ihnen am Titelstück der neuen CD "Light and Love" arbeitet, die im Oktober auf den Markt kommt. "Das muss erdiger kommen, ein bisschen dreckig", ruft er den knapp 20 jungen Männern im Raum zu. Denn der lettische Komponist Ugis Praulins lässt seine Vergangenheit als Rockmusiker in seinen Werken deutlich anklingen. Die geplante CD der Männerstimmen gemeinsam mit dem Saxofonisten Stefan Kuchel, die im Oktober 2013 auf den Markt kommen soll, könnte ein Meilenstein für die jungen, dunklen Stimmen werden. Chorchef Lustig hofft auf internationale Anerkennung, zumindest in der Fachwelt. Es ist die erste Scheibe, die das Ensemble bei einem professionellen Musikverlag herausbringt. Das auf anspruchsvolle Chormusik spezialisierte Label Rondeau verlegt unter anderem auch die Leipziger Thomaner. "Alle Stücke sind Weltersteinspielungen, die meisten wurden extra für uns komponiert", sagt Lustig. Für die ungewöhnliche Besetzung - Männerstimmen plus Saxofon - haben namhafte Komponisten zur Feder gegriffen. Der Amerikaner Ola Gjeilo, der Brite Paul Mealor, der Litauer Vytautas Miskinis und der Lette Praulins beispielsweise.

Am ersten Maiwochenende singen die Männerstimmen das Programm der CD live an fünf Orten im Kreis Pinneberg. In der Halstenbeker Erlöserkirche, dem Tornescher Pomm 91, der Kirche St. Michael in Moorrege sind sie am 4. Mai zu Gast. In der Pinneberger Heilig-Geist-Kirche und dem Martin-Luther-Haus in Uetersen gastieren sie am 5. Mai. Details zu der Minitournee gibt es unter www.chorknaben-uetersen.de.