Eine Krankheit veränderte sein Leben. Familienvater Thorsten L. ist einer von 227 Kunden der Schenefelder Tafel, die regelmäßig kommen.

Schenefeld. Er hätte nie gedacht, dass er sich einmal in die Ausgabeschlange der Tafel einreihen müsste. Thorsten L. ist 50 Jahre alt. Einmal pro Woche steuert er die neu gegründete Schenefelder Anlaufstelle für Bedürftige am Osterbrooksweg an. Dort holt er Lebensmittel für sich und seine Familie ab. Das von Unternehmen zur Verfügung gestellte Obst und Gemüse, die Tiefkühlware und das Brot wandern in seine Tüte für den symbolischen Euro. Das hilft der Familie sehr. Trotzdem sehnt er den Tag herbei, an dem er nicht mehr hingehen muss.

Thorsten L. ist Medizintechniker und Vater von zwei Kindern. Die Familie lebt in Schenefeld. Bis 2008 lief alles seinen relativ normalen Gang. Er hatte sein Auskommen, auch seine Frau arbeitete. Die Familie musste nicht übermäßig aufs Geld achten. Man ging vielen Hobbys nach. Doch dann tauchten plötzlich diese Hautpusteln auf. Hinzu kam, dass er auf Hitze und Kälte überempfindlich reagiert. Dann spürt er sie wieder nicht. 2008 kam er mit einer lebensbedrohlichen Blutvergiftung ins Krankenhaus. Von diesem Zeitpunkt an drehte sich sein Leben um.

Die Ärzte suchen nach der Ursache seiner Hauterkrankung. Seit fünf Jahren ist der Schenefelder krankgeschrieben. "Diese Ungewissheit macht mich verrückt", sagt er. Sie sorgt aber auch in finanzieller Hinsicht dafür, dass es dem Schenefelder nicht wirklich gut geht. Mit der Rentenversicherung ringt er um die Klärung seines Status. Derzeit bezieht er Hartz IV. 1200 Euro bekommt er insgesamt, seine Frau verdient noch etwas hinzu. Doch allein die Miete fresse 80 Prozent der 1200 Euro auf, sagt Thorsten L. Da bleibe nicht viel übrig. "Wir sparen an der Freizeit und an der Kleidung", berichtet der Schenefelder.

Als Hartz-IV-Empfänger hat er das Recht, die Tafel zu nutzen. Für einen Euro kann er dort Lebensmittel für seine Familie holen; Lebensmittel, die genießbar sind, aber aufgrund von Unternehmensrichtlinien oder Auflagen in der Mülltonne landen würden. Obwohl es Thorsten L. zusteht, die Tafel zu nutzen und das Angebot seine Familie finanziell entlastet, fiel es ihm wahnsinnig schwer, die Hilfe anzunehmen.

Besonders schwer war es für ihn, sich vor den Tafelmitarbeitern zu "outen". Denn Thorsten L. war von Anfang an bei der Vereinsgründung mit dabei. "Durch meine Krankheit bin ich ans Haus gefesselt. Ich wollte etwas machen", erklärt der Schenefelder seinen Antrieb. Als er das erste Mal von der Idee las, wollte er mithelfen. Er nahm Kontakt zu den Initiatoren auf.

Von der Idee bis zur Vereinsgründung im Mai und der Eröffnung in den gefundenen Räumen am Osterbrooksweg im Dezember 2012 dauerte es fast ein Jahr. Trotzdem traute sich Thorsten L. erst zwei Wochen vor der ersten Lebensmittelausgabe, den anderen Helfern zu sagen, dass er auch zu den Bedürftigen zählt. "Ich habe mit mir selbst gekämpft", erinnert er sich.

Der erste Schritt ist für viele der schwerste. Manche gehen ihn nie, wie Vorstandsmitglied Helga Butenuth weiß. Ihnen ist es peinlich, zum Ausgabetag zu kommen. Sie fürchten, von Nachbarn oder Freunden gesehen zu werden. "Ich weiß, dass es welche gibt, die diese Hürde bisher nicht überwunden haben, noch nicht", sagt Butenuth. Mit Aktionen wie einem Tag der offenen Tür will die Tafel gegensteuern.

Thorsten L. erinnert sich an seinen ersten Gang durch die Tafel-Räume genau. Während ihm die Helfer Lebensmittel überreichten, sei ihm viel durch den Kopf gegangen. "Es ist schwer. Ich habe eine Familie. Man fragt sich: Hätte man das verhindern können?", versucht er seine Gefühle in Worte zu fassen.

Seitdem sei die Scham überwunden, der 50-Jährige geht regelmäßig zur Schenefelder Tafel. "Wenn man den ersten Schritt gemacht hat, dann ist es okay. Und so kommt eben schon einmal Rindfleisch in die Suppe", sagt er. Für das, was er bekommt, gibt er aber auch etwas zurück: Zweimal in der Woche übernimmt er den Fahrdienst. Am Ausgabetag (donnerstags, 15 bis 17 Uhr) hilft er beim Einlass mit. "Aber als Kunde werde ich wie alle anderen behandelt", betont er.

Die Kunden der Tafel werden täglich mehr. Nach knapp vier Monaten haben sich bereits 227 Bedürftige aus der Stadt und der Nachbargemeinde Halstenbek registrieren lassen. "Das ist mehr, als wir je gedacht hätten. Für so reiche Gemeinden wie Schenefeld und Halstenbek ist das eine Menge", so Butenuth. "Das zeigt, wie notwendig dieses Projekt war."