Dvoráks “Stabat Mater“ in Rellingen zählt zu den Höhepunkten der Passionsmusik im Kreis Pinneberg

Rellingen. Wer am Karfreitag eine musikalische Alternative zu den klassischen Passionsoratorien sucht, die die vorösterliche Chorsaison im Kreis Pinneberg prägen, der könnte in der Rellinger Kirche fündig werden.

Dort singt die Kantorei am 29. März von 16 Uhr an das "Stabat Mater" des böhmischen Spätromantikers Antonín Dvorák. Karten kosten jeweils zehn, 20 oder 30 Euro. Seit September proben die Sängerinnen und Sänger unter Leitung von Kantor Oliver Schmidt, 39, für die 1880 uraufgeführte Vertonung des gleichnamigen mittelalterlichen Gedichts über die Schmerzensmutter Maria, die unter dem Kreuz steht und das qualvolle Sterben ihres Sohnes miterleben muss.

"Das 'Stabat Mater' wirkt sehr intensiv durch die gewählte Perspektive", sagt Schmidt. "Denn es betrachtet einen Ausschnitt aus der Passionsgeschichte, die Kreuzigung, aus dem denkbar schmerzhaftesten Blickwinkel: mit den Augen der Mutter."

Für den Chor sei das Werk eine echte Herausforderung, sagt der Kantor. "Jeder der zehn einzelnen Sätze hat in sich schon sehr intensive Spannungsbögen. Und das hintereinander zu bringen, über eineinhalb Stunden den großen Zusammenhang zu verdeutlichen, das ist nicht einfach." Überraschend wechselnde Tonarten und plötzliche Stimmungsumschwünge von tiefer Trauer zu Trost und Erlösung forderten die technischen Fähigkeiten der Sänger.

Um den Sängerinnen und Sängern die besondere Tonsprache und Melodik der tschechischen Musikikone nahezubringen, hat der Chorleiter ihnen moderne CD-Einspielungen zum Einhören zur Verfügung gestellt. "Dvorák unterscheidet sich gerade auf diesen Gebieten deutlich von Johann Sebastian Bach, dessen Musik wir in Vorbereitung auf das Weihnachtsoratorium sehr intensiv geprobt haben", sagt Schmidt. Die erfahrenen Amateure waren rasch begeistert von diesem Werk, das zu den wenigen großen Oratorien zählt, die Schmidts rühriger Vorvorgänger Wolfgang Zilcher nicht irgendwann in seinen 35 Amtsjahren aufgeführt hat.

Der bekennende Bach- und Schostakowitsch-Fan Schmidt schwärmt für die Komposition: "Jeder der Sätze hat seine eigene Schönheit. Dvorák vertont die theologischen Botschaften sehr sensibel, und man spürt seine persönliche Trauer und die Suche nach Trost." Denn der Komponist hatte zwischen 1875 und 1877 seine drei kleinen Kinder an Pocken und Vergiftungen sterben sehen müssen.

In seinen zwei Amtsjahren hat Oliver Schmidt in der Rellinger Kirchenmusik schon deutliche eigene Akzente gesetzt. Außer der Konzertreihe "12 x 19", bei der jeweils am 19. eines Monats um 19 Uhr unterschiedliche Ensembles kleine, feine Programme in der Kirche an der Hauptstraße vorstellen, sind seine eigenen Kompositionen ein Markenzeichen. Besonders nah seien ihm Orgel und Klavier, sagt Schmidt. Doch er hat außerdem Chormotetten, eine evangelische Messe und eine Doppelsonate für Klarinette und Klavier verfasst. Zurzeit arbeitet er an einer Solo-Arie für die Flötistin Judith Rietdorf-Michalski, Chefin des Rellinger Kammerorchesters. "Sie spielt brillant, es macht viel Spaß, mit ihr zusammenzuarbeiten." Zu seiner B-Prüfung als Kirchenmusiker gönnte Schmidt sich den exklusiven Spaß, seine eigene Klaviersonate zu spielen.

"Musik bietet einfach mehr Ausdrucksmöglichkeiten als die Sprache", sagt der Kantor. Vor allem deshalb komponiert er gern. Und zwar, seit er 19 war. Seit der Sache mit dem steinernen Athenischen Grablöwen im Berliner Pergamonmuseum. "Der stand im hintersten Raum, und sein Anblick hat mich gefangen genommen. Da war mein Kopf auf einmal voller Musik."

Ähnlich spontan kamen ihm die Motive für das "Kyrie" und das "Sanctus" seiner "Rellinger Messe" in den Sinn. "Das 'Kyrie' hat mich angesprungen, als ich hier in der Kirche für die A-Prüfung übte." Das "Sanctus" habe er in Berlin skizziert, auf einer Bank mit Blick aufs Kanzleramt. Zuvor hatte er sein persönliches Gelübde erfüllt, im Berliner Dom eine Kerze anzuzünden, sobald er die A-Prüfung bestanden hatte. Denn zur Vorbereitung blieb dem Kandidaten Schmidt kaum Zeit. Er arbeitete ja bereits als Kantor in Rellingen.

Schmidt sucht musikalisch neue Ausdrucksformen. "Aber atonal wird's nie." Es gehe ihm eher um das Zusammensetzen bestehender Elemente zu etwas Neuem, um das Überschreiten von Grenzen, wie das seit den streng reglementierten Gregorianischen Gesängen des Mittelalters auch berühmtere Kollegen getan haben.

Im Herbst steht die erneute Aufführung seiner Rellinger Messe an - diesmal begleitet ein Orchester Chor und Solisten. Einen erheblichen Teil der Kosten für die Musiker übernehmen dabei Sponsoren. Nicht nur finanziell stimmt in Rellingen für Schmidt das Umfeld: "Die Menschen hier machen es mir leicht, sind sehr musikbegeistert. Ich habe viele, die mitmachen wollen und viele, die das auch hören möchten." Und ein engagiertes Kirchenteam, in dem jeder seine Arbeit gern mache. Seine 39 bezahlten Wochenstunden reichen allerdings bei weitem nicht aus für die Dienstpflichten bei Hochzeiten, Taufen und Beerdigungen, für die Betreuung von Kantorei, Gospelchor und Bläserensemble, fürs Komponieren und Üben.

"Man braucht als Kirchenmusiker Idealismus", sagt Kantor Oliver Schmidt, der oft frühmorgens oder nachts auf der Orgelbank anzutreffen ist. "Mir macht die Arbeit hier in Rellingen Spaß. Sie ist sehr vielschichtig, und wenn ich etwas mache, will ich es auch gut machen."