Bürgerinitiative Haseldorfer Marsch warnt vor Plänen von Dow in Stade. Geplantes integriertes Energiekonzept sei eine Mogelpackung.

Haseldorf/Stade. Sie sind kampferprobt und können Erfolge vorweisen. Zwei geplante Kohlekraftwerke auf der anderen Elbseite haben die Mitglieder der vor fünf Jahren gegründeten Bürgerinitiative Haseldorfer Marsch mit gleich gesinnten Aktivisten aus Stade, Experten und Juristen schon verhindern können. Nun hat die Allianz, die sich gegen die Belastung von Mensch, Fauna und Flora durch Feinstäube und Umweltgifte starkmacht, den dritten und letzten geplanten Kohlemeiler im Visier. Mit einem sogenannten integrierten Energiekonzept will das Dow-Werk in Stade-Bützfleth langfristig seine Versorgung mit Strom und Dampf sichern. Dafür soll für rund 300 Millionen Euro ein Gas- und Dampfkraftwerk gebaut werden.

Jetzt gab es öffentlichen Protest vor dem Stader Rathaus. Der Entwurf des Bebauungsplanes liegt seit Montag im Stader Rathaus aus, anschließend im Bürgerbüro Haseldorf. Einwendungen sind bis zum 25. März möglich. Mitglieder der Haseldorfer BI, die seit Langem auf die gesundheitlichen Risiken von Kohlekraftwerken hinweisen, haben an der Stader Demo teilgenommen. Sie rufen die Bürger in der Haseldorfer Marsch sowie in den angrenzenden Kommunen auf der Geest in Haselau, Haseldorf, Heist, Hetlingen, Holm, Neuendeich, Seester, Seestermühe und Uetersen auf, sich dem Protest anzuschließen und dies mit einer persönlichen Betroffenheitserklärung zu unterstützen. Nur diese sei juristische Voraussetzung, um bei der behördlichen Erörterung dabei zu sein oder sich, etwa von der BI, vertreten zu lassen.

Warum die Marschbewohner so vehement gegen die Dow-Pläne kämpfen, legen die Sprecher Siegfried Zell und Peter Rühl dar.

Aufgrund der meteorologischen Verhältnisse, so Geochemiker Rühl, lasse sich der größte Teil der im Industriegebiet Stade freiwerdenden Schadstoffe in der Haseldorfer Marsch nieder. Messungen, die 2007/2008 im Auftrag der E.on vorgenommen wurden, hätten gezeigt, dass die Marsch vorbelastet sei mit Dioxinen und Furanen, die sich sogar im Muskelfleisch von Rindern ablagerten. Da Grenzwerte überschritten werden, müsse jedes Rind aus dem Deichbereich beim Verkauf untersucht werden. "Wir befürchten, dass mit den zu erwartenden Emissionen des Dow-Kraftwerkes das ohnehin gefüllte Fass überlaufen wird", sagt Rühl. Man sei nicht grundsätzlich gegen den Bau eines Kraftwerkes, versuche aber die Dow zu überzeugen, statt Kohle Gas als Brennstoff einzusetzen. Denn beim Einsatz von Gas entstünden die problematischen Schadstoffe nicht, Kohlendioxid werde um 30 bis 40 Prozent reduziert.

Der von Dow fürs geplante Kraftwerk vorgestellte Mix aus verschiedenen Brennstoffen wie Kohle, Wasserstoff, Gas und Biomasse sei eine Mogelpackung, sagt Diplom-Ingenieur Siegfried Zell. Nach Lektüre der vorliegenden Unterlagen schätzen die Experten der BI den Anteil der Kohle im Kraftwerk auf letztlich rund 85 Prozent. Wolfgang Werther, Diplom-Ingenieur für Elektrotechnik, hat die Unterlagen geprüft und im Hochglanzprospekt der Dow zum einen jede Menge technischer Unstimmigkeiten gefunden. Es fehlten zudem wesentliche Daten zur Nachvollziehung der technischen Prozesse. "Wir wollen da mehr sehen."

Der überwiegende Teil der Stader Ratspolitiker befürwortet den Bau eines kombinierten Gas-, Kohle- und Wasserstoff-Kraftwerks auf dem Werksgelände. Die Stader Grünen-Fraktion lehnt das Industriekraftwerk kategorisch ab. Und das, obwohl auch die neue rot-grüne Landesregierung in ihrer Koalitionsvereinbarung das Dow-Kraftwerk bejaht, weil es trotz des Einsatzes von Kohle als innovatives Projekt gesehen wird, bei dem auch Gas, Wasserstoff und Biomasse zum Einsatz kommen sollen.

Für das Stader Dow-Werk mit etwa 1500 Mitarbeitern und Hunderten Angehörigen von Vertragsfirmen sei eine gesicherte und kostengünstige Energieversorgung eines der wichtigsten Elemente der Zukunftssicherung, so Dow-Sprecher Joachim Sellner.

Das geplante Industriekraftwerk sei die dritte Stufe des "Integrierten Energiekonzeptes". In der ersten Stufe sind rund 100 Millionen Euro in einen Reservedampferzeuger investiert worden, der heute bereits in Betrieb ist. "In der zweiten Stufe wird derzeit für rund 300 Millionen Euro ein Gas- und Dampfkraftwerk gebaut, dessen erste Turbine noch Ende 2013 in Betrieb gehen kann", sagt Sellner. "Dow beschreitet Neuland und plant einen Mix aus Energieträgern, der auch umwelttechnisch zu beachtlichen Verbesserungen führt." So werde im neuen Konzept 40 Prozent weniger CO2 als beim Durchschnitt der deutschen Steinkohlekraftwerke erzeugt.

Jürgen Quentin von der Deutschen Umwelthilfe und Leiter der Anti-Kohle-Kampagne bezweifelt, dass der Wirkungsgrad des Kraftwerks wie behauptet bei 60 Prozent liegt: "Der Chemiekonzern müht sich, sein vermeintliches Industriekraftwerksprojekt als besonders effizient und umweltfreundlich hinzustellen. Es ist nicht besser als andere Steinkohlemeiler."

Auch Daniela Setton von der "klima-allianz deutschland" nannte das "mit einem bisschen Dampf und Biomasse aufgepeppte Kraftwerk" ein nicht durchdachtes Konzept. Hier seien nun die Stader Politiker und die Landesregierung in der Pflicht, die Energiewende nicht mit Klimakillern zu blockieren. Unter Feinstaub und Schadstoffen könnten der Obstanbau und die Viehzucht an beiden Elbufern leiden.

Kontakt zur BI Haseldorfer Marsch: 04129/10 33 (Peter Rühl), 04129/953 13 (Wolfgang Werther), 04103/33 63 (Siegfried Zell), 04129/97 59 86 (Jochen Pragal).