Im hochmodernen Trainingscenter von Interschalt Maritime Systems in Schenefeld dürfen Freizeitskipper ans Ruder von Containerriesen.

Schenefeld . Den guten Steuermann lernt man erst im Sturme kennen. Das soll einst der römische Philosoph Seneca gesagt haben. Der war, anders als wir jetzt, wohl nie bei Schietwetter auf der Unterelbe vor Brunsbüttel unterwegs. Aber passend zum Zitat des antiken Denkers verschlechtert sich das Wetter vor uns von einem Moment zum nächsten. Hohe Wellen lassen unseren 90-Meter-Küstentanker rollen, Wind in Stärke sieben und mehr peitscht den Regen gegen die Scheibe. Die Sicht verschlechtert sich schlagartig, dunkle Wolken hängen über dem Strom. Und das mitten im dichten Schiffsverkehr.

Auf der Kommandobrücke herrscht eine Atmosphäre gespannter Konzentration. Wo ist in der Waschküche der Frachter geblieben, der unseren Kurs zu kreuzen schien? War da nicht vorhin noch eine Fähre querab? Ulrich Grobe, 64, steht, die Beine gegen das Schlingern fest auf den Boden gestemmt und die Hände hinter dem Rücken, in der Mitte der Brücke, späht hinaus in den Sturm und gibt präzise Anweisungen. "Jetzt Steuerbord, etwas mehr Steuerbord." Niels Jensen, 63, befolgt die Anweisungen und steuert das Schiff behutsam in die Einfahrt des Nord-Ostsee-Kanals hinein und auf die Brunsbütteler Schleusenkammern zu.

Zwei ambitionierte Freizeitskipper aus Pinneberg und Borstel-Hohenraden ohne Kapitänspatent haben das Kommando auf einem Seeschiff auf einer der am meisten befahrenen Routen der Welt. Heller Wahnsinn? Nein, ein Spaß, wie die beiden Mit-Sechziger später sagen - und alles nur eine perfekt gemachte Simulation.

Statt in rauer See und gefährlichem Fahrwasser auf der Unterelbe befinden sich Grobe und Jensen hoch und trocken am Osterbrooksweg in Schenefeld. Hinter der unscheinbaren Fassade eines Industriebaus verbirgt sich das hochmoderne Maritime Education & Training Center (MET) des Unternehmens Interschalt Maritime Systems. Namhafte Reedereien wie zum Beispiel auch Hapag-Lloyd lassen ihre Kapitäne und andere Seeoffiziere in Schenefeld trainieren. Auf den vier Brücken des Simulators finden sich identische Elektrik und Elektronik, wie sie Interschalt Maritime Systems auf echten Schiffen fast jeder Art in aller Welt einbaut.

Organisiert von der Volkshochschule Bönningstedt, sind an diesem Abend insgesamt 20 Nicht- beziehungsweise Hobby-Seefahrer bei Interschalt zu Gast, um einmal im Leben Herr über einen 300-Meter-Containerriesen zu sein. Einen solchen Giganten müssen die Mitglieder der VHS-Gruppe in der zweiten Übung durch den Hafen von New York steuern. Als am (künstlichen) Horizont die Skyline von Manhattan auftaucht, gibt es einige Ahs und Ohs auf der Brücke. Handys werden gezückt, um Erinnerungsfotos von der Freiheitsstatue zu machen, die an der Backbordseite ins Bild kommt.

Man habe zum Beispiel auch die Häfen von Shanghai, Southhampton, St. Petersburg oder Beirut im Simulationsprogramm, sagt Axel Schult. Einzig der heimische Hamburger Hafen fehle. Der frühere Schnellbootkommandant der Bundesmarine und spätere Kapitän in der zivilen Seefahrt leitet das Trainingszentrum in Schenefeld. Schult spricht mit Blick auf die High-Tech-Schulungsräume vom "Raumschiff Enterprise". 40 Computer gleichzeitig laufen während der Simulation, die Projektoren schaffen ein optisch dermaßen echtes Szenario, dass sich alle Teilnehmer im Seemannsgang über die schwankenden Planken bewegen - obwohl sich der Boden in Wirklichkeit natürlich um keinen Millimeter bewegt. Auf höchster Wind- und Wellen-Stufe kann der 3-D-Simulator für ganz echte Seekrankheit sorgen . . .

Schult und die anderen Instruktoren können per Mausklick nicht nur die Wetterbedingungen ändern, indem sie etwa urplötzlich dichten Nebel aufziehen lassen, sondern auch Hindernisse wie Container oder Baumstämme im Wasser platzieren, die die Brückenbesatzungen erkennen und umfahren müssen. "Wenn Sie so etwas für zu Hause möchten, sind Sie ab zwei Millionen Euro aufwärts dabei", sagt Schult zu den Kurzzeit-Kapitänen. Und erntet ein Raunen. "Das aber ist immer noch viel billiger, in solche Schulungen zu investieren, als wenn sie mit einem 16.000-Tonnen-Schiff bei Blankenese in die Böschung knallen." Im Simulator indes könne man nichts kaputt machen.

Ulrich Grobe, der bis 2011 die Elmshorner Zweigstelle der IHK geleitet hatte, und Niels Jensen, Diplom-Ingenieur in der Chemiebranche, hätten ihren dicken Pott auch in der Wirklichkeit weder auf Grund noch an die Schleusenmauer gesetzt. Grobe hat schon reichlich reale Erfahrungen mit der Kanaldurchfahrt in Brunsbüttel. "Seit über 15 Jahren fahren wir diese Strecke mit dem Museumsschiff 'Scharhörn', ich stand schon oft am Ruder", sagt der 64-Jährige. Die Möglichkeiten, die der Simulator biete, seien unglaublich, so der Pinneberger. Jensen, ebenfalls Segler und Sportbootführer, war 1968 nach dem Abi auf einem Frachter über den Atlantik gefahren. "Ich war Rostklopfer, und durfte auf freier See auch einmal das Ruder halten", sagt der 63-Jährige. "Das hier ist ein Riesenspaß."