Eine Internet-Befreiung von Martina Tabel

Keine Einladung zum Geburtstag. Kein Zeichen von der Liebsten. Kein Anruf vom Enkel: Vergessen zu werden, das war früher das Schlimmste. Heute wird es zum schützenwerten Luxusgut erklärt. Und das zeigt die Dramatik modernen Lifestyles. Denn unbemerkt zu bleiben, scheint im Medienzeitalter fast unmöglich. Die Privatsphäre ist so bedroht, dass die Europäische Union sich dieser Sache annimmt. EU-Kommissarin Viviane Reding fordert ein "Recht, vergessen zu werden". Das ist technisch kaum noch machbar. Was das Internet einmal schluckt, gibt es nicht wieder her. Wer beherrscht hier wen?

Millionen Daten fliegen munter durchs Netz. Angaben, die zu einem Persönlichkeitsprofil zusammengesetzt den Menschen als berechenbare Kauf-Kreatur in die Umlaufbahn einer nicht steuerbaren Kommunikation schleudern. Das Netz weiß, wohin ich meine letzte Urlaubsreise gemacht habe - oder machen wollte. Und bietet mir beim nächsten Mal gleich das Passende an. So bequem. So einfach. Wenigstens mein PC versteht mich! Er durchschaut mich sogar. Aber blickt auch der User noch durch und weiß, was er tut?

Die sozialen Netzwerke und die Suchmaschinen sind Fluch und Segen zugleich. Googeln ist ein neues Verb und eine neue Daseinsform. Der Computer vergisst nichts. Jeder Schrott wird archiviert. Und wir? Wir vergessen das Wichtigste: auszuschalten, abzuschalten und sich dafür an das altmodische Wort Privatsphäre zu erinnern. Um endlich wieder Zeit und Muße dafür zu haben, das Allerwichtigste nicht zu vergessen: den anderen.