Mit der Ausstellung “Begegnungen - Beziehungen“ im Stadtmuseum Wedel gewährt Tamara Nickel persönliche Einblicke.

Wedel . Dass sie sich ausgerechnet in Köln einmal so sehr fremdschämen müsste, das hätte Tamara Nickel nie gedacht. Köln, das doch als so tolerant und weltoffen gilt. Aber genau dort hatte die Wedeler Grafikerin und Malerin eine so unangenehme Begegnung, dass ihre Stimme auch mehr als zehn Jahre nach dem Vorfall noch aufgebracht klingt, wenn sie davon erzählt.

"Es war in der Bahn. Ich hörte, wie ein Mann einen Farbigen anpöbelte." Offenbar war die zierliche blonde Künstlerin die einzige, die die Szene wütend machte. Niemand sonst regte sich, keiner hatte den Mut, den Rassisten zur Rede zu stellen. "Ich bin hingegangen und habe gesagt, er soll sich mal selbst ansehen, ob er glaube, er sei etwas Besseres. Und wie unmöglich ich sein Verhalten fände." Erst, als der fremdenfeindliche Bahnfahrer ausgestiegen war, beglückwünschten Mitreisende sie für ihre Zivilcourage. "Ziemlich arm" findet sie das heute.

Ihre Zeit in Köln hat sie trotzdem in guter Erinnerung behalten. Wegen der Lebensfreude, die die meisten Rheinländer ausstrahlen und deren Temperament ihrer eigenen Offenheit und ihrem Optimismus ähneln. Sie hat dieser Stadt mit ihrer Collage "Zeitreise II" sogar eine persönliche Hommage gewidmet. Das quadratische Format, das nur so vor purpurrotem Acryl strahlt und auf dem sonnengelb und grün die Umrisse des Kölner Doms leuchten, scheint zu pulsieren wie eine Metropole bei Nacht. Namen von Straßen, von denen Tamara Nickel vermutlich jeden Gullydeckel kennt, stehen neben Schlagworten, die auf ihr damaliges Leben passten: "Party", "Die beste Zeit im Leben", "Perspektiven". Dazwischen, klein, das Wörtchen "einsam". Denn in der Fremde erwachsen aus Begegnungen erst langsam Beziehungen.

"Begegnungen -Beziehungen" heißt auch die Ausstellung im Stadtmuseum Wedel, Küsterstraße 5, in der "Zeitreise II" vom 1. März an bis zum 28. April zusammen mit etwa 25 Collagen, Mischtechnik-Kleinformaten und Skulpturen der Künstlerin zu sehen ist. So unterschiedlich wie Menschen reagieren, wenn sie einander begegnen, mutig oder zurückhaltend, überschwänglich oder feindselig, so bunt und facettenreich ist das Gezeigte. Gemeinsam ist allen Werken, dass sie anregen zur kritischen Selbstreflexion. Etwa im Hochformat-Tryptichon "Verliebt, verlobt, verheiratet", eine Liebesgeschichte in leuchtenden Gelb- und Rottönen, deren Ausgang offen bleibt - das dritte Bild des Trios zeigt Trennung, aber auch Versöhnung. "Ich möchte aber nichts vorgeben, wenn jemand ein Bild anders versteht, als ich es vielleicht gemeint habe, ist das kein Drama", sagt Nickel. Ihre Bilder sollten schließlich kein offenes Buch sein, in dem die Betrachter ihr Leben nachlesen könnten. Doch genau das lässt sich nicht vermeiden. Wer vor den bunten Leinwänden steht, wird unversehens zum Voyeur.

Das liegt zum einen an Tamara Nickels typischem Stil, mit dem sie Techniken, Motive und Schrifttypen zu einem Nebeneinander und Übereinander fügt, das auf den ersten Blick fast reizüberflutend wirkt. Ihre expressiven Arbeiten, auf denen Zeichnungen, Handgeschriebenes oder Gedrucktes durchscheinen, transportieren auf wenigen Quadratmeter Leinwand Hunderte kleiner Nachrichten. Was nicht verwundert, schließlich hat die 42-Jährige zwölf Jahre lang für Werbeagenturen gearbeitet, nennt Kommunikation ihre Stärke und weiß, wie Worte wirken. Optisch wie inhaltlich.

Wer Tamara Nickels Collagen liest, kommt sich deshalb ein wenig vor wie beim verstohlenen Blick in ein unveröffentlichtes Manuskript. Doch die Wedelerin blättert mit ihrer Kunst die bunten Seiten des Lebens freiwillig auf - auch ihres eigenen. Der Betrachter darf ruhig wissen, welche Begegnungen und Beziehungen sie hinter sich hat.

Vor allem, wenn es sich um schöne und prägende handelt, wie etwa in dem zartfarbigen "Liebe Grüße, Dein Günther": Es ist ihre Hommage an Günther Schmidt, dem 2009 verstorbenen Leiter der Togal-Werke. Der Unternehmer war Tamara Nickel im Bayern-Urlaub mit ihren Eltern begegnet. Die damals 18-Jährige fand den Herrn über die Kopfschmerztabletten so faszinierend, dass sie ihn unbedingt zeichnen wollte. Tamara Nickels Vater arrangierte ein Treffen, der wohlhabende und gleichzeitig unprätentiöse Schmidt saß geduldig Modell. Am Ende wurde eine Freundschaft daraus. Bis zu seinem Tod schrieben sie sich Briefe.

"Tamara Nickels Ausstellung ist auch deshalb so spannend, weil wir so viel über ihr Leben erfahren, und der Schaffensprozess so klar dargelegt ist", sagt die Wedeler Museumsleiterin Sabine Weiss.