Die Angeklagten gestehen, den Jungen in einer Elmshorner Wohnung traktiert zu haben. Das Motiv war offenbar ein Racheakt.

Elmshorn/Itzehoe. Es war ein wahres Martyrium, das Henrik R. in einer Elmshorner Wohnung durchlebte. "Die wollten mich umbringen", so der heute 15-Jährige am Donnerstag mit leiser Stimme. Während seiner Schilderung saßen seine Peiniger, Kevin N. , 20, und Marcel A., 23, mit betretener Miene einige Meter entfernt auf der Anklagebank im Saal des Landgerichts Itzehoe.

Was sich in der Nacht zum 18. April 2011 in der Wohnung von Kevin N. an der Hoyerstraße abspielte, will die Dritte Jugendkammer an zwei Prozesstagen aufarbeiten. Die Richter müssen sich auch mit mehreren Straftaten befassen, die Kevin N. nach seinem Umzug nach Kiel im Januar 2012 verübte. Darunter befinden sich weitere gewaltsame Übergriffe, unter anderem wurde ein Bekannter von Kevin N. in dessen Kieler Wohnung eingesperrt und übelst misshandelt.

Dieser Vorfall weist deutliche Parallelen zu dem von Henrik R. auf. Mit einem Unterschied: Das Elmshorner Opfer war zur Tatzeit erst zwölf Jahre alt. "Ich hatte zu der Zeit viel Stress Zuhause, auch in der Schule. Mir war damals egal, wo ich geschlafen habe", so der heute 14-Jährige. Er räumte auch ein, vor der Tat gemeinsam mit dem Hauptangeklagten Kevin N. Sachbeschädigungen in Elmshorn begangen zu haben. Unter anderem traten beide an fünf Autos die Spiegel ab. Ein Richter brummte Kevin N. dafür Sozialstunden auf, Henrik R. wurde nicht belangt, weil er noch strafunmündig war.

Hier könnte das Motiv für den Gewaltexzess liegen, der sich in der Wohnung abspielte. "Kevin war sauer, weil Henrik so davongekommen ist", so der zweite Angeklagte Marcel A. Er bezeichnete die Übergriffe als "Racheakt". Kevin N. indes hatte eine andere Erklärung. "Wir wollten ihn nur erschrecken, dann ist das aus dem Ruder gelaufen."

Gegen 20 Uhr war der Zwölfjährige mit zwei Freundinnen in der Wohnung von Kevin N. aufgekreuzt. Dort gab es stets Alkohol - und auch Drogen. "Ich wollte da eigentlich nicht hin, weil ich wusste, dass Kevin ein schlechter Umgang für mich ist", so Henrik R. Die Mädchen hätten jedoch darauf bestanden, dort vorbeizuschauen - und um sie zu beschützen, sei er mitgegangen.

Als die Mädchen die Wohnung gegen 22.30 Uhr verließen, sei ihm von den Angeklagten der Weg versperrt worden, so Henrik R. weiter. "Die haben die Tür abgeschlossen und immer weiter getrunken." Er habe sich dann hingelegt und sei eingeschlafen. "Plötzlich weckten sie mich auf und schlugen auf mich ein", sagte das Opfer. Bei Schlägen sei es nicht geblieben. Henrik R. berichtete von Fußtritten mit schweren Springerstiefeln gegen seinen Körper, zudem sei er massiv gewürgt worden. "Ich musste mich daraufhin übergeben." Auch sei er mit einem Schraubenzieher traktiert worden.

Dieser Ablauf deckt sich zu großen Teilen mit den geständigen Aussagen der Angeklagten. "Wir haben ihn hochgerissen, angeschrien und auf ihn eingeschlagen", so Kevin N. Er räumte ein, nach den ersten Schlägen einen Schraubenzieher geholt und ihn seinem Mitangeklagten gegeben zu haben. "Er fragte mich nach einem spitzen Gegenstand." Dass Marcel A. mit dem rostigen Schraubenzieher auf den wehrlosen Jungen einstach, dass dieser bald dann blutete, all das will Kevin N. nicht wahrgenommen haben.

Dass der Zwölfjährige weinte und seine Peiniger anflehte aufzuhören, blieb ihm nicht verborgen. Auch Marcel A. räumte ein, dies vernommen zu haben. "Aber wir haben das ignoriert." Stattdessen drohte das Schläger-Duo dem Zwölfjährige an, ihm das Genick zu brechen. Auch schleiften sie ihn zur Balkontür und drückten seinen Mund auf eine Metallschiene, wo er reinbeißen sollte.

"Wir nannten das Kantstein beißen", so Marcel A. Ihm sei aufgefallen, dass der Zwölfjährige blutete. "Da hat das bei mir Klick gemacht und ich habe mich gefragt, was ich hier bloß für eine Scheiße baue." Der Angeklagte gab an, er habe daraufhin Henrik R. zur Flucht aus der Wohnung verholfen. Das Opfer allerdings bestritt das. Der heute 14-Jährige will einen günstigen Moment abgepasst haben, als beide Angeklagten kurze Zeit nicht aufpassten und abgehauen sein. Henrik R. erlitt mehrere Stichwunden, von denen Narben blieben. Eine Entschuldigung seitens der Angeklagten nahm er nicht an.

"Der Junge rief, 'Lass mich rein, die wollen mich umbringen'", sagt Bernd M., der drei Häuser entfernt wohnt. Zu ihm lief Henrik R. nach seiner Flucht aus der Wohnung. "Er hat geblutet, war völlig verängstigt." Der Nachbar verständigte die Polizei, die die beiden Peiniger einige Minuten später festnahm.

Kevin N. und Marcel A. waren zum Tatzeitpunkt Nachbarn. Und sie wohnten nicht nur im selben Mehrfamilienhaus, sie teilten auch die Leidenschaft für Alkohol. Vier -bis fünfmal pro Woche kamen sie zu Saufgelagen zusammen, räumten die Angeklagten ein. Bei Kevin N. führte der Alkoholexzess immer wieder zu gewalttätigen Übergriffen. Daher steht zur Debatte, den 21-Jährigen dauerhaft in einer Entzugsklinik unterzubringen. Diesen Punkt wird der psychiatrische Sachverständige Klaus Behrendt am nächsten Verhandlungstag beleuchten.

Er wird auch darlegen, ob eine mögliche psychische Erkrankung beim Hauptangeklagten zu einer milderen Bestrafung führen muss. Weil Kevin N. zur Tatzeit dank seines Alters Heranwachsender war, gilt für ihn ohnehin das Jugendstrafrecht. Marcel A., der damals bereits 21 Jahre alt war, wird nach dem Erwachsenenstrafrecht behandelt. Im Hauptanklagepunkt wird dem Schläger-Duo gefährliche Körperverletzung vorgeworfen. Die Höchststrafe liegt bei zehn Jahren. Das Verfahren wird am 26. Februar fortgesetzt, dann werden auch die Urteile erwartet.