Zum 40. Geburtstag gewährt der Kunstkreis Schenefeld Kulturfreunden besondere Einblicke

Schenefeld. In der Vitrine stehen Menschen. Lebendige, echte Menschen, die sich miteinander unterhalten, sich umsehen, hin und her wandern. Wer am vergangenen Wochenende zufällig über den Holstenplatz in Schenefeld schlenderte und durch die große Fensterfront in den Ratssaal der Stadt blickte, konnte sie ungestört beobachten wie durch das Glas eines Ausstellungsschranks: Vernissagebesucher, die Anna Gudjonsdottirs Bilder sehen wollten. Unter dem Titel "Vitrine" verwandeln die meterhohen Exponate der isländischen Künstlerin den Sitzungsraum des Rathauses am Holstenbplatz 3 - 5 in Schenfeld bis zum 17. Februar in einen begehbaren Schaukasten.

Gudjonsdottir hat ihre Werke eigens für die Stirnseiten des Ratssaals angefertigt, die großformatigen Arbeiten schillern organisch in verschiedenen Grautönen. Es wirkt, als seien die Leinwände zusätzliche Fensterfronten, durch die der Betrachter hinausblickt. In Februarniesel, Schneematsch oder gegen verwaschenen Beton.

"Je länger man die Bilder ansieht, umso mehr erkennt man", sagt Ursula Wientapper, seit Mai vorigen Jahres Vorsitzende des Kunstkreises Schenefeld, der die Ausstellung organisiert hat. "Man kann sich fragen, wer eigentlich drinnen ist und wer draußen", sinniert ihr Vorstandskollege Michael Behrens. "Das erinnert an die beiden Laborratten, die sagen: Den Mann im weißen Kittel haben wir gut trainiert - der bringt uns immer Futter." Solche mal humoristischen, mal philosophischen, dann wieder ernsthaften Gedanken pflegen die Kunstkreis-Mitglieder inzwischen seit 40 Jahren. Seit der Gründung 1973 ist "Vitrine" die 161. Werkschau, die der Kunstkreis zeigt, und die erste von drei geplanten Ausstellungen im runden Geburtstagsjahr.

Vermutlich unabsichtlich passt der Titel auch zur Mission, die der Kunstkreis seit vier Jahrzehnten verfolgt: Ein Jahr nachdem Schenefeld die Stadtrechte erhalten hatte, taten sich zehn Kulturinteressierte zusammen, viele von ihnen Lehrer an der Grundschule Altgemeinde, um Hamburgs Nachbarstadt gewissermaßen zu einem Schaukasten für Kultur und bildende Kunst zu machen. Seitdem organisiert der Verein viermal jährlich hochkarätige Werkschauen, für die inzwischen annähernd 200 Mitglieder gibt es Künstlervorträge, Lesungen und Ausstellungsbesuche, etwa der Documenta in Kassel. Bei den "Schenefelder Aktivitäten" können sie außerdem alle zwei Jahre etwa 150 eigene Arbeiten im Ratssaal präsentieren.

Das Programm des Vereins lebt einerseits von Abwechslung. Der Vorstand schafft an den Ausstellungsorten Rathaus, dem Stadtzentrum Schenefeld und der Volkshochschule ein vielfältiges Forum für bildende Kunst, Fotografie, Grafik und, dank Wientappers Vorgängerin Ingrid Ullrich, Bildhauerei. Andererseits ist auch die Konstanz Markenzeichen des Kunstkreises: der Gründungsvorsitzende Kurt Gerntke prägte den Verein 27 Jahre lang, bevor Ingrid Ullrich die Leitung übernahm. Und auch Ursula Wientapper war bereits im Kunstkreis aktiv, bevor sie die Nachfolge antrat. Dass die Kulturinteressierten trotzdem offen für Weiterentwicklung sind, beweist die aktuelle Ausstellung. Den Ratssaal gestalterisch zu einem begehbaren Bild umzufunktionieren, bei dem der Passant auf der Straße zum neugierigen Gaffer und der Besucher zum Anschauenden und Anschauungsobjekt zugleich wird, "ist etwas völlig Neues", sagt Wientapper.

Schon in der Vergangenheit gab es vieles zu sehen, das Mitgliedern und Besuchern im Gedächtnis haften blieb. Die Vorsitzende erinnert sich besonders gern an Lucia Beatriz Figueroa, die mit ihren Figuren aus Ton und Papier vergangenes Jahr sprichwörtlich Leben in den Ratssaal brachte: "Das war eine Powerfrau, die kam an und füllte den Raum", sagt Wientapper. Ähnlich beeindruckt war ihre Vorstandskollegin Gerda Freytag-Permien vor mehr als zehn Jahren, als sie Peter Lödings Farbholzschnitte sah: "Allein die Größe der Arbeiten und die riesigen Druckstöcke, die er mitbrachte, faszinierten mich", sagt sie. Genau wie die Motive, die auf den ersten Blick kindlich-naiv und bei genauem Hinsehen kritisch und fast surrealistisch erscheinen. Michael Behrens, stellvertretender Kunstkreis-Vorsitzender, geriet kürzlich in den Sog von Michael Oppermanns collagenartigen Malereien, auf denen sich Dargestelltes grotesk und fast bedrohlich überlagert: "Das hatte auf mich, der selbst malt, eine wahnsinnig starke Wirkung." Die Ausstellungsplakate zu den Lieblingsausstellungen des Vorstandstrios und viele weitere aus 40 Jahren Kunstkreis-Engagement sind derzeit in einer Sonderschau im Obergeschoss des Stadtzentrum Schenefeld zu begutachten, wo der Kunstkreis im Geburtstagsjahr einen leer stehenden Raum als Galerie nutzen darf.

Ein Glücksfall. Der Kunstkreis hatte noch nie seit seiner Gründung einen eigenen Raum zur freien Verfügung. Keine Möglichkeit, Werke länger als zwei Wochen am Stück zu zeigen. Dem Kunstkreis fehlt eine eigene Vitrine, um sich zu präsentieren. "Wir wünschen uns, endlich nicht mehr heimatlos zu sein", sagt Ursula Wientapper. Doch dafür bräuchte es einen Sponsor. Und den wird der Vorstand vermutlich noch nicht gefunden haben, wenn Anna Gudjonsdottir ihre Bilder abhängt und Passanten von der Straße aus wieder in einen ganz alltäglichen Ratssaal sehen.