Lage von drei Rellinger Villen ist seit dem Bau der Autobahn 23 in den 60er-Jahren bundesweit einzigartig. Fünf Meter hohe Mauer als Segen.

Rellingen. Jörn Breuß wohnt auf einer Insel. Drei Häuser in der Hauptstraße 123 bis 127 stehen darauf, dicht bei einander, das von Breuß in der Mitte. Die mit Schmucksäulen und Stuckornamenten verzierten Fassaden zeugen noch immer von Glanz. Auf den ersten Blick wird deutlich: Diese Häuser sollten ihren Bewohnern mehr als nur ein Dach über dem Kopf bieten, vielmehr sollten sie eine Heimstatt werden für Generationen. Ihr Erbauer ließ sogar Namen auf die Fassaden pinseln. Villa Frieda zeigt sich in einem satten Grünton, Villa Helene in der Mitte leuchtet weiß. Nur die gelbe Villa rechts außen trägt keinen sichtbaren Namen.

Wer vor den Villen stehen bleibt und die Augen schließt, könnte meinen, das Plätschern von Wellen zu hören, aber kein Meeresrauschen umtost die Häuser, sondern Straßenverkehr sorgt für den Sound. Links führt die Autobahn A 23 vorbei, rechts winden sich die Auf- und Abfahrt um die Gärten und vor den Häusern braust der Verkehr auf der Rellinger Hauptstraße. Jörn Breuß wohnt gern in seiner Villa auf der Insel. "Ich habe hier meine Kindheit verbracht, das war wunderschön. Ich war viel in der Natur und habe oft in der Rellau gebadet", sagt der 61-Jährige. Sechs Personen wohnten in dem knapp 180 Quadratmeter großen Haus mit Erker unter einem Dach. "Außer meinen Eltern und mir waren das das Eigentümerpaar und eine ältere Dame", sagt Breuß.

Nebenan, in der Villa Frieda wohnte ein Graf von Bülow mit seiner Familie. Auf dem großzügig bemessenen Grundstück war genügend Platz für Pferde, die mit samt verschiedenen Kutschen in einem großen Stall hinter dem Wohnhaus untergebracht waren. "Vier Schimmel zogen die Kutsche", erinnert sich Jörn Breuß. Nachdem die Familie des Grafen weggezogen war und neue Besitzer ohne Pferde einzogen, verfiel der Stall und wurde überwiegend als Abstellkammer genutzt. Für die Kinder von der Insel, die damals noch keine Insel war, gab es viel zu sehen. Ein altes Klavier stand in dem alten Stall und Säcke voll mit Notgeld, dass in der Zeit der Inflation gedruckt worden war. "Ich glaube, das wurde immer zum Anfeuern des Ofen genommen", sagt Jörn Breuß.

Als die Villen gebaut wurden, im Jahr 1895, war von der Autobahn noch lange nichts zu ahnen. Villa Frieda und Villa Helene entstanden nach Plänen des findigen Bauunternehmers Christian Oelting, der unter anderem auch im Pinneberger Quellental gebaut hat. Komfort war schon damals ein schlagendes Verkaufsargument, auch deshalb stattete Oelting die Häuser mit Stromanschluss und Toilette aus. "In die Villa Helene zog zuerst ein Schustermacher aus Hamburg ein", sagt Reinhold Miller. Der 74-Jährige Rellinger interessiert sich sehr für die Geschichte der Baumschulgemeinde und ist im Vorstand des Vereins für Heimatkunde Rellingen und Umgebung aktiv. "Mich erinnern die drei Villen immer an die painted ladies in San Francisco", sagt Miller. In der Tat erinnern die Villen auf den ersten Blick an die weltbekannten viktorianischen Holzfassaden der Wohnhäuser am Alamo Square in San Francisco.

Es war in den 60er-Jahren, als der Neubau des Autobahnteilstücks Halstenbek/Rellingen beschlossen wurde. Warum ausgerechnet die drei herrschaftlichen Rellinger Villen dem Schicksal entgingen, das mindestens 50 andere Wohnhäuser in Halstenbek und Rellingen ereilte, dem Bau der Autobahn zum Opfer fielen, lässt sich heute nicht mehr erkunden.

In den 80er-Jahren erwarb Jörn Breuß sein Elternhaus. Um seine Frau zu überzeugen, mit ihm auf die Insel zu ziehen, brauchte der Kaufmann eine Weile. Der Lärm von der nahen Autobahn half nicht unbedingt dabei. Geklappt hat es dennoch. "Seitdem saniere, renoviere und bastle ich an meinem Groschengrab." Mehr als zehn Jahre haben Jörn Breuß und seine Nachbarn für die Schallschutzmauern gekämpft. Immer wieder haben die Anwohner auf die Lärmbelastung hingewiesen, demonstriert und sogar einen Verein gegründet. Erst der Ausbau einer dritten Fahrspur führte schließlich 1998 zum Erfolg. Seitdem schirmen fünf Meter hohe Schutzwände die Bewohner der drei Villen gegen Lärm und neugierige Blicke ab. "Einen Segen" nennt Breuß die Mauer.

Auch mit seinen Nachbarn versteht sich der 61-Jährige gut. Er genießt die Freiheit in seinem Garten den offenen Kamin anzuzünden wann immer er mag. Auch wenn er die Musik mal aufdreht, beschwert sich niemand. "Auf jeden Fall ist das ziemlich einmalig", sagt Jörn Breuß. "Ich wüsste nicht, wo es in Deutschland sonst so etwas gibt."