Zum 40. Mal lädt Dieter Schröder an Silvester zum Orgeltreff. Die Tradition hat er ins Leben gerufen. 35.000 Euro sind gesammelt worden.

Rellingen. Was Dieter Schröder anpackt, macht er richtig. Als er sich Anfang der 70er-Jahre an Silvester zum ersten Mal vor sein Geschäft in der Rellinger Hauptstraße stellte und für einen guten Zweck Drehorgel spielte, hatte er so viel Spaß daran, dass er das Spektakel im darauffolgenden Jahr wiederholte. In diesem Jahr steht er zum 40. Mal an der Orgel.

"Damals zogen viele neue Bewohner nach Rellingen und ich habe festgestellt, dass ich, wenn ich aus dem Laden auf die Straße schaue, gar nicht mehr jeden kenne", sagt Dieter Schröder. Spätestens im dritten Jahr wurde der als Kennenlern-Offensive geplante Orgeltreff am letzten Tag des Jahres in Rellingen Tradition. Nachbarn und Freunde kamen vorbei, zum Zuhören und Klönen und die meisten von ihnen ließen eine Spende da.

Dieter Schröder kann auch über die Anfangsjahre detailliert Auskunft geben, denn er hat alle Einzelheiten, die er über den Rellinger Orgeltreff finden konnte, gesammelt. Einen dicken Aktenordner füllen die Zeitungsartikel bereits. Mittlerweile seit vier Jahrzehnten dreht Dieter Schröder seine Orgel für einen guten Zweck. Die ersten Jahre lieh er sich ein Instrument. 1980 dann ließ er sich von dem Rellinger Orgelbauer Wilhelm Tiedemann für 9000 Mark eine eigene Drehorgel bauen. "Anders als die gängigen Modelle verfügt meine Orgel nicht über einen benagelten Stab im Inneren, sondern über Papierwalzen, über die mittels Pneumatik Lochkarten laufen", sagt Dieter Schröder. Um sein gesamtes Repertoire zu spielen, muss Schröder eine Weile drehen, mindestens eine Dreiviertelstunde.

"Das macht mir einfach Spaß", sagt Schröder, der als Lehrling in Hamburg häufiger Drehorgelspieler zu sehen bekam. Anfang des 20. Jahrhunderts, bevor der Verkehrslärm überhand nahm und Schallplatten und Radios die Wohnungen eroberten, gehörten Leierkastenmänner unter anderem in Hamburg und Berlin zum Straßenbild. Dieter Schröder erinnert in seiner Aufmachung auch optisch an die alten Zeiten, mit seinem, vom Vater geerbten schwarzen Zylinder, dem Gehrock, der grauen Hose mit Biese, dem Frackhemd mit Plastron und Schleife. Ist es besonders kalt, orgelt Dieter Schröder auch mal in Handschuhen. "Ich habe einiges erlebt, klirrende Kälte und Schneestürme. Die Orgel mag Feuchtigkeit nicht besonders, also habe ich bei Regenwetter immer eine Ersatzorgel in der Hinterhand", sagt der 73-Jährige.

Die Kinder waren von Anfang an dabei. Sein jüngster Sohn Ole ist mittlerweile Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesinnenministerium sowie CDU-Bundestagsabgeordneter und mit der amtierenden Bundesfamilienministerin Kristina Schröder verheiratet. Ein Ordner mit Zeitungsausschnitten dient quasi als Familienalbum, denn mittlerweile gibt es auch eine Menge Fotos, die zeigen, wie sich inzwischen die Enkel mit ihrem Großvater freuen.

Nur ein einziges Mal fiel der Orgeltreff aus. 1983 nutzte Schröder die Feiertage für einen Urlaub, und prompt erschien in der Zeitung eine Notiz, in der stand, den Rellingern habe zu diesem Jahreswechsel etwas gefehlt. "Meine Mutter sagte daraufhin, 'Junge, das kannst du nicht noch einmal machen'. Ich habe natürlich auf meine Mutter gehört", sagt Dieter Schröder. Bis zu seinem Tod hat Wilhelm Tiedemann die Orgel vor ihren Einsätzen gewartet. "Eigentlich hat sie keine Macken, aber es ist gut für das Instrument, wenn mal jemand nachschaut. Das fehlt jetzt", sagt Schröder. Im Laufe der Jahre hat sich der Orgeltreff in Rellingen zu einem festen Termin im Veranstaltungskalender der Gemeinde entwickelt. Freunde, Nachbarn, Vereinsmitglieder, Geschäftspartner und Kommunalpolitiker kommen zusammen, trinken Glühwein und klönen. "Das geht über die Parteigrenzen hinweg", sagt Schröder, der sich seit vielen Jahrzehnten in der Rellinger CDU engagiert. Unter anderem für seinen ehrenamtlichen Einsatz als Gemeindevertreter erhielt Dieter Schröder in diesem Jahr die Freiherr-vom-Stein-Medaille. Auf die Auszeichnung ist er stolz.

Aber mindestens ebenso ernst ist es ihm mit der Ehrung des Clubs deutscher Drehorgelfreunde, die er in diesem Jahr für 40 Jahre Mitgliedschaft überreicht bekam. "Vielleicht trage ich die Anstecknadel", sagt Schröder. Üben muss der Drehorgelspieler nicht mehr. Das Gefühl für das richtige Tempo hat er. Seine Orgel hat er das ganze Jahr über im Blick, denn sie steht im Wohnzimmer.

Die ersten Spenden für dieses Jahr sind bereits im Messingtopf. Wer über Weihnachten und Neujahr weg ist, kommt schon mal vorher vorbei, um zu spenden. In den Genuss der Spenden kamen in den vergangenen Jahrzehnten vor allem Senioren und Kinder. Alle Kindertagesstätten in der Gemeinde profitierten vom Orgeltreff. Über 35.000 Euro sind inzwischen insgesamt zusammengekommen, schätzt Schröder. Allein im vergangenen Jahr gaben die Rellinger mehr als 1650 Euro.

Dieter Schröder lädt an Silvester alle Rellinger und Besucher von 9 bis 13 Uhr vor seinem Geschäft in der Hauptstraße 76 zum Orgeltreff ein. Diesmal gehen die Einnahmen an den Förderverein zum Erhalt der Rellinger Kirche.