Die Rellinger Künstlerin Andrea Simmendinger bildet junge Menschen aus Norddeutschland zu Musical-Darstellern aus

Amelie will's wissen. "Wann ist dieses Jahr eigentlich Heiligabend?", fragt sie ihren Bruder Ben. "Am 24. Dezember, du Idiot", sagt Ben. Die Geschwister haben mal wieder Streit. "Ich meine doch den Wochentag", sagt Amelie genervt. Sie zieht ihr Smartphone aus der Tasche und will im digitalen Kalender nachsehen. "Hoffentlich an einem Dienstag, dann haben wir einen freien Tag mehr", sagt Ben. Plötzlich schaut Amelie von ihrem Smartphone auf. Ihre Augen weiten sich. Dann sagt sie: "Weihnachten ist weg." "Wie, weg?", fragt Ben. Beide schauen gespannt aufs Display. Amelie liest laut eine Pressemeldung vom Display ab: "Weihnachten ist dieses Jahr gestrichen".

"Danke", ruft Andrea Simmendinger dazwischen. "Pause". Ben und Amelie verlassen die Probenbühne und werden wieder zu Vincent Hinz und Malin Schütte. Sie sind zwei von acht Darstellern im Ensemble der Stagekids Musical Company. Die Regisseurin klopft den beiden auf die Schultern. "Gut gemacht", sagt Andrea Simmendinger. "Der Dialog sitzt".

Das muss er auch, denn bis zur Premiere des neuen Weihnachtsmusicals "24 Türen" am 29. November in einer geschlossenen Vorstellung in der Pinneberger Hans-Claussen-Schule sind es nur noch wenige Tage. Die erste öffentliche Vorstellung zeigen die Stagekids am Sonntag, 9. Dezember. Das Stagekids-Ensemble besteht aus semiprofessionellen Musical-Darstellern zwischen 14 und 16 Jahre alt. Alle absolvieren neben ihrer Schule eine Ausbildung in Gesang, Tanz und Schauspiel.

Wie Musicals funktionieren, weiß Andrea Simmendinger genau. Sie kam in den 80er-Jahren als Pianistin für das Orchester des Musicals "Cats" nach Hamburg. Phantom der Oper, Mamma Mia, Sister Act - Andrea Simmendinger hat an fast allen großen Hamburger Musicals mitgewirkt. Seit 2007 leitet die ausgebildete Pianistin und Dirigentin zudem eine Musical-Schule für Jugendliche in Rellingen. Im vergangenen Sommer hat sie das Ensemble gegründet. Nun will sie gemeinsam mit den jungen Leuten erste Erfolge feiern.

Der 15 Jahre alte Schüler Vincent hat vor einigen Jahren ein Casting für das Tarzan-Musical in der Neuen Flora besucht, wurde genommen und ausgebildet. "Dann kam ein Wachstumsschub", sagt Vincent, der eigentlich die Rolle des kleinen Tarzan spielen sollte. "Ich war plötzlich zu groß für das Musical." Natürlich sei er traurig gewesen. "Aber das Leben geht weiter." Jetzt spielt Vincent, der aus Tangstedt im Kreis Stormarn kommt, im Musical "24 Türen" den Ben.

Seit fast drei Jahren lernt Vincent an Simmendingers Musical-Schule. Der Schritt in die Company war da ganz logisch. Dreimal pro Woche proben die jungen Darsteller. Mit der Arbeit ist Vincent zufrieden. "Wir sind auf einer Wellenlänge. Jeder gibt immer sein Bestes." In der Rolle des Ben muss er sich mit seiner Schwester auf den Weg machen, um Weihnachten zurückzuholen. Dafür müssen sie herausfinden, was das Fest der Liebe wirklich bedeutet und einige Prüfungen bestehen, die hinter 24 Türen warten. Das Stück hat Andrea Simmendinger gemeinsam mit Musical- und TV-Autor Michael Tasche und mit Stephan Birkmeyer, einem Filmmusik-Komponisten, geschrieben. Zum Team gehört auch die Musical-Choreographin Ute Geske, mit der Simmendinger die Regie führt.

"In einer großen Produktion wie Tarzan ist ein Kind allein unter lauter Erwachsenen", sagt Simmendinger. In "24 Türen" spielen allein die jungen Darsteller alle Haupt- und Nebenrollen. "Ein Alleinstellungsmerkmal", sagt die Rellingerin, die hauptberuflich mit Erwachsenen arbeitet, die an Stage-Academies viel Geld in ihrer Musical-Ausbildung investieren. Die Jugendlichen zahlen für die Mitgliedschaft im Ensemble keinen Beitrag und verwalten die Einnahmen des Musicals selbst.

Mit Jugendlichen zu arbeiten, ist für Andrea Simmendinger eine besondere Aufgabe. "Ich bin pädagogisch stark gefragt. Doch Jugendliche lernen viel schneller und die Arbeit ist berührender", sagt sie. "Mit jungen Menschen zu arbeiten, macht mich glücklich."

"Wechsel den Fokus", sagt sie dann. "Und keiner guckt auf den Boden, niemals." Die jungen Leute brauchen derartige Tipps eigentlich gar nicht mehr. Die Rollen haben sie verinnerlicht, die Texte sind kein Problem. Vor allem beim Gesang merkt der Zuschauer, was in der Truppe steckt.

Die Stimmen der Darsteller füllen auch ohne Mikrofon jeden Saal. Auch die Stimme von Hadja Rastagar. Die 15 Jahre alte Appenerin ist erst seit einem halben Jahr bei Simmendingers Gruppe, hat aber schon eine Menge Bühnenerfahrung. Hadja stammt aus Afghanistan. Dort war sie ein echter Kinderstar. In "24 Türen" spielt die Schülerin ein Mädchen namens Flower, das die beiden Geschwister bei ihrer Suche nach dem Weihnachtsfest unterstützt. "Es ist toll, gemeinsam mit den anderen ein festes Projekt im Auge zu haben", sagt Hadja über die Arbeit in der Stagekids Musical Company. Sieben Auftritte im Kreis Pinneberg und Hamburg werden die Künstler absolvieren.

Dann geht es an die nächste Produktion, bevor das Ensemble im kommenden Jahr zu Weihnachten mit "24 Türen" weiter in Richtung Hamburg ziehen will. Das Ziel der jungen Musical-Darsteller: Sie wollen irgendwann deutschlandweit auftreten. Doch nach der letzten Aufführung des aktuellen Stücks steht für Andrea Simmendinger und ihre Truppe erst mal das Weihnachtsfest im Terminplan. Dieses Mal ganz ohne Suchen.