Bundesgerichtshof entscheidet, dass sich Stadtwerke nur dann so nennen dürfen, wenn die Stadt wirklich das Sagen hat

Barmstedt/Wolfsburg/Karlsruhe. Dieses Urteil wird bundesweit die Stellung der kommunalen Stadtwerke gegenüber den großen Energiekonzernen stärken. Die Stadtwerke Barmstedt haben in dritter und letzter Instanz vor dem Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe Recht bekommen, dass sich nur jene Energieversorger Stadtwerke nennen dürfen, die mehrheitlich im Besitz der jeweiligen Kommune sind.

Die LSW LandE-Stadtwerke Wolfsburg GmbH und Co. KG, die seit 2005 die Energieversorgung für 180 000 Haushalte im Raum Wolfsburg und Gifhorn übernommen haben, scheiterten mit ihrer Feststellungsklage vor dem BGH. Die Führung des Begriffs Stadtwerke in ihrem Namen sei irreführend und müsse geändert werden, urteilte das höchste deutsche Gericht und bestätigte damit die Entscheidung des Oberlandesgerichts Braunschweig aus dem Jahr 2010.

Ausgelöst hatte diesen jahrelangen Rechtsstreit der Expansionskurs der Stadtwerke Barmstedt. Der bis dahin kleinste Energieversorger im Kreis Pinneberg fing 2007 an, außerhalb von Barmstedt Haushalte mit Strom und Gas zu versorgen. Seitdem hat sich die Zahl der Gaskunden des Betriebes auf 23 000 fast verzehnfacht, die der Stromkunden auf 14 000 vervierfacht. Vor allem in Lüneburg traten die Barmstedter mit ihren günstigen Tarifen offene Türen ein. 2400 Haushalte versorgen sie rund um Lüneburg mit Erdgas, fast so viele wie in Barmstedt. 1100 Lüneburger Haushalte beziehen heute auch ihren Strom aus Barmstedt.

Die offensive Abwerbung von Kunden war dem bisherigen Platzhirschen E.on Avercon ein Dorn im Auge. So monierte dieser, dass die Stadtwerke Barmstedt als Stadtwerke Lüneburg auftraten und ihr neues Kundenzentrum dort auch so bewarben. E.on klagte und man verglich sich außergerichtlich. Jetzt wirbt der Barmstedter Energiebetrieb unter dem Namen Stadtwerke Barmstedt in Lüneburg.

Diese Auseinandersetzung nahm Barmstedts Werkleiter Fred Freyermuth zum Anlass, einmal zu untersuchen, wer denn hinter dem Energieversorger in Wolfsburg steckt, der sich dort als Stadtwerke bezeichnet. Und siehe da, die Stadt Wolfsburg ist an dem Unternehmen mit der Bezeichnung LSW LandE-Stadtwerke Wolfsburg nur noch zu 43 Prozent beteiligt. 57 Prozent hält die LandE GmbH, an der wiederum die niedersächsische Tochter des Düsseldorfer E.on-Konzerns, die E.on Avacon, zu 70 Prozent beteiligt ist.

Den Hinweis aus Barmstedt, damit seien sie kein kommunales Unternehmen mehr, nahm der Wolfsburger Betrieb zum Anlass eine Feststellungsklage anzustreben, die dies ein für allemal klarstellen sollte. In erster Instanz siegten noch die Wolfsburger. OLG und BGH gaben hingegen der Barmstedter Argumentation Recht.

Dabei ging es tatsächlich um einen Streit zwischen David und Goliath. Die Barmstedter Stadtwerke beschäftigen 70 Mitarbeiter und haben im Jahr 2011 rund 41 Millionen Euro umgesetzt. Die sogenannten Wolfsburger Stadtwerke beschäftigen 600 Mitarbeiter und haben 2011 einen Umsatz von 375 Millionen Euro umgesetzt. Die Argumentation des BGH folgt der Begründung des OLG Braunschweig. Demnach sei es unerheblich, dass an E.on Avacon etwa 100 Kommunen Niedersachsens mit 34,7 Prozent beteiligt sind. Eine Mehrheitsbeteiligung der öffentlichen Hand sei nicht gegeben, auch der Streubesitz erlaube keine direkte Beeinflussung der Geschäftspolitik des Wolfsburger Energieversorgers, urteilte das BGH.

Ein durchschnittlich informierter Verbraucher verstehe unter einem mit Stadtwerken bezeichneten Unternehmen "einen kommunalen oder gemeindenahen Versorgungsbetrieb, bei dem die Kommune einen bestimmenden Einfluss auf die Unternehmenspolitik hat", so das BGH weiter. "Dieser setzt in der Regel eine unmittelbare oder mittelbare Mehrheitsbeteiligung der Gemeinde voraus."

Der Verbraucher, der einem öffentlichen Unternehmen von vornherein ein größeres Vertrauen entgegenbringe und bei ihm von einer besonderen Verlässlichkeit, Seriosität und Bonität ausgehe, werde nach Einschätzung der Karlsruher Richter in die Irre geführt.

"Wir freuen uns sehr über dieses Urteil", sagt Barmstedts Mitgeschäftsführerin Mareike Preuß. "Diese klare Trennung in der Firmierung eines Unternehmens ist zum Wohle des Kunden, der nun erkennt, mit wem er es zu tun hat." In Wolfsburg hingegen ist das offenbar überraschende BGH-Urteil noch nicht verdaut. Firmensprecherin Birgit Wiechert sagte auf Nachfrage vielsagend: "Wir werden das Urteil jetzt prüfen und dann unsere weiteren Schritte einleiten."