Konstruktiver Dialog

21. Juli: "Juden und Muslime bestehen auf Beschneidung"

Ich bedaure es außerordentlich, dass sich Herr Seibert in manchen Momenten für Deutschland meint schämen zu müssen.

Deutschland ist anerkanntermaßen eines der freiheitlichsten demokratischen Länder dieser Erde, mit einer Rechtsprechung um die uns manche beneiden. Dies auch geboren aus den Lehren der unsäglichen jüngsten deutschen Vergangenheit.

Insofern finde ich es schade, dass sich Herr Seibert der moralischen Geschichtskeule des Nazi-Deutschlands bedient bei einem Thema, bei dem es schlichtweg in erster Linie um das Recht auf körperliche Unversehrtheit geht und erst dann um Religionsfreiheit. Obwohl ich keiner Religion mehr zugehöre, möchte ich an dieser Stelle einmal die Frage in den Raum stellen, ob es Gottes Wille sein kann, wenn seine Schöpfung vom Menschen zwangsbeschnitten wird. Jeder Mensch hat in diesem Land dieses Recht auf körperliche Unversehrtheit, und wenn wehrlose Babys und Kleinkinder zwangsweise beschnitten werden, dann ist dies ein Verstoß gegen eben dieses Recht.

Sollte sich ein volljähriger junger Mensch, egal ob Moslem oder Jude, aus religiösen Gründen und freier Überzeugung beschneiden lassen wollen und sich somit zu seiner Religionszugehörigkeit bekennen, dann ist das seine freie souveräne Entscheidung. Die Zwangsbeschneidung von Kindern ist somit auch die Ausübung einer Art Zwangszugehörigkeit zum Judentum oder Islam.

Vielleicht will der junge Mensch ja gar nicht Jude oder Moslem sein und sein Leben später als Hindu, Buddhist, Christ oder sonstiges führen? Warum wird er als wehrloses Kind durch die Zwangsbeschneidung in eine Religionsgemeinschaft gepresst, die er später vielleicht gar nicht will?

Das Festhalten daran und der ständige Verweis auf die Tradition der Beschneidung zeigt, und das sage ich mit allem Respekt vor Religionen und den Menschen, die sie ausüben, die scheinbar vorhandene Unfähigkeit bei Moslems und Juden zur grundsätzlichen Weiterentwicklung und Reformation der jeweiligen Religion.

Einen politischen Schnellschuss zum Thema Beschneidung, nur um die Wogen zu glätten, lehne ich ab und fordere einen konstruktiven Dialog darüber, ob die Zwangsbeschneidung noch zeitgemäß ist und sich mit den in diesem Land praktizierten Werten und Gesetzen vereinbaren lässt.

Unsere Kinder sind nicht getauft und nicht konfirmiert, um Ihnen später unvoreingenommen die Möglichkeit der freien Wahl ihrer Lebensführung zu überlassen. Heute sind sie 25, 23 und 19 Jahre alt und dankbar für den toleranten und freiheitlichen Erziehungsansatz ihrer Eltern. Übrigens, unsere älteste Tochter schließt im kommenden Frühjahr ihr Studium der Islamwissenschaften ab. Wir haben sie dabei stets gern unterstützt.

Jan Marquardt

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