Nach dem Unfalltod am S-Bahnhof Diebsteich trauern die Mitschüler und Lehrer des Gymnasiums in Schenefeld um den 19-jährigen Marcel.

Schenefeld. Sie halten sich in den Armen. Viele weinen leise. Niemand spricht, es gibt noch keine Worte für die tiefe Trauer. Auf der Fensterbank reiht sich Teelicht an Teelicht, eine für eine Schule fast unwirkliche Stille liegt an diesem Montagmorgen über dem abgedunkelten Flur des Oberstufentrakts. Nach dem tragischen Unfalltod ihres Mitschülers Marcel (19), der am frühen Sonnabendmorgen nahe dem Hamburger S-Bahnhof Diebsteich von einer Bahn überrollt worden ist, stehen nicht nur die 62 Schüler des 13. Jahrgangs unter Schock. Ein ganzes Gymnasium trauert.

Wie Marcel auf die Schienen geraten war, ist bislang noch völlig unklar. Die ermittelnden Spezialisten der Bundespolizei bestätigen, dass Marcel am vergangenen Freitag gemeinsam mit einigen Mitschülern über die Reeperbahn gezogen ist. Im Verlauf des Abends soll sich die Gruppe getrennt haben.

Nach ersten Zeugenaussagen hätten einzelne Schüler später versucht, Marcel auf seinem Handy anzurufen, um sich mit ihm in einem Kiezlokal zu verabreden. Marcel habe den Anruf allerdings nicht angenommen und sei auch nie am Treffpunkt aufgetaucht. Zurzeit sichten die Beamten Videoaufzeichnungen aus den Kameras an den betroffenen S-Bahnhöfen, um mehr über die Umstände herauszufinden, die schließlich zum Tod des jungen Schenefelders führten. Ob Marcel ganz allein war, als er auf die Schienen geriet, ist nicht klar. Auch das Gerücht, dass Alkohol eine Rolle gespielt haben könnte, bestätigt die Polizei nicht. "Wir wollen die Ergebnisse der Rechtsmedizin abwarten und beteiligen uns nicht an Spekulationen", sagte Bundespolizeisprecher Rüdiger Carstens gestern auf Nachfrage der Pinneberg-Redaktion des Hamburger Abendblatts.

Schulleiter Horst Meyer macht aus seiner persönlichen Betroffenheit keinen Hehl. "So ein tragischer Unfalltod ist auch für uns als Kollegium ein Novum. Wir haben kein Patentrezept, wie wir damit umgehen können." Das Kollegium versuche, den Schülern Orientierung, Halt und Raum für ihre Trauer und für Gespräche zu geben. Das Pastorenehepaar Kerstin und Paul Otterstein sowie Schulpsychologe Peter Klyne stehen Kollegium und Schülern bei Bedarf als Seelsorger zur Verfügung. Gleichzeitig müsse man den ganz normalen Schulalltag organisieren.

Den Medienraum der Schule funktionierten Marcels Mitschüler zu ihrem ganz privaten Gedenkraum um. Blumen, Kerzen und Fotos erinnern dort bis zur Trauerfeier am Freitag an ihren gemeinsamen Freund. "Es wird uns allen schwerfallen, zur Tagesordnung überzugehen", sagt Marcels Klassenlehrer Arnt Goede. "Ich bin selbst sehr betroffen." Jetzt gehe es den Lehrern zunächst darum, den Schülern und sich selbst einen Zugang zu ihrer Trauer zu eröffnen. "Dass ein Freund und Mitschüler so plötzlich aus ihrer Mitte gerissen wurde, damit sind viele Schüler einfach überfordert", sagt Goede.

Marcel, dessen Schwester Michelle zurzeit die zehnte Klasse des Gymnasiums besucht, war ein beliebter junger Mann. "Er war lebensfroh, aufgeschlossen und ein eher ruhiger Typ. Von den Leistungen her kam er gut mit. Er mochte das Leben und war alles andere als ein verbissener Hund", beschreibt ihn sein Klassenlehrer.

Über unterschiedliche Aktivitäten an der Schule, in der Paulskirchengemeinde und bei seinem Sportverein Blau-Weiß Schenefeld sei er sehr eng mit den anderen Schülern der gesamten Oberstufe vernetzt gewesen. Bis zur zwölften Klasse hatte er in unterschiedlichen Schulchören gesungen, zuletzt als Bass im Oberstufenchor. Entsprechend bestürzt war Chorleiter Ingo Weber: "Ich kenne Marcel seit der siebenten Klasse, er war ein sehr fröhlicher und freundlicher Mensch."

Marcels Leidenschaft galt dem Fußball. Er stürmte für die zweite Herrenmannschaft von Blau-Weiß, trainierte außerdem eine Jungenmannschaft. Auch die Kicker stehen unter Schock, alle Trainingseinheiten und Spiele wurden nach Auskunft der Familie vorerst abgesagt. Doppelt tragisch: Marcels Vater war zugleich sein Trainer. Die Eltern erfuhren am Sonnabendmorgen vom Unfalltod ihres Sohns. "Als es an der Tür klingelte, dachte ich, Marcel kommt nach Hause", sagt seine Mutter. Stattdessen standen Beamte der Bundespolizei vor der Tür.

Wie bereits gestern berichtet, war die Anteilnahme am Unglück der Familie von Marcel beim Gottesdienst zum Dritten Advent in der Paulskirche sehr groß. Im Kirchenschiff hatten sich neben den Mitschülern auch zahlreiche Lehrer eingefunden. Nach Rücksprache mit den Eltern sang der Oberstufenchor das ursprünglich geplante Programm und widmete es dem toten Freund. "Marcels Mutter hatte uns darin bestärkt zu singen, weil Marcel das auch gewollt hätte", erläuterte Weber.