Bezirksgruppe der Sehbehinderten wird 60 Jahre alt. 450 Personen betroffen. Vorsitzende Dolle kritisiert Kürzung des Blindengeldes

Kreis Pinnberg. Sie ist nicht von Geburt an blind. Erst als sie sechs Jahre alt war, erlosch bei Giuseppina Dolle das Augenlicht. "Ich kann mich noch an Farben erinnern und daran, wie Bäume und Wiesen aussehen", sagt die 43-Jährige. Wegen ihrer Glaukom-Erkrankung an beiden Augen musste sie auf die Blindenschule gehen, machte in Marburg ihr Abitur und studierte Sozialpädagogik in Kassel. Seit sieben Jahren leitet Giuseppina Dolle, die mit ihrem sehenden Mann Ingo in Pinneberg lebt, die Bezirksgruppe des Vereins für blinde und sehbehinderte Menschen, die jetzt ihr 60-jähriges Bestehen feiert.

Der Verein zählt 75 Mitglieder. Kreisweit gibt es heute 450 blinde Menschen, landesweit rund 5000. Viele Menschen erlitten Netzhauterkrankungen, weiß Dolle. Manche verlören die Fähigkeit räumlich zu sehen, andere könnten nichts mehr fixieren. Da sei es oft schwierig, zu helfen, ohne das genaue Problem zu kennen. Und es führt zu Missverständnissen. "Da wundern sich dann die Leute in der S-Bahn, wieso der lesen kann. Dabei ist das das einzige, was er noch kann, wenn ihm das räumliche Blickfeld abhanden gekommen ist." Ihre Gruppe versteht sich als Interessensvertretung und Anlaufstelle, um den Betroffenen "Hilfe zu Selbsthilfe" zu geben. Für Menschen, die erblinden, ändere sich plötzlich alles. Manche trauten sich nicht mehr aus dem Haus. Und selbst zu Hause stünden sie vor schier unlösbaren Problemen. Sie müssten erst wieder lernen, sich zu orientieren und ganz alltägliche Dinge in den Griff zu bekommen. Wie sollen sie sich einen Kaffee kochen, ohne sich zu verbrühen? Wie die Heizung einstellen oder bezahlen, ohne dass sie übers Ohr gehauen werden. Doch keine Angst, es gebe für beinahe alles gute Hilfsmittel, beruhigt Dolle.

Mit Schablonen können Geldstücke unterschieden werden. Ein weiterer Tipp: Der Blinde zahlt grundsätzlich mit Fünf-Euro-Scheinen und weiß so immer, wie viele Scheine er braucht. Spezielle Computerprogramme und Blindenschrift lassen sie mit aller Welt kommunizieren und auch im Internet surfen. Aktueller Hit auf dem Hilfsmittelmarkt ist der Pen-Friend. Dieses etwa 100 Euro teure Gerät versetzt blinde Menschen in die Lage, alles Mögliche in ihrem Haushalt zu beschreiben. Dazu kleben sie ein Stück Papier auf die Konservendose, berühren es mit dem Schreibgerät und sprechen beispielsweise "Pfirsichkompott" darauf. Berührt der Blinde die Dose danach erneut mit dem Stift, wird sie identifiziert: Es ertönt der korrekte Begriff.

Von den Sehenden wünschte sich Dolle etwas mehr Rücksicht und Orientierungshilfe. So sei es völlig falsch, wenn zwei Menschen, die sich angeregt unterhalten, plötzlich verstummen, sobald ihnen ein Blinder begegnet. Dieser weiß dann nämlich nicht mehr, wo die beiden abgeblieben sind. Auch auf einem Bahnsteig wäre eine klare Ansage: "Halt, hier stehe ich" oder "Achtung!" besser als dem Blinden still und heimlich aus dem Weg zu gehen.

Finanziell haben viele sehbehinderte Menschen erhebliche Probleme, seit die schwarzgelbe Landesregierung seit Anfang 2011 das Blindengeld auf 200 Euro im Monat halbiert hat. "Damit ist Schleswig-Holstein das Schlusslicht aller 16 Bundesländer." Zwar stünden jedem blinden Menschen gesetzlich mindestens 608 Euro im Monat zum Lebensunterhalt zur Verfügung. Aber diese Förderung bekomme er erst, wenn er auf dem Sozialamt seine Hilfsbedürftigkeit nachweisen kann. Dolle: "Auch einem Blinden sollte ein menschenwürdiges Leben möglich sein", fordert sie. "Schon wenn ich mal ins Konzert gehe, brauche ich eine Begleitung. Da wäre es selbstverständlich für mich, seine Eintrittskarte zu bezahlen. Das können sich immer weniger blinde Menschen leisten." Sich eine Putzfrau zu leisten, sei praktisch unmöglich.

Jeden Montag ist Giuseppina Dolle von 11 bis 14 Uhr zu erreichen unter der Rufnummer 04101/78 97 97, E-Mail: pinneberg@bsvsh.org . Jeden ersten Freitag im Monat ist im Pinneberger Rathaus, Raum 200, von 10 bis 12.30 Uhr Sprechstunde.