Der Streit ums Elmshorner Rathaus zeigt den schwierigen Umgang zwischen Politik und Kunst - und zweier Menschen

Neunzehn Reden wurden gehalten, die Sonderschule übergab einen selbst geknüpften Wandteppich und der Landrat stiftete eine Tischglocke: den 23. September 1967 wollte sich selbst Hartwig Schlegelberger, Schleswig-Holsteinischer Innenminister, damals nicht entgehen lassen. Nach der Stadtgründung 97 Jahre zuvor sollte Elmshorn endlich ein eigenes Rathaus bekommen. Und was für eins.

Stahl und Glas, Marmor und Eichenholz - die Architekten zogen im Stil der Klassischen Moderne und für damals sieben Millionen Mark in der Provinz einen Prachtbau hoch und auch die Lokalpresse sparte nicht mit Superlativen. "Eine neue architektonische Visitenkarte", "ein zeitgemäßes und repräsentatives Verwaltungsgebäude", schrieb die "Heimatpost" und die "Norddeutsche Rundschau" erklärte den Tag schlicht zu einem "historischen Datum in der Elmshorner Stadtgeschichte".

Zwischen diesem und dem heutigen Tag liegen 44 Jahre und der Applaus der feierlichen Eröffnung ist ein für allemal verhallt. Lediglich das Wort "historisch" würden alle Seiten wohl noch stehen lassen. Denn das Elmshorner Rathaus will weder der Politik noch den Menschen mehr gefallen. Es macht sie sogar krank. So klagte ein Mitarbeiter Ende letzten Jahres über chronische Kopfschmerzen und vermutetet die Ursache für sein Leiden ausgerechnet in seinem Verwaltungsbüro. Bei näheren Untersuchungen stellte sich heraus, dass ein Teil des Büros mit dem Nervengift Formaldehyd belastet ist. Teile des Gebäudes sind mit Asbest verseucht, und über den Sommer heizen sich die Räume wegen eines Konstruktionsfehlers, wie es heißt, unerträglich auf. Vergessen ist die Leichtigkeit der filigranen Rasterfassade und die schlichte Eleganz des Ratssaals. Viele Elmshorner sind mit dem Haus im Herzen der Stadt überfordert, würden es wohl lieber abgerissen sehen - denn sie finden es nicht nur überholt, altmodisch oder piefig, sie finden es schlicht hässlich.

Als dann noch der Denkmalschutz auf den Plan trat und kurzerhand das marode Haus zu einem besonders schützenswerten Kulturgut machte, in dessen Folge jede Veränderung - innen wie außen - von der Behörde zustimmungspflichtig würde, war es aus Sicht vieler Elmshorner endgültig Zeit für Satiremagazine. Und die nahmen sich der Sache gerne an.

Es war der Beginn einer Odyssee, an deren Ende nicht nur Gutachten stehen, die mittlerweile ganze Aktenordner füllen. Es war der Beginn eines Konfliktes zwischen Ästhetik, Pragmatismus und Funktionalität, der so verfahren ist, dass er zu einem traurigen Höhepunkt in der Geschichte eines Baus wird. Für die Menschen wurde er errichtet. Nun entzweit er sie.

Vor allem aber ist es eine persönliche Auseinandersetzung zwischen der Elmshorner Bürgermeisterin Brigitte Fronzek, die den stetig steigenden Kosten und Problemen mit Ironie begegnet, und dem Hamburger Architekten Dieter Rogalla, der vor der Häme und Ignoranz der Provinz retten will, was zu retten ist - vor allem seinen guten Ruf.

Auf alten Dias, die er an einem dunklen Herbstnachmittag in den Schein seiner Schreibtischlampe hält, strahlt sein Rathaus im alten Glanz. "Schick, nicht wahr?", fragt er. Der Mann im schwarzen Pullover, mit schwarzer Uhr, und schwarz umrandeter Brille erklärt seine Arbeit. Sein großer Schreibtisch ist fast leer. Er soll, wie seine Kleidung, seine Persönlichkeit zeigen - schlicht und elegant bis ins Detail. So versteht der Mann auch seine Bauten, sein Werk. Rogalla scheint Gefangener seines eigenen Perfektionismus zu sein. Dieser Qual verdankt er einen Ruf, wie sie ihn in der Architekturszene Hamburgs nur wenige haben. Er wird in der Fachwelt geschätzt, ausgezeichnet und gelobt. Er baute die Deutsche Botschaft in Moskau, ist Ehrenmitglied beim Bund Deutscher Architekten der Hansestadt. Und er nimmt die ihm zugebrachte Wertschätzung mit Genugtuung entgegen.

In der öffentlichen Anerkennung unterscheidet sich Bürgermeisterin Fronzek nicht von dem honorigen Architekten aus Hamburg. Die Juristin und SPD-Politikerin ist - wie Rogalla - detailversessen. Oft arbeitet sie sich bis tief in die Nacht durch Aktenberg, berichten Mitarbeiter. Sie überlässt ungern Dinge dem Zufall. Selbst in ihrer - wie sie selbst sagt letzten Amtszeit - will sie ihrer Verantwortung gerecht werden. Pflichtbewusst bis zur Grenze der Belastbarkeit.

Fronzeks Schreibtisch ist mit Ordnern und Vorlagen überfüllt und auch optisch könnten die Genossin und der Architekt unterschiedlicher nicht sein. Fronzek liebt es farbenfroh und verspielt. An diesem Tag trägt sie ein schwarz-weißes Ringelshirt mit schwarzen Blazer und gibt sich betont ernst. Es gelingt ihr aber nicht, sachlich zu bleiben. Zu viel Ärger hat sie mit dem Haus und mit seinem Erbauer. "Ich habe von Architektur keine Ahnung", sagt sie, doch sie habe die Verantwortung für ihre Mitarbeiter. Da ginge es nicht um Stil, sondern um Arbeitsqualität.

Im Winter sei es zu kalt und im Sommer zu heiß im Rathaus, eine Dämmung gebe es nicht, es regne durch und überhaupt habe es mit dem Rathaus nur Probleme gegeben. Fronzek ist Realpolitikerin. Die mit Emotionen aufgeladene Debatte ums Rathaus, ist ihr deshalb wohl auch ein wenig unheimlich. "Sie ist vor allem an Sachlösungen interessiert", sagt Bürgervorsteher Karl Holbach. Das zeichne sie aus, dass sie alle ins Boot holt. Hätte jemand gute Argumente, lasse sich auch die gestandene Bürgermeisterin gerne überzeugen, meint er.

Doch genau hier liegt das Problem: Im Reich der Ästhetik gibt es keine Kategorie "Sachargument". In der Welt der Politik ist nur wenig Platz für Stil, Geschmack und Proportionen. Warum das marode Rathaus erhaltenswert, sogar schützenswert ist, verstehen die Elmshorner nicht, sehen in der Entscheidung des Denkmalamtes eher eine Bevormundung als eine Anerkennung.

An der Schnittstelle zwischen Politik und Architektur kam es seit je her zu Spannungen. So wurde 1863 mit nur einer Stimme Mehrheit im Senat, der Abriss des Lübecker Holstentores verhindert. Heute ist es das Wahrzeichen der Stadt Lübeck.

Darf Politik Kunst in Frage stellen, über sie entscheiden, sich über sie erheben? "Nein", sagt Rogalla, "Ja", sagt Fronzek. In ihrer Überzeugung geeint, in ihrer Prinzipien ähnlich - könnten sie nicht unterschiedlich urteilen.

Rogalla will manchmal kompromisslos sein, rumpeln und ist doch gleichzeitig der Künstler, der jede Kritik empfindsam aufnimmt, die ihn aber jedes Mal auch ein Stück weit verletzt, wie er sagt. Demnach müsste das Projekt Elmshorn, sein erstes großes und eigenes Werk, besonders große Wunden hinterlassen haben. "Ich kann damit umgehen, sonst würde man das gar nicht aushalten." Dabei sah es damals alles so glänzend aus, Rogalla und Elmshorn - das war ein Traumpaar. Sein Rathaus-Entwurf setzte sich in einem Wettbewerb gegen 86 Konkurrenzentwürfe durch.

Einstimmig votierten die Stadtpolitiker für ihn. Jetzt soll sie wieder entscheiden - und vieles spricht gegen ihn. "Wie Feierabend-Politiker so eine weitreichende Entscheidung fällen sollen, ist mir schleierhaft", sagt Rogalla. Sollte die Politik einen Neubau wollen, wäre das für sein Rathaus ein Tod auf Raten. Der Bau würde seine Bestimmung verlieren. "Politiker machen dann eine gute Arbeit, wenn es um Sachinhalte geht, die sie verstehen", sagt Rogalla. Als Vorsitzender in Preisgerichten nahm er deshalb auch gerne den ein oder anderen Lokalpolitiker beiseite und erklärte Arbeiten und Architekturqualität. Nur bei wenigen Politikern stieß er auf Verständnis. Einer von ihnen war der frühere Russische Außenminister Andrei Wladimirowitsch Kosyrew. Der ehrte Rogalla bei der Einweihung der Deutschen Botschaft in Moskau mit den Worten: "Ein schönes Gebäude haben sie uns hier gebaut".

Dass jenes Kunstverständnis bei Politikern nicht allzu weit verbreitet ist, muss Rogalla spätestens jetzt lernen. Doch zuweilen braucht es nicht mal einen Entwurf oder einen Bau, manchmal genügen ein paar Zeilen in einem Brief, um die Fronten zu klären. So geschehen im März 2008, als Elmshorn den bis dato ahnungslosen Architekten über die geplante Sanierung informierte. "Die Pfosten-Riegel-Konstruktion wie die Marmorfassade sollen durch Solarpaneele ersetzt werden", heißt es in dem Schreiben. Falls er noch Fragen habe, dürfe er sich aber natürlich gerne melden, teilte die Stadt Rogalla in dem Schreiben mit.

Ausgerechnet seine filigrane Rasterfassade, sollte nun "entstellt" werden. "Da fällt man aus allen Wolken", sagt Rogalla. Die erste Skizze, angefertigt von den stadteigenen Architekten, rief in ihm prompt blankes Entsetzen hervor. "Völlig unbrauchbare Entwürfe, völlig falsche Proportionen." Nicht einmal als Ideenskizze würde er so etwas durchgehen lassen. Für Rogalla stand fest: Hier wollen "ungeeignete" Architekten und von ihnen "voreingenommene" Politiker sein Vermächtnis zerstören.

"Das Ding hätte gar nicht erst in Betrieb gehen dürfen", sagt Brigitte Fronzek. Es sei gar nicht bautechnisch abgenommen worden, da es schon damals nicht dem Brandschutzrichtlinien entsprach. Rogalla bestreitet das bis heute: "Das ist der größte Unfug. Wenn das so wäre, hätte schon die Baugenehmigung nicht erteilt werden dürfen. Außerdem gilt und galt ein Gebäude mit seiner Inbetriebnahme als abgenommen".

Nun steht ein Gerüst aus Stahl vor dem Rathaus. Der Turm ist der zweite Fluchtweg, den der Brandschutz forderte. 32 000 Euro kostete die Konstruktion, die deshalb so teuer sei, weil sie "freitragend" ist. Der Gerüstbauer traute sich nämlich nicht an die Fassade, weil er Angst hätte, sie könne einreißen. Mehrere Neonröhren beleuchten nun Monat für Monat das extravagante Gerüst im Stil der Neuzeit und irgendwie wirken beide - der Fluchtweg und das Haus, in trauter Eintracht - zumindest im Vergleich zu dem Streit um Fakten und Fiktion.

Doch der große Tag des Entsetzens sollte noch kommen: Am 7. Januar 2009 sollte Rogalla nämlich sein Rathaus wiedersehen, die Bürgermeisterin hatte geladen. "Wie man ein solches Haus so herunterkommen lassen kann. Schlimm." Der erfolgsverwöhnte Architekt fühlt sich fremd in seinem Haus, und auch in der Runde mit Bürgermeisterin Fronzek und Co. Den Damen vom Bauamtes habe er ein Architekturstudium empfohlen, erzählt Fronzek. Und Dieter Rogalla legte gleich die Karten auf den Tisch und drohte wegen den über Jahren erfolgten Eingriffen am Haus, die Minuten vorher sein Entsetzen hervorgerufen hatten, mit Klage wegen Urheberrechtsverletzungen. Nun bestellte das Denkmalamt Gutachter, die herausfinden sollten, wie das Haus günstig zu sanieren ist, ohne den Charakter zu zerstören.

Nur zwölf Millionen Euro sollte die Sanierung nach dem neuesten Bericht, der wegen seines Umfangs in zwei Bände gebunden wurde, kosten. Mehr als das dreifache des damaligen Baupreises aber immer noch günstiger, als alles, was an Alternativen diskutiert wurde. Vor allem die filigrane Rasterfassade bliebe erhalten.

Die Politik der Krückaustadt will jedenfalls nichts mehr dem Zufall überlassen und einen eigenen Sonderausschuss "Rathaus" gründen. Neubau oder Sanierung - das Verhältnis zwischen Kunst und Politik, zwischen Rogalla und Fronzek, ist schwierig. "Wissen Sie, auch den Eiffelturm fand man schrecklich. Heute ist es das Wahrzeichen der Stadt", sagt Rogalla. Er macht der Bürgermeisterin noch ein überraschendes Angebot: "Zu einem Vier-Augen-Gespräch würde ich noch einmal nach Elmshorn kommen", sagt er und knipst seine Schreibtischlampe aus.