50 Jahre Stadtbücherei: Trotz E-Books verzeichnen die Bibliothekare Ausleihrekorde

Uetersen. Hans-Günter Stockmanns Experiment ist geglückt. Der 72 Jahre alte Uetersener hält zwei Bücher in der Hand: "Die deutschen Funkmessverfahren bis 1945" und ein Wildwest-Abenteuer von Billy Jenkins. Beide sind nicht leicht zu bekommen. Ob es den Mitarbeitern der Uetersener Stadtbücherei gelingt? Stockmann will es wissen. Dort lieben die Angestellten diese kleinen Herausforderungen. Per Fernleihe erfüllen sie Stockmanns Wunsch.

Nun kann seine Frau ihm daraus vorlesen. Er selber kann nicht mehr schmökern. Seit fünf Jahren ist der gelernte Ingenieur fast blind. Trotz Handicap ist Stockmann Stammgast in der Stadtbücherei. Der Rentner liebt Bücher nun mal. Und er braucht sie für sein Philosophie- und Theologiestudium in Hamburg, wo ältere Menschen sich an der Universität fortbilden können. "Die Mitarbeiter in der Stadtbücherei sind sehr freundlich, hilfsbereit und kompetent", schwärmt Stockmann. Die Atmosphäre stimmt. Daher lässt er sich auch nicht von seiner Sehschwäche vom Stöbern abhalten.

So wie er, nutzen viele Menschen aus Uetersen und Umgebung das Angebot, sich Bücher gegen eine geringe Gebühr auszuleihen. 50 Jahre hat die Stadtbücherei mittlerweile auf dem Buckel. Viel hat sich seither getan. Helmut Fausch, der seit 1951 mit dem Buchwesen vertraut ist und die Stadtbücherei zwischen 1976 und 1988 leitete, erinnert sich noch gut, wie alles begann. "Nachdem die Volksbücherei 1949 reorganisiert wurde, eröffnete sie in der Kirchenstraße neu", sagt der 79-Jährige. Später wurde die Volksbücherei in einen kleinen Raum des alten Rathauses umquartiert. 30 Quadratmeter reichte vorne und hinten nicht, so zog die Bücherei den Barackenbau "Kleine Stadthalle" in der Berliner Straße. Dort stand doppelt so viel Raum zur Verfügung. "Der lang gehegte Wunsch nach einem Neubau ging 1961 in Erfüllung, der heutigen Stadtbücherei", sagt Helmut Fausch. "Die treibende Kraft war der damalige einflussreiche Bürgervorsteher Alfred Hornig, der seit 1957 Chef der Bücherei war."

Stetig wuchsen Nutzerzahl und Bücherumfang. Waren es 1961 noch 14 474 Entleihungen bei einem Bücherbestand von 3626, waren es 1980 bereits 27 625 Bücher, die 58 551 mal verliehen wurden. Daran änderte auch die Einführung von Leihgebühren 1995 nichts. "Damals haben wir schon befürchtet, viele Nutzer zu verlieren", gibt Michael Haase zu. Der 58-Jährige löste seinen Vorgänger Fausch 1988 ab. "Wir waren die erste Bücherei im Kreis, die Gebühren erhob." 20 D-Mark mussten Erwachsene für ein Jahr damals zahlen. Nur wenige kündigten ihre Mitgliedschaft. Andere Büchereien folgten bald dem Beispiel der Uetersener.

Heute können Leseratten zwischen 42 000 Büchern wählen. Die Entleihungen sind auf 186 000 gestiegen - trotz E-Book. "Dieser Trend spielt derzeit noch gar keine Rolle für uns", sagt Michael Haase. Er habe ein Ohr am Puls der Zeit und den Blick gen Skandinavien gerichtet, wo das Leihwesen sehr fortschrittlich ist. In Schweden, sagt er, sei die Zahl der Schwarzdrucke trotz elektronischer Konkurrenz stabil.

Angst vor der Zukunft? Haase sieht ihr gelassen entgegen. Bücher wird es immer geben, davon ist er überzeugt. Gerade erst waren wieder Drittklässler zu Besuch, die er durch die Bücherei geführt hat. Kinder sind noch genauso mit Büchern zu begeistern wie vor 50 Jahren. Viele wollten sich gleich welche mitnehmen und besorgten sich über ihre Eltern einen Mitgliedsausweis. 2400 Familienkarten sind bereits im Umlauf. Und selbst Haases 18 Jahre alter Sohn - Besitzer eines iPads - blättert lieber in einem richtigen Buch als im E-Book. Haase sperrt sich keineswegs gegen Neues: Seit Kurzem können Leser auch online im Bestand recherchieren, Bücher reservieren und verlängern. Die Bücherei wird es noch lange geben, da ist sich Haase sicher. Gerade erst wurde sie energetisch saniert, mit Zuschüssen vom Land. "Das sichert unseren Standort für mindestens zehn Jahre."