Bank-Geheimnisse: Warum Pfarrer Bernd Wichert Pinneberg für ein Leben im Benediktinerkloster verlässt

Pinneberg. Bernd Wichert kommt zehn Minuten zu spät. Zum Glück, so fällt nicht auf, dass die Redakteurin auch gerade erst an der Pinneberger St. Michael-Kirche am Fahltskamp eingetroffen ist. Höflich entschuldigt er sich und bittet, schon mal Platz zu nehmen. In den vergangenen Tagen ist einiges liegen geblieben. Wichert kommt gerade erst aus Mallorca von einem Familientreffen. Er fegt durch das Gemeindebüro, wirft im Vorbeigehen einen Blick ins Abendblatt von vor drei Tagen. "Pfarrer Wichert verlässt Pinneberg" heißt es da. Eine Nachricht, die die Pinneberger Katholiken vergangene Woche in Aufregung versetzt hat. Im Mai wird Wichert, der seit acht Jahren Seelsorger der Gemeinde St. Katharina ist, in den USA in ein Benediktinerkloster eintreten.

Der Wirbel um seine Person, hat ihn überrascht, sagt er und setzt sich. Um zu erklären, wie es zu der Entscheidung kam, als Mönch in Oklahoma leben zu wollen, muss der 58-Jährige ein wenig ausholen. Sein Leben ist von Wechseln geprägt. So war er Jurist und Personalchef einer Hotelkette, bevor er Priester wurde. Wichert wuchs in Osnabrück in einer Arztfamilie auf. "Wir waren nicht so furchtbar fromm", sagt er. Als Schüler machte er in den USA seinen Highschool-Abschluss. Zurück in Deutschland holte er sein Abitur nach, studierte anschließend Jura in Münster und Freiburg bis zum ersten juristischen Staatsexamen. In Freiburg fand er über die Choralschola zum Glauben. Mit anderen Studenten untermalt er Messen mit gregorianischen Gesängen. "Das hat mir sehr viel Spaß gemacht", sagt Wichert. Er begann, sich mit dem Katholizismus auseinanderzusetzen. Am Ende steht der Entschluss des damals 26-Jährigen: "Ich werde Priester."

Seine Familie ist entsetzt. "Meine Mutter konnte mit meiner Entscheidung nichts anfangen", sagt Wichert. Sein Vater war toleranter. "Er konnte zwar nicht verstehen, warum sein Sohn Priester werden möchte, aber er sagte, ich muss meinen eigenen Weg gehen." Dennoch bricht der Kontakt zu ihnen für längere Zeit ab. Auch Freunden gegenüber muss er sich immer wieder erklären. Doch das sei lange her, sagt Wichert und fegt das Thema mit einer raschen Handbewegung vom Tisch. Der Vater ist längst gestorben. Seinen Bruder - ebenfalls Arzt - hat er getraut und dessen Kinder getauft. Auch seine hochbetagte Mutter sieht er regelmäßig. Noch ist die Demenz nicht so weit fortgeschritten, dass sie ihren Jungen nicht mehr erkennt. "Wenn ich weggehe, wird sie mich zuerst sicher vermissen, irgendwann aber auch vergessen."

1984 weiht ihn der Osnabrücker Bischof zum Priester - damals hat Hamburg noch keine eigene Diözese. Als Kaplan übernimmt er zunächst die Gemeinde St. Antonius in Hamburg-Winterhude. Nach anderthalb Jahre stellt ihn der Bischof noch einmal frei, damit er in Rom Kirchenrecht studieren kann. "Ich hätte lieber Moraltheologie gewählt", sagt er. Aber der Bischof hatte mit Blick auf sein Jurastudium auf Kirchenrecht bestanden. Ihm hat Wichert Gehorsam geschworen.

So brauchte Wichert auch die Einwilligung von Erzbischof Werner Thissen, dass er ins Benediktinerkloster eintreten darf. In mehreren Gesprächen versuchte der Bischof ihn zum Bleiben zu bewegen. Zweimal verzögert sich Wicherts Abreise. Nun wird er die Gemeinde noch bis Mai übernehmen, danach ist Wichert beurlaubt. Er gehe nicht aus Frust, betont der Seelsorger. "Ich möchte einfach noch was anderes machen." Als er sich für das Priesteramt entschied, hatte er sich verschiedene Klöster angesehen. Ein Benediktinerkloster im französischen Fontgombault hatte es ihm besonders angetan. "Ich hatte schon damals mit dem Gedanken gespielt, beizutreten", sagt Wichert. Dann verließ ihn der Mut. "Ich war nicht sicher, ob ich mit der französischen Mentalität zurechtkomme." Die amerikanische liegt ihm näher. Vor zwei Jahren erfuhr er, dass sie ein weiteres in Clear Creek in Oklahoma aufbauen. "Das guckst du dir an", dachte er.

Gedacht, getan. Für Wichert war es Liebe auf den ersten Blick. Die Mönche leben zurückgezogen, betreiben Landwirtschaft, Viehzucht und Gemüseanbau. "Es gibt keine Außenaktivitäten", sagt Wichert. Noch wohnt ein Teil der 35 Mönche in Containern, denn das Kloster befindet sich im Aufbau. Das Durchschnittsalter liegt bei 35 Jahren.

"Für jemanden, der in ein Kloster eintritt, bin ich schon relativ alt", so Wichert. Der Abt nahm ihn dennoch auf. Nach fünf Jahren als Novize wird er sich entscheiden müssen, ob er das ewige Gelübde ablegt. Dann wird er sich von allen Besitztümern trennen müssen. Zudem wird er Gehorsam, Ehelosigkeit und Stabilitas loci - die lebenslange Bindung an das Kloster - geloben. Warum sucht ein Mensch, der sich selbst als extrovertiert beschreibt, ein so strenges Kloster in der Ferne aus? Warum tritt ein Mann, der immer viel und gerne gereist ist, nicht dem Kloster Nütschau bei, wo Mönche zwei Wochen im Jahr Urlaub machen können?

Es sei die Liturgie, also die Zeremonien der Gottesdienste mit den lateinischen Gesängen, die ihn faszinieren. Auch die Atmosphäre in Clear Creek habe ihn in seinen Bann gezogen. Viele junge Familien haben sich um das Kloster herum angesiedelt. "Und wo hat man die Chance, ein neues Kloster aufzubauen, in einer Zeit, wo viele geschlossen werden?" Und die Gegend? Ein bisschen abgelegen. "Eher das Ostfriesland der USA", sagt Wichert.

Wer im Kloster lebt, muss anpacken können. Der Abt wird dem Neuling eine Aufgabe zuteilen. Wie sieht es denn mit seinem handwerklichen Geschick aus? "Ich werde sicherlich kein Kunstschnitzer", scherzt Wichert. Seine Geschicke als Handwerker hatte er bisher nicht groß unter Beweis stellen müssen. Als Gast im Kloster - bisher war er fünf Mal da - hat Wichert im Blaumann Kirchenbänke abgehobelt, Sprossen gepflanzt, gestrichen. "Und gefällt", fügt er hinzu und kichert spitzbübisch. Es macht ihm einfach viel Spaß, Neues auszuprobieren. Er könnte sich auch vorstellen, die jungen Mönche zu unterrichten, im Klosterladen Obst und Gemüse aus eigenem Anbau zu verkaufen. Wichert ist zuversichtlich, dass der Abt eine passende Aufgabe für ihn finden wird.

Vertrauen hat Wichert auch in sich. Er glaubt nicht, dass ihm die Klosterdecke auf den Kopf fallen wird. Es seien die Introvertierten, welche die strengen Regeln irgendwann nicht mehr aushalten. Seine These: Wer zum Grübeln neigt, gibt schneller auf. Auch die beiden Frauen, die sich mit über 50 Jahren noch für ein Leben im Kloster entschieden haben, bestärken ihn. Sie haben es nicht bereut. Beide sind geschieden und haben erwachsene Kinder.

Auch Wichert hat einen angenommenen Sohn, der mittlerweile in Hamburg lebt. Wichert betreute gerade die Gemeinde in Hamburg-Bramfeld. Damals bereitete sich Thomas auf die Erstkommunion vor, als seine Mutter starb. Der damals 11-Jährige fragte den Katholiken, ob er nicht bei ihm bleiben könne. Wicherts Freunde rieten ihm ab. "Doch Thomas war schon sehr selbstständig für sein Alter." Mit einer alkoholkranken Mutter war er früh auf sich gestellt. "Er hatte damals unglaublich viele Fehlstunden in der Schule", sagt Wichert. Der Pfarrer holte den Jungen mit Erlaubnis des Bischofs und des Vormundschaftsgerichts zu sich. Sie verstanden sich gut, auch wenn es nie eine sehr enge Bindung war. "Dazu sind wir zu unterschiedlich", sagt Wichert. "Aber er hat einen super Realschulabschluss gemacht und später das Abitur nachgeholt", sagt Wichert stolz. Zu den Gottesdiensten kommt er allerdings nicht. "Mit Kirche hat er nichts am Hut." Wichert kann damit leben.