Burn-Out-Patienten im Kreis müssen bis zu einem Jahr auf einen Therapieplatz warten. Ärzte fordern Reformen

Pinneberg. Für Petra kam an diesem Tag alles zusammen. Die nervenaufreibende Pflege ihrer Mutter, die Angst um den Arbeitsplatz und dann der beruflich bedingte Umzug ihres Mannes. Petra bekam Herzrasen, wurde ohnmächtig und fiel vor den Augen ihrer Kollegen von ihrem Bürostuhl. Stunde Null. Verdacht: Burn Out. Mit dem Krankenwagen wurde die Pinnebergerin in die Elmshorner Psychiatrie gebracht. Dort unterhielt sie sich zwei Stunden lang mit einem Arzt, er gab ihr Adressen - auf einen Termin bei einem Psychotherapeuten wartet sie noch heute. Sie ist nicht die Einzige.

Im Kreis müssen Menschen mit psychischen Beschwerden laut einer neuen Studie der Bundespsychotherapeutenkammer Schleswig-Holstein immer länger auf einen Termin bei einem Psychotherapeuten warten. Demnach müssen betroffene Menschen auf ein erstes Vorgespräch im Durchschnitt 21,1 Wochen warten. Auf den Beginn der Therapie sind es gleich 34 Wochen. Mit diesen Zahlen reiht sich der Kreis Pinneberg in der Negativstatistik ganz weit oben ein, nicht aber in der offiziellen Statistik. Denn aufgrund eines veralteten Ansatzes und einer überholten Berechnungsmethode hat der Kreis trotz Rekordwartezeiten auf dem Papier eine Überversorgung, insgesamt einen Versorgungsgrad von 157 Prozent. "Die Zahlen spiegeln nicht die Wirklichkeit wider, die Versorgungssituation spitzt sich im Gegenteil dramatisch zu. Die gesundheitspolitischen Vorgaben müssten endlich an die Realität angepasst werden", fordert die Präsidentin der Psychotherapeutenkammer in Schleswig-Holstein, Juliane Dürkop, im Gespräch mit dem Abendblatt. Nicht nur sie, auch Kollegen aus Hamburg schreiben mittlerweile Brandbriefe in Richtung Berlin, wo die Versorgung mit Psychotherapeuten aktuell im Bundestag beraten wird.

Die Frustration in den Praxen wächst mittlerweile Tag für Tag. 30 Prozent der insgesamt knapp 60 Psychotherapeuten im Kreis führen schon keine Wartelisten mehr. "Es ist jedes Mal schwer, aber ich muss leider reihenweise Patienten vertrösten", sagt Rita Auer, Psychotherapeutin aus Rellingen. Für Abendtermine müssen Patienten bei ihr mehr als ein Jahr warten, und die Anrufe nehmen weiter zu. "Vor allem Männer gehen immer offensiver mit Depressionen und seelischen Beschwerden um", sagt Auer.

Auch die AOK zählt immer mehr Menschen mit psychischen Beschwerden. "Wir glauben, dass 15 Prozent aller Krankheitsmeldungen eine psychische Ursache haben", sagt Jürgen Schröder, Leiter der AOK Pinneberg. Und der Anteil wachse weiter - nur die Behandlungsmöglichkeiten blieben auf niedrigem Niveau.

Welche Fehltage allerdings konkret auf "Burn Out" zurückzuführen sind, ist schwer zu beziffern, da es sich nicht um eine eigene Krankheit, sondern um einen Sammelbegriff für verschiedenste Seelenbeschwerden handelt.

Ein Grund für den Anstieg sei vor allem die gestiegene Akzeptanz und die Bereitschaft, mit seinen Sorgen zum Arzt zu gehen. "Aber auch der Druck am Arbeitsplatz wächst zunehmend", sagt Rita Auer.

Und selbst Psychotherapeuten leiden laut einer Studie unter den steigenden Arbeitsdruck, sind ausgebrannt. Zumindest für die Kreisstadt gibt es eine gute Nachricht: Die Regio-Kliniken werden nicht ihre ambulante Versorgung in der Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie im Medizinischen Versorgungszentrum (MVZ) zum Wochenende einstellen. Die geplante Schließung wurde von Patienten kritisiert.

"In gemeinsamen Gesprächen mit den niedergelassenen Ärzten und der Kassenärztlichen Vereinigung sind wir zu dem Ergebnis gekommen, das Angebot des MVZ für eine Übergangszeit aufrecht zu erhalten, um eine mögliche Lücke in der Versorgung der Patienten zu vermeiden", sagt Thorsten Wygold, Ärztlicher Direktor der Regio-Kliniken. An der grundsätzlichen Entscheidung, die Versorgung auf lange Frist einzustellen ändere sich damit allerdings nichts, so Wygold.

Petra telefonierte einen Arzt nacheinander ab, dann konnte sie nicht mehr. "Immer wieder die Geschichte zu erzählen und Wunden aufzureißen geht nicht", sagt sie. Telefon-Hotlines wollte sie auch nicht anrufen. Ein Arzt verschrieb ihr Medikamente, die ihr bis heute helfen, Gedanken zu unterdrücken. "Ich muss damit jetzt leben", sagt sie. Chancen auf einen Therapieplatz hat sie nicht mehr.