Endlich angekommen Musiklehrerin Maria Livaschnikova aus Aserbaidschan erzählt die Geschichte von ihrem langen Weg zum Glück im Kreis Pinneberg

Klein Offenseth-Sparrieshoop. Wenn Maria Livaschnikova an ihrem Klavier sitzt, schließt sie die Augen, ihre Finger gleiten über die Tasten. Sie spielt die "Ballade Opus 23" von Frédéric Chopin - ihr Lieblingsstück. Von ihrer Musik ist sie nicht zu trennen, sie ist die Konstante im Leben der 50-Jährigen, die nach vielen Turbulenzen im ruhigen Klein-Offenseth-Sparrieshoop ihr Zuhause gefunden hat.

Maria Livaschnikova kommt ursprünglich aus Aserbaidschan, wo sie als Musiklehrerin arbeitete. Ein Bürgerkrieg und die Liebe brachten sie vor 20 Jahren zum Auswandern. Es war ein langer Weg, bis sie richtig in Deutschland angekommen war. Und jetzt geht sie das letzte Stück in ihrer neuen Heimat, indem sie sich mit einer eigenen Musikschule selbstständig macht. Im Gespräch mit dem Hamburger Abendblatt erzählt die Pianistin ihre außergewöhnliche Geschichte.

Geboren wurde Maria Livaschnikova in Aserbaidschans Hauptstadt Baku. Schon die Kindheit und Jugendzeit war von der Musik geprägt. Nach ihrer Schulzeit studierte sie und begann an einer Grundschule als Musiklehrerin zu arbeiten. Das Aserbaidschan zu Beginn der 90er-Jahre stand unter Kontrolle der Sowjetunion, in einem Bürgerkrieg strebten die Aserbaidschaner nach Unabhängigkeit. Maria Livaschnikova hatte Angst während dieser Zeit. Ihr Mann war ein russischer Offizier, der schon zu Friedenszeiten in Baku stationiert war. "Das war natürlich schwer, auch viele Eltern hatten damit ein Problem." Damals wuchs in Maria Livaschnikova der Wunsch, auszuwandern.

"Ich hatte viel über Deutschland gehört", sagt sie. "Pünktlich, ordentlich, sauber." Der Grund für die Wahl Deutschlands als neue Heimat war jedoch ihre Großmutter. Sie hatte deutsche Wurzeln, erzählte immer viel über das Land. "Damals habe ich mir ein Ticket gekauft und bin einfach los." Das war im Mai 1992. Mit dem Flugzeug ging es nach St. Petersburg und von dort aus weiter mit dem Schiff nach Kiel. Dort erhielt sie eine Aufenthaltsgenehmigung, durfte für ein Jahr in Deutschland wohnen und arbeiten. "Ich hatte gehofft, wieder als Musiklehrerin arbeiten zu können, wenn ich die Sprache gelernt hatte", sagt die Pädagogin. Das war aber nicht möglich. Ihr Musik- und Lehramtstudium an der Universität von Baku wurde von den deutschen Behörden nicht anerkannt. "Also habe ich als Reinigungskraft angefangen."

Mittlerweile war Maria Livaschnikova nach Quickborn im Kreis Pinneberg gezogen. "Im sehr reichen Ortsteil Heide habe ich zur Untermiete bei einer alten Dame gewohnt und mein Geld mit Putzen verdient", erzählt sie. Immer wieder gab es Job-Angebote aus der Nachbarschaft, eines davon kam vom örtlichen Supermarkt. Dort hatte sie erst geputzt und dann einen Job als Verkäuferin bekommen. "Ich hatte etwas bessere Chancen als andere Migranten, weil ich schnell Deutsch gelernt hatte", sagt Maria Livaschnikova. Vom ersten Gehalt kaufte sie sich ein Wörterbuch. Fernsehen und Radio halfen ihr beim Lernen.

Eines fehlte ihr aber während dieser Zeit - die Musik. "Ich hatte nicht genug Geld für ein eigenes Klavier." Manchmal durfte sie in der Kirche an der Orgel spielen. "Ich hatte dort in einer Selbsthilfegruppe erzählt, dass ich Musikerin bin und durfte mich versuchen." Besonders in Erinnerung geblieben ist der Pianistin das Weihnachtsfest 1992. Sie hatte damals an der Orgel Bachs Weihnachtsoratorium gespielt - für eine Gage von 40 Mark. "Danach fühlte ich mich ein ganzes Stück mehr angekommen", sagt sie.

In ihrer Quickborner Nachbarschaft, meist gut betuchte Leute, bei denen sie putzte, machte bald die Runde, dass Maria Livaschnikova brilliant Klavier spielen konnte. "Unsere Putzfrau kann Klavier spielen", hörte sie mehrfach. Denn in vielen Häusern stand ein Klavier, obwohl niemand darauf spielen konnte. Sie wurde mehrfach eingeladen, um zu spielen, und fühlte sich gut dabei: "Ich wurde als Pianistin behandelt, auch wenn ich geputzt habe."

1995 konnte die Musikerin sich dann endlich ihr erstes eigenes Klavier kaufen. Auch beruflich ging es voran. "Ich habe damals bei einer Freundin gearbeitet, der ein Laden für Kinderbekleidung gehörte, habe genäht und verkauft." Im selben Jahr bekam Maria Livaschnikova die Möglichkeit, sich weiterzubilden. Das Sozialamt empfahl ihr damals eine kaufmännische Schulung für Migranten. Die studierte Pädagogin sah darin eine Chance. Die Seminarleiter teilten ihr mit, dass sie völlig überqualifiziert sei. Mit einem Empfehlungsschreiben meldete sie sich beim Arbeitsamt, absolvierte einen IHK-Lehrgang und stieg als Bürokauffrau in einer Versicherung ein. Nebenbei dolmetschte sie für Firmen. Von dem russischen Offizier hatte sie sich mittlerweile getrennt. Bis vor wenigen Monaten arbeitete die heute 50-Jährige in dem Versicherungsjob. "Es hat alles Spaß gemacht", sagt sie. "Aber ich gehöre nun mal zur Musik." Die öffentlichen Auftritte häuften sich. Zu ihren Fans gehört Kreispräsident Burkhard Tiemann, der sie immer wieder in die Drostei holte, wie auch Ministerpräsident Peter Harry Carstensen. Schon zweimal hat sie für ihn auf einem Empfang gespielt.

"Ich wurde mir immer sicherer. Musik sollte mein Lebensmittelpunkt sein." 15 Jahre hatte sie schon in Baku als Musiklehrerin gearbeitet. "Jetzt ist die Zeit gekommen", sagt Maria Livaschnikova. Sie hat ihre eigene Musikschule eröffnet und gibt Gesangs-, Tanz- und Klavierunterricht. Schon jetzt sind viele Anmeldungen bei ihr eingegangen. Die Kinder aus der Nachbarschaft haben eine Probestunde bekommen und waren begeistert. Wenn Maria Livaschnikova unterrichtet, ist es Leidenschaft, die dahinter steckt. Nach 19 Jahren hat sie den Beruf, den sie immer wollte. "Es ist ein schönes Gefühl, aber das Lampenfieber ist da." Dann setzt sie sich ans Klavier und spielt ihr Lieblingsstück von Chopin. Wieder schließt sie die Augen. Auch wenn es lang gedauert hat - Maria Livaschnikova ist angekommen. Endlich.

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