Der Grünen-Landtagsfraktionschef Robert Habeck über parteiübergreifende Zusammenarbeit und das Ende der Geduld mit Christian von Boetticher

Pinneberg/Kiel. Ungrüner trifft auf Urgrüne: Robert Habeck hat die schleswig-holsteinische Ökopartei kräftig aufgemischt. 2004 wurde er Landesvorsitzender, seitdem kämmt er die selbst gestrickten Pullis der Fundis gegen den Strich. Ein Buch über Patriotismus hat er zwischendurch geschrieben - um einfach mal zu sagen, dass auch Grüne ihre Heimat lieben können. Sein Mix aus Gefühl und dem Wellenschlag großer programmatischer Veränderungen ist erfolgreich. In Umfragen lag seine Partei zuletzt bei 20 Prozent, so viel Zustimmung hat es noch nie gegeben. Habeck, der seit zwei Jahren die Landtagsfraktion leitet, arbeitet auch als Übersetzer und Schriftsteller.

Hamburger Abendblatt:

Könnten Sie sich vorstellen, die skandalhaften Ereignisse im Kieler Landeshaus, von der Barschelaffäre bis zum Von-Boetticher-Sturz, in einem Roman zu verarbeiten?

Robert Habeck:

Nein. Ich werde sicher keinen Enthüllungsroman über Kollegen schreiben, mit denen ich jetzt in Kiel zusammenarbeite. Ich erlebe die Dramen der Kieler Landespolitik ja selbst mit, insofern habe ich auch gar keinen Bedarf, das literarisch zu verarbeiten. Alle können ruhig schlafen.

Haben Sie eine Antwort auf die Frage, warum Schleswig-Holstein so ein guter Nährboden für politische Skandale ist?

Habeck:

Ich habe zwei Beobachtungen gemacht, die vielleicht zu einer halben Antwort führen. Zum einen ist das Land politisch klein, hat aber zugleich sehr ehrgeizige Politiker. Wenn man großen Ehrgeiz hat, aber vergleichsweise wenig bewegen kann, dann kanalisiert sich dieser Ehrgeiz mitunter im Destruktiven. Hätten wir weniger leidenschaftliche Politiker oder wäre das Land größer, dann gäbe es dieses Spannungsverhältnis nicht. Die zweite Beobachtung: Die historisch begründbare Feindschaft zwischen Rechts und Links, zwischen CDU und SPD, hat sich im Land strukturell so verfestigt, dass bestimmte Verhaltensweisen möglich sind, die in anderen Ländern nicht zum akzeptierten politischen Instrumentarium zählen.

Wem das Land zu klein ist, könnte versuchen, in die Bundespolitik zu wechseln. Hätten Sie Interesse?

Habeck:

Kein Gedanke. Schleswig-Holstein ist mir nah. Ich bin hier geboren. Heimat ist ein großes Wort und für einen Grünen-Politiker unüblich, aber so fühlt es sich an. Und Heimat heißt, Verantwortung übernehmen zu wollen.

Christian von Boetticher will Landtagsabgeordneter bleiben, taucht aber im Landtag nicht mehr auf. Wann ist die Geduld der Grünen zu Ende? Wann sagen Sie, dass Sie sich nicht mehr an die Pairing-Vereinbarung gebunden fühlen?

Habeck:

Der Zeitpunkt ist schon da. Wir hatten für die letzte Landtagssitzung Pairing zugesagt. Das spielte dann faktisch keine Rolle, weil zwei Abgeordnete der Linken fehlten. Die Regierungsmehrheit war also nicht in Gefahr. Für die nächste Sitzung, die schon in 14 Tagen ist, kann ich mir nicht vorstellen, dass wir weiter Pairing machen. Pairing gilt für uns bei Krankheitsfällen von CDU-Abgeordneten. Aber mit seinen Interviews hat von Boetticher gezeigt, dass er arbeiten kann. Mit seiner Ansage, er werde sein Mandat behalten, verpflichtet er sich ja geradezu zur Arbeit. Jetzt muss er kommen - oder das Mandat zurückgeben. Ich hätte Verständnis, wenn er nicht mehr in den Landtag kommen mag. Als Kollege würde ich ihm durchaus raten, ein Leben außerhalb der Politik zu suchen. Aber dann muss er eben das Mandat zurückgeben.

Wenn er das Mandat niederlegt, verlieren CDU und FDP vermutlich ihre Regierungsmehrheit. Plädieren Sie in diesem Fall für vorgezogene Neuwahlen?

Habeck:

Dieser Landtag ist nicht verfassungskonform zustande gekommen. Deshalb wäre es ohnehin geboten gewesen, so früh wie möglich neu zu wählen. Unsere Vorstellung war immer: November 2011. Das ist immer noch ein guter Zeitpunkt. Wenn Boetticher nicht mehr zurückkommen sollte und die Mehrheit weg ist, dann ist es dem Land nicht zuzumuten, dass die Regierung länger als unbedingt nötig im Amt bleibt. Aber die Neuwahldebatte ist noch keine reale Debatte. Von Boetticher hat ja gesagt, dass er zurückkommen will.

Spätestens am 6. Mai wird ein neuer Landtag gewählt. Sehen Sie die Grünen in der Regierung?

Habeck:

Wir wollen so stark werden, dass die Frage auf uns zukommen wird. Ob es inhaltlich reicht, eine Regierungskoalition mitzutragen, kann ich nicht vorhersehen. Ich will vor allem wissen, auf welcher Basis eine solche Regierung gebildet wird. Mir reicht es nicht, nur zu sagen: "Die anderen haben versagt, jetzt kommen wir und machen alles besser." Wir hatten Rot-Grün, wir hatten Schwarz-Rot, in Hamburg hatten wir Schwarz-Grün, in Kiel haben wir jetzt Schwarz-Gelb. Wir haben alle Farbkonstellationen einmal durch, und immer war es irgendwie enttäuschend. Die Hoffnung, dass es die nächste Regierung besser macht, muss doch erst mal unterfüttert werden.

Was wollen Sie besser machen?

Habeck:

Mich hat im Landtag am meisten enttäuscht, dass die Mauer zwischen Regierung und Opposition nicht zu durchbrechen ist. Es wird immer nur mit diesen Scheuklappen debattiert. Wir hatten zum Beispiel angeboten, in der Haushaltsstrukturkommission mitzuarbeiten. Aber das war nicht gewollt. Man muss diese Einordnung überwinden, dass die einen die Guten und die anderen die Doofen sind. Diese blöden Rituale braucht kein Mensch mehr. Die Rahmenbedingungen sind mit der Schuldenbremse klar definiert. In Zukunft sollte es einen Wettbewerb um die besten Ideen geben. Zweiter Punkt: Gegenüber den Bürgern muss man einen anderen Stil entwickeln. Es ist Politik von gestern, die Bürger als Feinde von politischen Entscheidungen wahrzunehmen. Drittens sollten wir trotz der Haushaltsprobleme, die jede Debatte bestimmen, auch den Mut haben, jetzt schon über Dinge zu sprechen, die erst in ein paar Jahren konkret werden. Die Föderalismusreform wird ein großes Thema werden. Meine kühne Ansage ist: Wir müssen von der Kleinstaaterei weg. Da muss sich eine neue Landesregierung positionieren.

Welche Gemeinsamkeiten gäbe es bei einer Regierungsbildung mit der CDU?

Habeck:

Ich habe registriert, dass der CDU-Spitzenkandidat Jost de Jager nach Fukushima einer der ersten war, der über eine Abkehr von der Atompolitik geredet hat. Allerdings hat er auch die Schließungspläne für die Unis Lübeck und Flensburg zu verantworten.

Lassen sich in einer schwarz-grünen Koalition Ihre Positionen besser durchsetzen als in einer rot-grünen?

Habeck:

Nein, das glaube ich nicht. Diesen Scheinriesen Schwarz-Grün, den auch manche Medien in Hamburg zu Ole von Beusts Zeiten fleißig aufgebaut haben, sehe ich ganz nüchtern. Das hat sich in der realen Politik in der Hansestadt ja auch schnell erschöpft. Die Programmatiken und Milieus sind immer noch sehr verschieden. Rot-Grün ist einfacher, weil erwartbarer. Dennoch ist auch das kein Selbstgänger. Auch eine rot-grüne Koalition wird den Haushalt einhalten müssen. Und sie wird einen übergeordneten Sinn finden müssen, der übers politische Tagesgeschäft hinausweist.

Wo lägen die Probleme von Rot-Grün in Schleswig-Holstein?

Habeck:

Ich habe nicht verstanden, wie Herr Albig den Kommunen 120 Millionen Euro zurückgeben und das mit einem Stellenabbau von 25 Prozent finanzieren will. Das kann nicht funktionieren. Ich verstehe auch nicht, wie es sich rechnen soll, den Nord-Ostsee-Kanal mit privatem Geld zu sanieren. Der Kanal ist defizitär. Nur ein Drittel der Kosten werden durch Gebühren eingenommen. Privates Geld bedeutet erhöhtes Defizit. Außerdem trennt uns die Wirtschaftspolitik. Ja, wir können die Haushaltsprobleme lösen, wenn wir Wirtschaftswachstum erzeugen. Das müssen wir Grünen annehmen und uns dazu bekennen. Aber ein Konflikt mit der SPD wird sich an der Frage entzünden, welches Wachstum wir erzeugen wollen. Uns geht es um Energie und Ressourcen sparendes Produzieren.

Den Grünen wird Kompetenz in den Bereichen Wirtschaft und Finanzen üblicherweise nicht zugetraut. Wie wollen Sie da agieren?

Habeck:

Die Wirtschaftsdebatte ist für die Grünen die notwendige Verlängerung der Energiewende. Aber nicht nur das, sie ist ein neuer Schwerpunkt. Wir wollen Innovation und Energie-Effizienz fördern. Da gibt es einen riesigen Markt für Wirtschaft und Handwerk. Im Finanzbereich sind wir sehr gut aufgestellt. Da haben wir mit Monika Heinold eine Expertin, da macht uns keiner mehr ein X für ein U vor.

Wo wollen die Grünen sparen?

Habeck:

Wir wollen den Anstieg der Pensionskosten abfedern oder Zuschüsse wie den für den Flughafen Lübeck sparen. Aber nur durch Ausgabenkürzungen können wir die Vorgaben der Schuldenbremse nicht einhalten. Wir werden auch die Einnahmen erhöhen müssen.

Woran denken Sie da?

Habeck:

An die Erbschaftssteuer. Da wollen wir die Einnahmen verdoppeln. Da geht es nicht um Omas Häuschen, sondern um die höhere Besteuerung sehr großer Erbschaften.

Das ist im Moment Wunschdenken. Es gibt in Berlin keine Mehrheit für eine Erhöhung der Erbschaftssteuer. Dennoch muss Schleswig-Holstein Jahr für Jahr 120 Millionen Euro einsparen. Wie wollen Sie das hinbekommen?

Habeck:

Wir haben den Vorschlag gemacht, den Anstieg der Pensionen zu verringern. Das ist eine Debatte, die sicherlich zu großem Widerstand führen wird. Das ist auch eine Zumutung für unsere Wählerschaft, denn dazu gehören viele Beamte. Dann brauchen wir höhere Einnahmen. Dafür muss das Land im Bund streiten. Auch Schwarz-Gelb hat übrigens seine haushaltspolitischen Ziele nur mit Steuererhöhungen erreicht, nämlich mit der Grunderwerbssteuer. Und als Drittes brauchen wir ein engagiertes Eintreten für neues Wirtschaftswachstum.

Dennoch ist es ein harter Weg bis zum Jahr 2020, dem ersten Jahr ohne neue Schulden. Haben Sie manchmal den Eindruck, dass die Schuldenbremse eine Schuldenschlinge ist, die das Land erdrosseln könnte?

Habeck:

Nein. Ich höre das immer wieder, auch in meiner Partei. Aber erdrosselt wird das Land nicht durch die Schuldenbremse, sondern durch die Schulden. Da bin ich sehr hart und glasklar.

Eine Autobahnmaut könnte die Einnahmen verbessern. Wie halten Sie davon?

Habeck:

Wir sollten den Verbrauch besteuern. Das ist besser als eine Maut. Mein Vorschlag ist, die Kfz-Steuer abzuschaffen und dafür die Mineralölsteuer anzuheben. Das ist gerechter: die, die viel verbrauchen, zahlen auch mehr.

Das bringt noch kein Geld für den Bau neuer Straßen.

Habeck:

Das Geld, das man hat, sollte man zunächst für die Instandhaltung von Straßen ausgeben. Dann müssen wir den öffentlichen Nahverkehr stärken. Ist dann noch etwas übrig, können wir neue Straßen bauen. In dieser Reihenfolge. Aber mit dieser Haltung stehen wir ziemlich allein. CDU und SPD sind ganz weit weg von einer nachhaltigen Verkehrspolitik.

Schleswig-Holstein will die Windenergie ausbauen. Zugleich gibt es viele Bürger, die diese Anlagen nicht vor ihrer Haustür haben wollen. Wie kann man die Akzeptanz verbessern?

Habeck:

Bei den Windrädern habe ich den Eindruck, dass der Widerstand längst einem Konsens gewichen ist. Viele sagen: "Das ist unsere Energie". Auch weil viele Bürger an Windparks beteiligt sind. Beim Netzausbau befürchte ich, dass Sie Recht haben. Wir können Atomstrom bis 2020 problemlos durch erneuerbare Energien ersetzen. Wir werden hier in Schleswig-Holstein mehr Energie produzieren, als wir verbrauchen können. Aber wir müssen den Überschuss aus dem Land heraustransportieren, und dafür brauchen wir Stromleitungen. Diese Stromtrassen müssen wir sogar noch beschleunigt bauen. Da wird man gut darüber nachdenken müssen, wie das gemeinsam mit der Bevölkerung hinzubekommen ist.

Was wäre Ihr Lieblingsamt in einer Landesregierung mit grüner Beteiligung?

Habeck:

Ich glaube, dass die Formulierung "Lieblingsamt" verkennt, in welcher Situation das Land ist. Wer sagt, er freue sich auf einen angenehmen Job und wolle deshalb regieren, der hat nicht begriffen, was die Stunde geschlagen hat. Regieren in Schleswig-Holstein ist kein Zuckerschlecken.

Also müssen wir fragen, welches Amt das am wenigsten furchtbarste wäre...

Habeck

(lacht): Das wäre auch falsch, weil es unterstellt, dass man es sich als Politiker möglichst bequem machen will.

Ist es ein Wunsch der Grünen, Ministerien zu übernehmen, die nicht zu den klassischen Ressorts der Grünen gehören?

Habeck:

Nein. Die Umweltpolitik hat bei uns immer noch höchsten Stellenwert. Aber der Zuspruch, den die Grünen zuletzt erfahren haben, zeigt auch, dass die Menschen mittlerweile von uns Antworten annehmen, die über das klassische Themengebiet der Grünen hinausgehen. Aber die unwichtigste Frage wird in den kommenden Monaten sein: Welche Ministerien bekommen wir? Die wichtigste Frage lautet: Wie schafft es das Land, politisch in die Spur zu finden? Wenn wir wollen, dass Schleswig-Holstein eine prosperierende Zukunft hat, müssen wir Veränderungen wagen.