Bank-Geheimnis: Bei den Matthiesens dreht sich alles ums Theater. Der jüngste Spross wechselt jetzt ins Profilager

Halstenbek. Lennart Matthiesen, 21, war drei Jahre alt, als er seinen ersten Mord mit ansehen musste. Zum Glück nur als Theaterszene. Allerdings wiederholte sich das Spektakel vor seinen Augen wieder und wieder, bis es authentisch wirkte. Denn Lennart ist genau wie seine zwei Jahre ältere Schwester Laura ein waschechtes Amateurtheaterkind und mehr oder weniger am Bühnenrand groß geworden. "Wir haben uns damals eigentlich nichts dabei gedacht", erinnert sich Mutter Andrea, 53. Erst als der Kleine im heimischen Wohnzimmer die Mutter bei der Hand nahm, mit ihr mehrfach um den Tisch ging, die Dialoge nachspielte und sie schließlich in die Toilette sperrte - dort verschwanden auch in der Krimikomödie die Frauenleichen - habe sie sich gefragt, ob das vielleicht pädagogisch nicht so wertvoll war, den Nachwuchs mit der gelegentlich etwas abgründigen Theaterwelt zu konfrontieren.

Es scheint dem Dreikäsehoch nicht geschadet zu haben, im Gegenteil: Der Spross der theaterbegeisterten Familie, der ebenso wie seine große Schwester schon in der Theater-AG des Wolfgang-Borchert-Gymnasiums glänzte, wechselt jetzt ins Profilager. Gleich die erste Theaterschule, bei der er sich nach dem Zivildienst bewarb, die Freie Schauspielschule Hamburg, nahm ihn auf.

Die Eltern Andrea und Michael Matthiesen, 57, haben nie versucht, ihm die Schauspielerei auszureden. Die Urgesteine des Theaters Schenefeld freuen sich, dass er sein Talent zum Beruf machen will. Vater Michael wäre als junger Mann selbst gern Profi geworden. Doch die Eltern verweigerten ihm damals die nötige Unterstützung.

Lennarts erste Talentansätze zeigten sich, kaum dass der Knirps aus den Windeln war. "Wenn wir am Wochenende den ganzen Tag probten, saß er mit großen Augen am Bühnenrand und blickte gebannt auf die Schauspieler", erzählt sein Vater. "Er quengelte nicht, er war nicht genervt, er sah einfach nur zu." Ähnlich geprägt war auch Laura. "Meine ersten Bühnenerinnerungen habe ich an das Weihnachtsmärchen 'Kalif Storch'", sagt sie. Da war sie drei. Selbst ihre Kindergarten-Freundinnen spannte sie früh für ihre Bühnenleidenschaft ein. "Als ich meinen fünften Geburtstag feierte, bekamen alle meine Freundinnen eine Rolle aus dem Weihnachtsmärchen 'Der Zauberwald' zugewiesen. Ich konnte sowieso fast den ganzen Text auswendig und habe ihn den Gästen vorgesagt. Wir haben fast das ganze Stück nachgespielt."

Überhaupt führte die familieneigene Leidenschaft für die Bühne immer wieder zu skurrilen Situationen. So erblickte eine neue Schulfreundin von Laura vor Jahren bei ihrem ersten Besuch im Hause Matthiesen die beiden Eltern, die mit todernsten Gesichtern und unangezündeten Zigaretten in den Händen immer wieder zwei Wohnzimmerstühle umkreisten und dabei höchst entschieden "Aber nein!" "Aber ja!" wiederholten. Sie probten - wie so oft - für ein Stück, in diesem Fall den "Neurosenkavalier". Laura zwinkert spitzbübisch: "Ein bisschen unangenehm war mir das schon." Aber die Freundin fand es eher lustig.

Dutzende von Rollen stecken in den Köpfen der vier Matthiesens. Kein Wunder, dass sich das auf den Alltag auswirkt. "Es geht hier ziemlich theatralisch zu", bekennt Lennart. Und Laura ergänzt: "Wir streiten uns oft in Zitaten. Wir haben einen richtigen Fundus an geflügelten Worten."

Das Theater zieht sich wie ein roter Faden durch den Alltag des Mimen-Quartetts. Beim Märchen von der "Prinzessin auf der Erbse" lernten die Eltern sich 1979 kennen. Sie als Prinzessin, er - nicht als Prinz - sondern als Koch. Statt in die USA auszuwandern, wie der junge Verlagsrepräsentant es geplant hatte, verliebte er sich in seine heutige Frau. Am 5. September steht die Silberne Hochzeit an.

Das Rampenlicht halte sogar Krankheiten in Schach: "Egal, ob Kopfweh, Fieber oder Magenschmerzen: Wenn man spielt, ist alles wie weggeblasen." Wobei zu ergänzen ist, dass die Matthiesens ohnehin ein zäher Menschanschlag sind, wenn's um den Auftritt geht. Da werden Operationen verschoben, mit 39 Grad Fieber gespielt, Schmerzen ignoriert. Der Vater auf dem Regiestuhl, die erwachsene Tochter auf der Bühne: Geht das immer gut? Belasten Theaterkonflikte das Familienleben? Laura lächelt: "Bei 'Arielle' spielte ich die böse Prinzessin. Mein Vater ließ mich bei einer Probe 30 Mal denselben Satz sagen. Da wurde ich schon einigermaßen aggressiv. Aber man nimmt das nicht mit nach Hause."

Momentan wird jeden zweiten Tag im heimischen Wohnzimmer am das Drei-Mann-Stück "Kunst" gefeilt, das am 10. September Premiere im Bürger- und Kultursaal hat. Regie: Michael Matthiesen. Sohn Lennart spielt eine der drei Männerrollen, als Abschiedsvorstellung. "Wenigstens einmal möchte ich hier in einem Erwachsenenstück mitspielen. Ich war immer nur bei den Weihnachtsmärchen dabei.

"Es ist fürs Privatleben schon sehr erleichternd, dass wir alle das Theater mögen", bekennt Andrea Matthiesen. Der Zeitaufwand ist hoch: Bücher lesen, Rollen lernen, Requisiten besorgen, Kulissen gestalten - und natürlich proben. Der Spaß am Verkleiden, am kreativen Spiel mache den Stress immer wieder wett: "Man kann sein, wie man sonst nicht ist und wie es auch nicht akzeptiert würde", sagt Lennart. Seine Mutter liebt es, böse Rollen zu spielen, wie zuletzt in der Farce "Acht Frauen". Vater Michael schätzt das Theater als Kraftquelle: "Man kann noch so ausgelaugt aus dem Büro kommen, das Theater belebt wahnsinnig."