Eine Glosse von Frank Adrian

Wer hätte das jemals vermutet? Eine Studie der York University in Toronto hat es an den Tag gebracht: Griesgrämigkeit, Nörgelei und schlechte Laune von Seniorinnen und Senioren seien ein Zeichen außergewöhnlich hoher Intelligenz.

Habe ich einige ältere Mitbürger bisher so verkannt? Bei den meisten meckernden und nörgelnden Damen und ewig unzufriedenen, brummelnden Herren konnte ich von keiner außergewöhnlich hohen Intelligenz beeindruckt sein. Womöglich liegt es an mir, weil ich nicht über die Kompetenz verfüge, Intelligenz unter rein wissenschaftlichen Kriterien zu beurteilen. Aber ich könnte durchaus verstehen, dass geistig vitale Alte gelegentlich ihre altersmilde Nachsichtigkeit verlieren. Vielleicht haben die Forscher mit den alten Probanden so gesprochen, wie auch bei uns manchmal mit alten Leuten gesprochen wird: In diesem singenden, nachsichtigen Tonfall, in dem manche Mütter, Tanten und Omas mit Kleinkindern reden.

Im Gegensatz zu den kanadischen Forschern machen wir doch die Erfahrung: Heitere, humorvolle und auch begeisterungsfähige Seniorinnen und Senioren sind oft noch in Bereichen aktiv, in denen außergewöhnlich hohe Intelligenz sicherlich nicht stört.

Das reicht von Sprach- und Naturwissenschaften bis zur bildenden Kunst, vom Schreiben bis zum Musizieren und so weiter. Lassen wir zum Beispiel Hermann Hesse zu Wort kommen. Mit 69 Jahren bekam er den Literatur-Nobelpreis und war mit über 80 Jahren noch aktiv. Selbstironisch schrieb er einst: "Und je steifer unsere Gebeine werden, desto dringender bedürfen wir einer elastischen Denkart." Hört sich das nach schlechter Laune an?