Unser Dorf: Die Regionalausgabe Pinneberg auf Sommertour mit dem Abendblatt-Smart in dem Ort, der 400 Jahre zu Hamburg gehörte

Bilsen. Es ist ein Dorf mit Charakter, mit Geschichte und Tradition. Bilsen ist die älteste kleine Gemeinde im Kreis Pinneberg. Die 734 Einwohner mögen Beständigkeit. Seit 37 Jahren wählen sie Rainer Ute Harms (CDU) zu ihrem Bürgermeister. Auch Vorgänger Jochen Clasen war 19 Jahre im Amt. Dabei gehöre zur Demokratie eigentlich der Wechsel, schmunzelt Harms. Doch der SPD-Ortsverein hat sich aufgelöst. Der 70-Jährige lebt in jenem Haus, in dem er geboren wurde und das seine Eltern 1930 kauften, als sie in das Dorf bei Quickborn zogen. Das Straßenschild vor der Haustür ist eindeutig: "Bürgermeister" steht da. Was auch sonst?

1971 war hier die Schaltzentrale beider Direktkandidaten für den Wahlkreis Pinneberg-Nord: Unten im Haus wohnte Bruder Berend, der für die SPD antrat. Ein Stockwerk darüber organisierte Rainer Ute seinen Landtagswahlkampf. "Als Christdemokrat war ich dem Himmel näher", sagt Harms, der Bürgermeister. Fünf Mal gewann er den Wahlkreis direkt gegen seinen Bruder, der später Landrat wurde. Politisch waren sie sich oft nicht grün. "Aber Bruder ist wichtiger als Politik."

Als der SPD-Spitzenkandidat Jochen Steffen damals Bilsen besuchte, hängte Rainer Ute Harms überall im Haus CDU-Plakate auf. Den "roten Jochen" störte das nicht. "Das war ein großer Mann", sagt Harms anerkennend. Er schätzt auch politische Gegner, glaubte immer an die deutsche Einheit.

1988 schied Harms nach der Barschel-Affäre aus dem Landtag aus, weil er auf einen abgesicherten Listenplatz verzichtete und die CDU fast alle Wahlkreise verlor. Er hätte als einziger bis zuletzt Uwe Barschel die Treue gehalten, versichert Harms. "Er war korrekt und hat nichts von den Machenschaften der 'Pfeife Pfeiffer' gewusst."

Seitdem kümmert sich Harms fast rund um die Uhr um die Geschicke seines Dorfes. "Das ist eine ganz tolle Gemeinde", ist er von seinen Mitbürgern begeistert. Der Ort floriert. Es gibt wenig Schulden. "Wir sind eine wohlhabende Gemeinde. Uns geht es gut." Keine Straße, die abends nicht beleuchtet ist. Kein Haus, das keinen Wasser- und Kanalisationsanschluss hat. Das war bei seinem Amtsantritt 1974 noch anders. Die Kollegen im Gemeinderat pflegte er mit einem Trick zu überzeugen, erzählt Harms. "Ich bat Hinrich Kordes, später zu kommen." Dann musste der eine Lokalrunde schmeißen, und Harms gab noch einen aus. Schnapsbeseelt wurde dann der umstrittene Anschluss ans Abwassernetz beschlossen. "Wir haben das mit Alkohol durchgesetzt."

Feiern konnten die Menschen in Bilsen schon immer. Die Gemeinde, 1174 erstmals erwähnt, gehörte mehr als 400 Jahre zu Hamburg, war eine Exklave im dänischen Holstein. 600 Mark kassierte Henning von Alversloh für das üppig bewaldete Dorf im Jahre 1385 vom Harvestehuder Nonnenkloster, das der Lebensfreude nicht abgeneigt war. Rauschende Feste wurden hier gefeiert, heißt es in den Geschichtsbüchern. Auch der Hamburger Senat kam damals gern zur "Sommerfrische" hierher. Bis 1803 wurde so im kleinen Bilsen über Wohl und Wehe der großen Hansestadt entschieden. Dann fiel das Dorf an Dänemark. Hamburg tauschte es mit Alsterdorf. Bilsen unterstand nun dem Drosten Callenberg in Pinneberg. "Über unsere Köpfe hinweg, trotz heftigen Widerstandes", zitiert Harms aus den Annalen. Jetzt musste sich das Dorf seines reichen Holzbestandes gegen die Bauern aus Hemdingen und Quickborn erwehren, die einen Großteil des Bilsener Wohldes beanspruchten. So war es 1976 eine seiner ersten Amtshandlungen, mit dem Quickborner Bürgermeister Gert Willner einen Waldfrieden zu schließen. Der Bilsener Wohld solle erhalten bleiben, vereinbarten die beiden Bürgermeister auf der Bilsener Brücke.

"Jagdhaus Waldfrieden" heißt das Hotel-Restaurant, das Siegmund Baierle seit fast 30 Jahren direkt an der B4 betreibt. Für Feinschmecker eine der ersten Adressen im Kreis Pinneberg. 40 Mitarbeiter beschäftigt der Gastronom heute, hat den Betrieb stark erweitert. Im Sommer beköstigt er immer die 50 Kinder des Ortes vom Zeltlager. "Wann kommen die Kinder?", fragte Baierle im zweiten Jahr Bürgermeister Harms. "Auf den Anruf habe ich gewartet", antwortete der und seitdem gilt diese Regelung als abgemacht.

Auch mit dem Tierarzt Dirk Fister, den er vor zehn Jahre nach Bilsen holte, wo der heute die größte Pferdeklinik Norddeutschlands betreibt, war sich der Bürgermeister schnell handelseinig. Als Arzt braucht der keine Gewerbesteuer zu zahlen. "Aber sie müssen Bilsener werden", forderte Harms und Fister hielt sich daran. So bekommt die Gemeinde von dem 16-Mitarbeiter-Betrieb, der jede Woche rund 50 Pferde medizinisch versorgt, immerhin einen Anteil von der Einkommensteuer.

Wirtschaftliche Aushängeschilder sind auch die Firmen Mohr und Kordes. "Bananen-Willi" Mohr mit seinen 150 Mitarbeitern ist heute der größte Markt für Ware aus Versicherungsschäden im Land. Und Günter und Christian Kordes züchten auf 37 Hektar Land und in drei Hektar großen Gewächshäusern Jungpflanzen für Baumschulen. Mit 1000 verschiedenen Sorten ist Kordes heute Marktführer. Europaweit. "Wenn es der Wirtschaft gut geht, geht es der Gemeinde gut", erklärt Bürgermeister Harms sein Credo. Gerade hat die Gemeinde acht Hektar für ein neues Gewerbegebiet ausgewiesen. Der Zusammenhalt im Dorf begeistert auch Alexandra und Marco Jürgens, die Weihnachten mit Baby Jesper hierher gezogen sind. "Mein Mann ist in Quickborn aufgewachsen. Er sagte vorher: 'Hinter Quickborn ist die Welt zu Ende'. Aber jetzt wissen wir. Es gibt noch ein Leben nördlich von Quickborn."