Norbert G. soll laut Anklage auf eine zwingend erforderliche Notoperation verzichtet und so den Tod seines 88-jährigen Patienten verursacht haben

Pinneberg. Als Chirurg kann Norbert G. auf eine langjährige Berufserfahrung verweisen. Der 59-Jährige, der als Oberarzt für Allgemeinchirurgie am Regio-Klinikum Pinneberg tätig ist, verantwortet täglich schwierige Operationen. Einer seiner Fälle brachte ihn gestern auf die Anklagebank des Amtsgerichts Pinneberg. Fahrlässige Tötung wirft Staatsanwalt Peter Müller-Rakow dem Mediziner vor. Der soll im Mai 2009 eine erforderliche Notoperation bei einem Patienten unterlassen und damit dessen Tod verursacht haben.

Doch war das Ableben von Peter L. vermeidbar? Der Mann, der in der Nacht zum 27. Mai 2009 nach einer Gallenblasen-Operation auf der Intensivstation des Regio-Klinikums starb, war vor dem Eingriff schwer krank. Peter L. litt an einer Blutarmut, an einem Mangel an rotem Blutfarbstoff (Hämoglobin). Und er war nicht mehr der Jüngste, sein Geburtsjahr ist 1921.

Norbert G. hatte den 88-jährigen Senior am Nachmittag des 26. Mai operiert. Anschließend wurde der Patient auf der Intensivstation versorgt. Um 1 Uhr am 27. Mai war der Hämoglobin-Wert (HB-Wert) bei Peter L. laut Anklage so niedrig, dass Norbert G. als verantwortlicher Arzt verpflichtet gewesen wäre, eine Notoperation einzuleiten. Dieser erneute Eingriff unterblieb jedoch. Um 3.09 Uhr trat bei Peter L. der Tod ein.

Ob eine weitere Operation das Leben des Seniors gerettet hätte, ist umstritten. Die Staatsanwaltschaft hat zwei medizinische Sachverständige mit der Aufklärung des Falls beauftragt. Sie kommen offenbar zu der Einschätzung, dass Norbert G. ein Versäumnis vorzuwerfen ist. Verteidiger Daniel Arp hat dagegen eine eigene Expertise in Auftrag gegeben, die dem Vernehmen nach zu einem anderen Ergebnis kommt. Alle drei Gutachter werden voraussichtlich am zweiten Prozesstag, der für den Nachmittag des 22. März vorgesehen ist, zu Wort kommen.

Der gestrige Auftakt der Verhandlung gehörte dem Angeklagten. Norbert G. schilderte, dass es bei der Operation von Peter L. zu "keinen Schwierigkeiten" gekommen war. Anschließend habe er mehrere weitere Eingriffe übernommen und dann um kurz vor 3 Uhr die Klinik verlassen. "Der Zustand von Herrn L. ist mir als stabil beschrieben worden. Ich war sehr überrascht, als ich am nächsten Tag von seinem Tod erfahren habe", sagt Norbert G.

Auch auf Nachfrage von Richter Jörn Harder bleibt der Mediziner bei seiner Darstellung: Über den kritischen Zustand des Patienten sei er zu keinem Zeitpunkt in Kenntnis gesetzt worden. "Wenn mir einer gesagt hätte, der HB-Wert ist sehr niedrig oder der Patient blutet sehr stark aus der Dränage, dann wäre ich da hingegangen." Norbert G. ist sogar der Meinung, sich noch vor Verlassen der Klinik über den Zustand des Patienten erkundigt zu haben."Es war letztlich ein ungewöhnlicher Todesfall. Ich habe den Patienten operiert und mich selbst gefragt, wo mein Fehler war. Es muss ja irgendwo ein Fehler passiert sein, aber ich kann ihn nicht benennen."

Wo letztlich der Fehler lag, das weiß Dr. Martin H. auch nicht. Allerdings ist sich der Oberarzt für Anästhesie, der gestern als Zeuge aussagte, in einem Punkt ganz sicher: Er will den Angeklagten vor dessen Verlassen der Klinik auf den kritischen Zustand des Patienten Peter L. aufmerksam gemacht haben.

"Der Patient gefiel mir nicht", erinnert sich der 46-jährige Arzt, der für die Intensivstation zuständig war. Dort sei Peter L. nach der Gallenblasen-Operation in einem sehr schlechten Allgemeinzustand aufgenommen worden. Er habe mehrere Blutkonserven und starke Medikamente erhalten, dann sei sein Zustand "leidlich stabil" gewesen. Bereits gegen 20.30 Uhr habe es bei dem 88-Jährigen einen starken Blutdruckabfall gegeben, sodass erneut Blutkonserven notwendig wurden.

Die Entscheidung, ob eine erneute Operation sinnvoll gewesen wäre, hätte Norbert G. als zuständiger Operateur treffen müssen. Martin H.: "Ich konnte ihn dazu nicht zwingen. Es wäre geboten gewesen, sich das zu überlegen." Daher habe er den Kollegen informiert, von dem sei jedoch "keine klare Ansage" gekommen. Ob die Operation den Tod des Patienten verhindert hätte? Zeuge H. ist sich da nicht so sicher.

An diesem Abend waren noch zwei weitere Mediziner im Dienst, die mehrfach mit Norbert G. und auch seinem Patienten Peter L. zu tun hatten. Sie sollen ebenfalls am zweiten Verhandlungstag als Zeugen gehört werden. Norbert G. ist trotz des Gerichtsverfahrens weiterhin als Oberarzt für das Regio-Klinikum Pinneberg tätig. Das Unternehmen will das laufende Verfahren nicht kommentieren. Allerdings betonte Sprecher Sebastian Kimstädt: "Wir sehen auch nach dem ersten Verhandlungstag keinen Anlass, Herrn G. von seinen Aufgaben zu entbinden."