Experte warnt vor dramatischer Verschlechterung der Versorgungslage für demente Menschen im Kreis Pinneberg

Kreis Pinneberg. Dr. Matthias Böke nimmt kein Blatt vor den Mund. "Die Versorgungslage für demente Menschen im Kreis Pinneberg ist schlecht und sie wird sich noch dramatisch verschlechtern", sagte der Vorsitzende der regionalen Alzheimer-Gesellschaft im Nachgang zum Welt-Alzheimer-Tag. Schon jetzt liege die Anzahl der an Demenz leidenden Menschen im Kreisgebiet zwischen 3500 und 4000 Personen. "Bis 2050 wird sich diese Zahl mehr als verdoppeln", so Böke, der als Facharzt für Neurologie, für Psychiatrie und Psychotherapie am Regio-Klinikum Elmshorn tätig ist.

In einem "Nacht-Cafe" könnten schlaflose Menschen betreut werden

Seine Erfahrung: Trotz besten Willens des Pflegepersonals und guter Konzepte können die Patienten sowohl ambulant als auch stationär in den Pflegeheimen nicht so gut betreut werden, wie sie eigentlich müssten. Böke schilderte die Problematik, die sich daraus ergibt, dass Menschen mit Demenz einfach anders leben als vorher. "Schon ihre Bedürfnisse wie essen, trinken und schlafen sind verändert - sie treten beispielsweise zu anderen Zeiten auf und lassen sich oft nicht gut in Abläufe einbinden. Man sollte die Menschen essen lassen, sobald sie Hunger haben und nicht genau um 8 Uhr, weil darauf gerade die Frühstückszeit im Pflegeheim festgelegt wurde." In Hinblick auf die Schlafzeiten ist das ähnlich - Erkrankte haben oft abends und nachts Wachphasen. "In Konzepten von Pflegeheimen werden deshalb Einrichtungen wie ein 'Nacht-Cafe' aufgeführt, in dem die schlaflosen Menschen dann betreut werden sollen - leider scheitert so etwas dann häufig aus Kostengründen", sagte der Gerontopsychiater.

Denn solche Einrichtungen erforderten in den Heimen einen viel höheren Personalaufwand, und das vor dem Hintergrund, dass das Pflegepersonal ohnehin schon am Rande der Kräfte arbeite. Böke weiß: "Der Krankenstand in den Altenpflegeberufen ist wegen der psychischen Belastung immens höher als der Durchschnitt." Die häufige Konsequenz: "Die Demenz-Kranken bekommen abends eine Pille zum Einschlafen - das allerdings verstärkt ihr Leiden noch weiter." Ein Teufelskreis.

Rund 60 Prozent aller an Demenz Erkrankten wohnten jedoch noch in häuslicher Umgebung. "Auch hier gibt es einen immensen Nachholbedarf, was die ambulante Betreuung angeht", so Böke. Die Hauptlast bei der Betreuung trügen die Töchter und Schwiegertöchter der Erkrankten.

Für alle Angehörigen ist es bitter zu sehen, wie die Demenz bei ihren Lieben mit Vergesslichkeit und Depression beginnt, sich über dauernde Unruhe und Wahnvorstellungen steigert, bis zum Schluss der Pflegefall eingetreten ist.

Heike Urban, die Koordinatorin der Alzheimer-Gesellschaft und ihr Team entwickeln deshalb Angebote, um die Angehörigen zu unterstützen und dabei die betroffenen Menschen zu stärken. "Für die Angehörigen ist es schon eine Entlastung, wenn sie mal in Ruhe einkaufen gehen können, ohne sich Sorgen um die erkrankte Person machen zu müssen."

Deshalb organisiert der Verein beispielsweise regelmäßige Treffen für Erkrankte in Elmshorn und Wedel, zu denen Patienten aus dem gesamten Kreis gebracht werden können.

Altenpflegerin Ursula Gerke und Katja Schoof betreuen ehrenamtlich solche Menschen. In den Vereinsräumen in Elmshorn spielen und basteln, singen und sprechen, lachen und bewegen sich die Helferinnen mit den gehandicapten Besucherinnen und Besuchern.

"Wir gehen gemeinsam spazieren und sprechen über die Erlebnisse der letzten Zeit. Wir trainieren so das Gedächtnis", sagte Ursula Gerke. Die Treffen stehen meist unter einem bestimmten Motto, an dem sich dann die Gespräche entlang ziehen - und beispielsweise auch Lieder passend zum Thema gesungen und Plakate gebastelt werden.

Hildegard Kuwe ist eine der älteren Damen, die den Treff besucht und die sich ihrer Lage bewusst ist: "Wenn das Gedächtnis nachlässt, ist es für einen selbst manchmal nicht so schlimm wie für die Kinder zuhause. Das fühlt man irgendwie. Hier geht es mir sehr gut und ich freue mich, Leute zu finden, mit denen ich etwas unternehmen und auch zusammen lachen kann."