Amtsgericht Pinneberg verurteilt Dr. Rudolf B. aus Quickborn wegen fahrlässiger Körperverletzung. Mediziner hat laut Gericht Sorgfaltspflicht verletzt

Quickborn/Pinneberg. Wegen fahrlässiger Körperverletzung ist der Quickborner Arzt Rudolf B. jetzt vom Amtsgericht Pinneberg zu einer Geldstrafe in Höhe von 5100 Euro verurteilt worden. Das Gericht befand den 61 Jahre alten Mediziner für schuldig, am 14. Juni 2008 als notdiensthabender Arzt die 85 Jahre alte Lieselotte G.-J. nicht von ihren starken Schmerzen befreit zu haben. Statt die Patientin, die an Durchfall, Erbrechen und Bauchkrämpfen litt und auf seine Visite wartete, zu Hause aufzusuchen und zu behandeln, rief B. sie nur an. Die alte Dame starb am Morgen danach an einem Darmverschluss.

Eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten und eine Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung, wie es die Staatsanwaltschaft forderte, kamen für Strafrichterin Maren Thaysen nicht in Betracht. Es sei dem Angeklagten nicht nachzuweisen, dass die Frau "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" die dringend notwendige Operation überlebt hätte, begründete die Richterin ihr Urteil. Dies aber verlange das geltende Recht.

Rechtsprechung: 90 Prozent-Chance ist noch keine Sicherheit

Der Sachverständige Dr. Franz-Georg Rolfes kam in seinem Gutachten zu dem Ergebnis, dass die Quickbornerin "mit großer Wahrscheinlichkeit, zu 90 Prozent" nicht gestorben wäre, wenn Dr. B. sie aufgesucht und ins Krankenhaus eingewiesen hätte. "Wir können also nicht sicher sagen, ob sie nicht zu jenen zehn von 100 Patientinnen gehört hätte, die trotz einer rechtzeitig eingeleiteten OP nicht überlebt hätte."

So war es eine verhängnisvolle Entscheidung, die Dr. B. an jenem 14. Juni vor zwei Jahren traf. Der Quickborner Mediziner hatte einen 24-stündigen Notdienst im Raum Quickborn-Norderstedt, für den er 1200 Euro kassierte. Die Einsatzzentrale meldete ihm um 10 Uhr den Fall von Lieselotte G.-J.. Ihre Nachbarin hatte den kassenärztlichen Notdienst verständigt, die Frau würde seit drei Tagen an Übelkeit, Erbrechen und schwarzem Durchfall leiden. Allein dies hätte angesichts des hohen Alters der Patientin ein Alarmsignal für den diensthabenden Arzt sein müssen, sagte der Gutachter vor Gericht.

Doch Dr. B. rief die schwer kranke Patientin erst mittags zurück und riet ihr, viel zu trinken, ein Magen-Darm-Mittel einzunehmen und eine Banane zu essen. Dass die Frau gerade erst eine schwere Bauchoperation hinter sich hatte und ein stark Blut verdünnendes Medikament bekam, erfuhr der Arzt nicht. Er fragte weder nach der Medikation noch nach der Krankengeschichte der Patientin. Dies aber wäre "zwingend geboten" gewesen, urteilte Strafrichterin Thaysen. "Es ist keine Bringschuld der Patienten. Der Arzt muss eine sorgfältige Anamnese durchführen, erst recht wenn er den Besuchstermin absagen will." Wie der Sachverständige plausibel dargelegt habe, würde bei Erbrechen und Durchfall bei älteren Patienten immer die Gefahr einer Austrocknung bestehen. Der Arzt habe wissen müssen, "dass auch scheinbar einfache Erkrankungen bei älteren Menschen ernsthafte Folgen haben können." Insofern habe Dr. B. eindeutig seine ärztliche Sorgfaltspflicht verletzt.

Verteidiger plädierte auf Freispruch: Arzt ahnte die Dramatik nicht

Verteidiger Axel Holtz hatte dagegen auf Freispruch plädiert. So traurig dieser Todesfall auch sei, seinem Mandanten sei nichts vorzuwerfen. Er habe das von der Einsatzzentrale in einem "Nebensatz" geäußerte Symptom vom "schwarzen Stuhl" der Patientin schlicht nicht wahrgenommen. Hätte er es gehört, hätte es ihn zu sofortigem Handeln veranlasst. Aber im Telefongespräch mit der Patientin schienen sich ihre Beschwerden gebessert zu haben. "Er ist nicht auf die Dramatik hingewiesen worden." Zudem hätten es die Nachbarin und ihre Tochter versäumt, darauf zu drängen, den angeblich erwarteten Besuch des Arztes erneut bei der Notdienst-Zentrale anzumahnen.

Selbst wenn der Arzt sie untersucht und ins Krankenhaus eingewiesen hätte, hätte sich die resolute alte Dame womöglich geweigert, weil sie nicht schon wieder ins Krankenhaus wollte. "Im Zweifel für den Angeklagten", forderte der Verteidiger. "Der Tod wäre auch bei pflichtgemäßem Handeln eingetreten."