Unterversorgung der Fachmediziner droht im Kreisgebiet. Wedeler Arzt empfiehlt, bei reinen Sehtests die Optiker stärker einzubinden

Kreis Pinneberg. Bei den Augenärzten im Kreis Pinneberg stehen große Umbrüche bevor. Viele der Fachmediziner haben das Ruhestandsalter zumindest mittelfristig in Aussicht, finden jedoch nur äußerst schwer Nachwuchs für die Praxen. Konsequenz könnte eine Verlagerung von Aufgaben, wie zum Beispiel die Brillenversorgung, zu den Optikern sein.

Dr. Alfred Pauer beschreibt das Dilemma in Wedel und seinen rund 32 000 Einwohnern. "Für die Stadt sind drei Kassensitze verfügbar und auch angemessen", sagte er. Als vor einigen Monaten einer seiner beiden Kollegen einen Nachfolger für dessen Praxis suchte, blieb das erfolglos. Niemand wollte sich als Selbstständiger niederlassen. Als letzten Ausweg übernahm Pauer den Kassensitz und die rund 2200 Patienten umfassende Kartei zusätzlich. "Ich hatte gehofft, einen Kollegen oder eine Kollegin in Vollzeit einstellen zu können", sagte Pauer. Er war optimistisch, schließlich hatte er eine eingespielte Praxis mit nettem Team und guter Infrastruktur zu bieten. "Ich habe eine sehr gute Kollegin gefunden - allerdings kann sie wegen ihrer Familie nicht Vollzeit, sondern nur 30 Stunden arbeiten." Das bedeutet: Es steht weniger Arztzeit für mehr Patienten zur Verfügung. Das wiederum hat Konsequenzen für die Terminvergabe: Wer nicht als dringender Notfall kommt, erhält Termine, die einige Monate entfernt liegen.

In Sachen Brille viel stärker auf die Optiker setzen

Die Situation droht sich weiter zuzuspitzen. Nach Pauers Angaben wird auch sein zweiter noch selbstständig arbeitender Kollege in Wedel aus Altersgründen in absehbarer Zeit kürzer treten und seine Praxis abgeben wollen.

Dr. Pauer berichtete, dass von den 16 praktizierenden Augenärzten im Kreisgebiet bereits drei älter als 60, fünf älter als 55 und drei älter als 50 Jahre seien. Nach seinen Erkenntnissen ist bei den in Kliniken arbeitenden Augenärzten, aus denen sich der Nachwuchs für die niedergelassenen rekrutiert, der Anteil von Frauen sehr hoch, die aus familiären Gründen weniger häufig voll arbeiten wollen. Sie schlössen sich deshalb eher einer bestehenden Praxis an als eigenes Risiko zu übernehmen.

Pauer: "Das ist der wesentliche Grund, weshalb wir im Kreis keine Überversorgung bei Augenärzten haben, sondern auf Sicht eher eine Unterversorgung droht."

Als Konsequenz plädiert Dr. Pauer dafür, Patienten zu ermutigen, Augenärzte wirklich nur bei Gesundheitsproblemen aufzusuchen und in Sachen Brille viel stärker auf die Optiker zu setzen. "Mit einem Sehtest die richtige Brillenstärke herausfinden - das können Optiker genauso gut wie Ärzte." Auch könne man darauf vertrauen, dass die Optiker ihre Kunden bei medizinischen Auffälligkeiten selbstverständlich an einen Arzt weiter verweisen. Die Arbeitsteilung, die nach Pauers Angaben in anderen Ländern viel stärker geläufig ist, werde umso wichtiger, da mit einer älter werdenden Bevölkerung auch die Zahl der altersbedingten Erkrankungen wie Grüner Star, Netzhauterkrankungen und Diabetes steige.

Systemwechsel zu einer Diagnose bezogenen Abrechnung hin

Dieser Umbruch wird laut Pauer jedoch eine Problematik im deutschen Gesundheitswesen noch deutlicher ans Licht bringen. Sie hat mit dem Abrechnungsprinzip zu tun. Derzeit vergüten die Kassen die Ärzte zunächst pro Anzahl der Patienten, die die Praxis pro Quartal besuchen. Leichte Fälle, die wenig Aufwand bringen, werden in der Medizinbranche etwas flapsig als "Verdünner" bezeichnet, die im Rahmen der Mischkalkulation den hohen Aufwand für schwere Fälle zumindest zum Teil kompensieren. Wer einen Sehtest für eine neue Brille braucht, fällt in die "Verdünner"-Kategorie. Wandern die "Verdünner" zu den Optikern ab, bleiben die schwierigen Fälle, die vergleichsweise schlecht bezahlt werden. Pauer plädiert deshalb für einen Systemwechsel hin zu einer Diagnose bezogenen Abrechnung. Er sagt: "Schon jetzt decken die Honorare der gesetzlichen Kassen noch nicht einmal die Personalkosten. Ohne Privat- und Zusatzleistungen sowie Direktverträge mit den Krankenkassen sähe es trübe aus."