Bürgerinitiative Haseldorfer Marsch kämpft gegen die geplanten Kohlekraftwerke bei Stade. Jetzt soll der Druck auf die Politiker erhöht werden.

Haseldorf/Stade. Der Widerstand in der Marsch gegen die geplanten Kohlekraftwerke bei Stade wächst. Die Bürgerinitiative (BI) Haseldorfer Marsch, seit immerhin vier Jahren im Dialog mit den Investoren auf der anderen Elbseite, hat ihre Mitwirkung an den vierteljährlichen Forumsveranstaltungen des Investors E.on beendet. Die Aktivisten um Peter Kelting und Niels-Peter Rühl wollen jetzt politisch Druck machen und auch einen Rechtsanwalt einschalten. Sie sehen sich als Vertreter der Interessen von neun Gemeinden und der Stadt Uetersen und damit etwa 35 000 Menschen, die in Sorge um Luft und Wasser in der Marsch sind. Das Motto von BI-Sprecher Rühl: "Wir wollen euren Dreck nicht haben."

Konkret sind zwei Kohlekraftwerke geplant, und zwar auf Höhe von Stade, südöstlich und nordwestlich des Flusses Schwinge. Investoren sind E.on und der US-Chemiekonzern Dow, der enorme Mengen an Energie für sein Werk in Stade braucht. Die Hauptwindrichtung ist Südwest. Doch im Nordosten der geplanten Werke liegt die Haseldorfer Marsch mit dem einzigartigen Naturschutzgebiet Haseldorfer Binnenelbe und Elbvorland.

Kelting erläuterte, warum die BI ihren bislang moderaten Kurs gegenüber E.on verlassen hat. Ende Januar habe der Vorstand des Konzerns der BI "in kühler Arroganz" mitgeteilt, dass es mit dem Forum einen Dialog über Alternativen zur Kohlekraft nie gegeben habe und auch in Zukunft nicht geben werde. "Im Hinblick auf unsere Präsentationen und die zahlreichen Diskussionen über moderne Gasdampfkraftkraftwerke bei fast jeder Sitzung ist diese Feststellung ein Affront", sagt Kelting.

Gasdampfkraftwerke - so lautet das Zauberwort der BI. In allen Schlussfolgerungen aus Gutachten des Bundesumweltamtes, des Sachverständigenrates für Umweltfragen und der Bundesnetzagentur werde als Brückentechnologie nach dem Atomausstieg ausschließlich von modernen Gasdampfkraftwerken gesprochen, sagt der Diplom-Ingenieur. "Der Einsatz neuer Kohlekraftwerke wird kategorisch ausgeschlossen." Fast alle europäischen Nachbarn setzten bereits auf Gas und Dampfkraft und hätten ihre Infrastruktur darauf ausgelegt. "Nur Deutschland hinkt hinterher." Daher sei es völlig unverständlich, warum die Landesregierungen in Schleswig-Holstein und Niedersachsen Kohlekraftwerke in Stade weiterhin genehmigen wollen. "Sie unterstützen mit dieser Haltung eine Technologie des vorigen Jahrhunderts, die keinerlei technisches Entwicklungspotenzial besitzt, und versäumen die Chancen einer interessanten wirtschaftlichen Zukunft." Und diese Zukunft basiere auf Gas und Dampfkraft mit Erdgas und Flüssigerdgas (LNG) im Besonderen. Sowohl in Schleswig-Holstein als auch in Niedersachsen seien die Voraussetzungen für eine moderne LNG-Infrastruktur in Salzstockspeichern, Hafenanlagen und Gasleitungen und damit für Stromversorgung aus Gasdampfkraftwerken ideal.

+++ Verzicht auf drittes Werk +++

Die innovativen, nicht unumstrittenen Fördermethoden aus sogenanntem Schiefergas hätten die Weltvorräte enorm erhöht auf eine Reichweite von jetzt 400 Jahren, speziell in den USA. Diese werden ihre Überschüsse zukünftig als LNG exportieren, sagt Kelting, und die Welt mit Gas regelrecht "fluten". Folge werde bereits in den nächsten drei bis fünf Jahren ein "dramatischer Preisverfall" bei Gas sein. Kelting: "Darauf wette ich sechs Flaschen besten Rotweins oder Champagner."

Wer sich allerdings über viele Jahre vertraglich an russische Gaslieferanten gebunden habe, bekomme dann natürlich ein Problem. Bei Dow hingegen setzen Kelting und seine Mitstreiter auf den Pragmatismus der Amerikaner, die ohnehin schon ein modernes Gaskraftwerk in Stade gebaut hätten.

Wichtig sei es, jetzt politisch nachzulegen. Um politischen Druck aufzubauen, wollen die Aktivisten aus der Marsch nun die Parteien im schleswig-holsteinischen Landtagswahlkampf in die Pflicht nehmen, um gemeinsam gegen Kohlekraftwerke zu kämpfen. Die Landesraumordnungsgesetze in Schleswig-Holstein und Niedersachsen müssten schnellstens mit den Vorgaben der Energiewende abgestimmt werden, damit eine in sich geschlossene Energiepolitik entstehen könne. "Gas muss dabei Priorität bekommen."

Denn genau auf das niedersächsische Landesraumordnungsgesetz beruft sich E.on, wie aus einem dem Abendblatt vorliegenden Schreiben von E.on-Sprecher Guido Knott an Rühl vom 27. Januar 2012 hervorgeht. Darin heißt es: Der Standort Stade "ist für Kohle aus den unterschiedlichsten Gründen prädestiniert". Zwar weise die BI darauf hin, dass das Naturschutzgebiet von einem Kohlekraftwerke massiv geschädigt werden würde. Doch "der von uns zu entwickelnde Standort ist im Landesraumordnungsgesetz als Standort für Großkraftwerke ausgewiesen, und unsere Planungen befinden sich im Einklang damit".

Von Einklang mit den Menschen in der Haseldorfer Marsch kann allerdings keine Rede sein. Neuendeichs Bürgermeisterin Bärbel Thiemann (CDU) vermisst die "Lautstärke" des Protestes. "Wir müssen noch mehr informieren, auch über gesundheitliche Beeinträchtigungen." Die Obstbauern jedenfalls seien sensibilisiert, sagt Rolf Herrmann (CDU). Sie hätten auf das Problem der Kraftwerksansiedlung beim Bauernverband, in der Landwirtschaftskammer und im Gespräch mit Landwirtschaftsministerin Juliane Rumpf hingewiesen. Die Obstbauern legten ihr Augenmerk vor allem auf unbelastetes Grundwasser, so Herrmann, und könnten sich Messpunkte an den Sperrwerken und neben der Haseldorfer Marsch auch in der Seestermüher Marsch vorstellen.