Haselauer Schüler ist Landessieger bei “Jugend musiziert“. Ein Hausbesuch bei einem der größten Talente im Kreis

Haselau. Auf dem Tisch steht selbst gepresster Apfelsaft der Sorte Holsteiner Cox. Im verwilderten Garten blühen zwischen den knorrigen alten Obstbäumen sonnengelbe Narzissen. Lackschwarz schimmert der mächtige Klavierflügel im geräumigen Musikzimmer. An der Wand gegenüber stapeln sich Bücher und Noten bis unter die Decke. Und durch die bodentiefen Fenster geht der Blick weit über die nebligen Marschen hinter dem alten Deich zwischen Haselau und Hohenhorst.

In dieser ländlich-behüteten Atmosphäre wächst ein Junge heran, der zu den größten musikalischen Talenten im Kreis Pinneberg zählt. Anders als das Gros der Kinder, die an den Instrumentenklassikern wie Klavier, Geige oder Cello als kleine Wundermusiker Furore machen, gehört Tilman Clasens Herz allerdings einem relativen Außenseiter der europäischen Instrumentenfamilie. Der Elfjährige ist ein Meister auf der Blockflöte. Jetzt setzte sich Tilman Clasen, 11, im Landeswettbewerb "Jugend musiziert" in Lübeck gegen die Konkurrenz aus ganz Schleswig-Holstein durch. Als einziger Junge unter der Crème der norddeutschen Blockflötistinnen und als einziger Sieger aus dem Kreis Pinneberg in seiner Altersklasse.

In der Haselauer Vitrine reihen sich Exemplare aus kostbarem Rosenholz und Palisander, Pflaumen- und Ebenholz aneinander. Von der winzigen Sopranino bis zur langen Tenorflöte reicht die Palette. Zwar spielt Tilman auch Klavier, aber seine Leidenschaft gehört dem hölzernen Blasinstrument, das erst im 18. Jahrhundert durch die Querflöte aus dem Kreis der Orchesterstimmen verdrängt wurde. Und das keinesfalls ein reines Anfänger-Vehikel ist, das sich maximal zum Abspielen einfacher Kinderlieder eignet. "Ich habe einfach Lust auf Blockflöte", sagt Tilman, der die sechste Klasse des Uetersener Ludwig-Meyn-Gymnasiums besucht. In einer Klasse, in der alle anderen Jungs im Fußballverein kicken, ist der Alltag für Tilman nicht immer einfach. Aber er hat Freunde gefunden, die ihn und seine besondere Begabung akzeptieren. Schließlich hat er auch ganz durchschnittliche Hobbys. Er hört gern Popmusik auf N-Joy-Radio. In Wedel tanzt er HipHop, und er ist ein leidenschaftlicher Fan der "Star-Wars"-Reihe. Inklusive der Filmmusik.

Gerade sind druckfrische Noten mit der Post gekommen, das 2006 erschienene Stück "Please tell me more" des niederländischen Komponisten Chiel Meijering. Beim Landeswettbewerb hatte eine Konkurrentin ein Stück des Holländers gespielt. "Erstmal reinhören", sagt Tilman, glättet das Papier auf dem Notenständer und flötet los. Sein Fazit: "Klasse Stück."

Tilmans Begabung zeigte sich früh. Mit drei Jahren las er Noten - und Buchstaben. Vor seinem zweiten Geburtstag blieb er stumm. Auch Musik lehnte er ab. "Wenn ich Klavier spielte, musste ich die Tür schließen", sagt seine Mutter. Doch danach legte er gleich in ganzen Sätzen los und sang auf Anhieb richtig. Zu den prägenden Erinnerungen seiner Mutter gehört ein Erlebnis auf einem Parkplatz. "Tilman war 15 Monate alt, als er über den Platz lief und alle Buchstaben A auf den Nummernschildern raussuchte."

Mit vier Jahren komponierte er kleine Melodien und begann er seinen Flötenunterricht bei Ute Dehmel, seit März unterweist ihn die Spezialistin für Alte Musik auch auf der Barockoboe. "In 20 Minuten hatte er als kleiner Junge alle Noten gelernt", sagt seine Mutter Anne. Die Berufspianistin war seine erste Lehrerin. "Er begriff unglaublich schnell und fragte nur gelegentlich nach einer Note." Mehr als 30 Minuten pro Tag übt Tilman selten. Momentan stehen Haydn und Bartók auf dem Notenständer. Seine Konzerte spielt er in aller Regel auswendig. "Ich weiß auch nicht, wie ich mir das merke", sagt Tilman. "Ich spiele es einfach und dann habe ich es in den Fingern."

Tilmans Mutter fördert die Begabung ihres Sohns. Doch ihr ist wichtig, ihn seine Kindheit genießen zu lassen. "Man muss ein Kind reifen lassen. So eine besondere Begabung verführt dazu, immer weiter zu powern."