Im Abendblatt-Interview spricht Fraktionschef Ralf Stegner über die Ziele einer SPD-geführten Landesregierung

Am 6. Mai finden die vorgezogenen Landtagswahlen in Schleswig-Holstein statt. Die Sozialdemokraten im Landtag setzen klar auf Rot-Grün für die nächsten fünf Jahre. Fraktionschef Ralf Stegner erläutert im Gespräch mit den Abendblatt-Redakteuren Claudia Eicke-Diekmann, Manfred Augener und Frank Knittermeier die Ziele einer SPD-geführten Landesregierung.

Hamburger Abendblatt:

Herr Stegner, wir zitieren Sie: "Statt längeres gemeinsames Lernen zu fördern, schikaniert Schwarz-Gelb in Schleswig-Holstein Gemeinschaftsschulen und will teuren Y-Quatsch und Dreigliedrigkeit." Will die SPD als Regierungspartei die Schullandschaft erneut verändern?

Ralf Stegner:

Wir hatten in der großen Koalition den Schulfrieden. Wir hatten gesagt, lasst uns die Bildungslandschaft so verändern, dass wir möglichst viele Kinder zu höheren Bildungsabschlüssen führen können. Den Kompromiss, den wir geschlossen hatten, hat die SPD in der Erwartung getragen, dass die Eltern sich entscheiden werden. Nur ganz wenige haben sich für die Regionalschulen entschieden. Die Regionalschule ist heute das, was früher die Hauptschule war. Sie hat praktisch keine Zukunft. Die schwarz-gelbe Regierung hat den Kompromiss aufgekündigt und den Rückwärtsgang eingeschaltet.

Was heißt das?

Stegner:

Y bedeutet, dass Schüler jetzt teilweise nicht nur Schwierigkeiten haben, wenn sie das Land wechseln, sondern wenn sie den Kreis wechseln. Wenn sie Pech haben, die Eltern ziehen um, kommen sie von einem G 9-Gymnasium in eine Gegend, wo sie nur G 8 haben, dann sind sie richtig gekniffen. Der Schildbürgerstreich, den wir bundesweit haben, wird im Land fortgesetzt. Außerdem ist es irre teuer, weil es Extra-Ressourcen kostet. Dann ist Schwarz-Gelb hingegangen und hat den Gemeinschaftsschulen Differenzierungsstunden weggenommen. Das hat dazu geführt, dass die ihre Aufgaben kaum noch erfüllen können.

Was will die SPD?

Stegner:

Wir wollen zur Vereinbarung zurückkehren, flächendeckend in Schleswig-Holstein G 8 an Gymnasien und G 9 an Gemeinschaftsschulen und beruflichen Schulen einzuführen. Die Schüler, die jetzt in G 9-Bildungsgängen an den Gymnasien lernen, können das selbstverständlich zu Ende bringen. Aber neue Genehmigungen gibt es nicht. Die Regionalschulen können sich weiter entwickeln zu Gemeinschaftsschulen.

Wann wird es die letzte Regionalschule geben?

Stegner:

Vermutlich innerhalb der nächsten Legislaturperiode.

Das Gastschulabkommen ist ein heißes Thema in den Hamburger Randkreisen Pinneberg, Segeberg und Stormarn. Wie will sich die SPD im Falle eines Wahlsieges mit Hamburg einigen?

Stegner:

Unser Ziel ist die Schulfreiheit in der gesamten Metropolregion Wir haben eine Enquete-Kommission eingerichtet mit dem Ziel, viel enger an Hamburg ran zu rücken. Gut ist es immer, wenn es beiden Seiten nützt. Für mich heißt das, es gibt Dinge, die Hamburger von uns wollen. Es gibt Dinge, die wir von ihnen wollen. Und man kann wechselseitig voneinander profitieren. Wir haben momentan absurde Verhältnisse. Es gibt Eltern, die schicken ihre behinderten Kinder im Taxi 35 Kilometer täglich in die Schule, statt 1500 Meter über die Stadtgrenze, weil das mit der Abgrenzung so kompliziert ist.

Welche Möglichkeiten gibt es für die Umlandregionen, noch enger mit Hamburg zusammenzuarbeiten?

Stegner:

Wir wollen, dass die Grenzen in alltäglichen Fragen nicht mehr spürbar sind. Hamburg braucht uns bei der Elbvertiefung und bei vielen anderen Fragestellungen. Wir brauchen Hamburg. Wir wissen, dass der Hamburger Hafen unser größter Arbeitgeber ist, so wie wir wissen, dass Fuhlsbüttel unser Flughafen ist. Das ist unser Ziel. Schauen Sie das Frauenhaus in Wedel an. So was muss man vernünftig regeln. Wenn Hamburger Frauen dahingehen, weil das für sie außerhalb Hamburgs ein Zufluchtsort ist, dann kann ich nicht kommen und das bürokratisch händeln.

Schleswig-Holstein ist hoch verschuldet. 27 Milliarden Euro sind es zurzeit. Die Prognose für 2020 lautet 31 Milliarden Euro. Die SPD will laut Regierungsprogramm in Bildung investieren, weniger Lehrerstellen als zurzeit geplant streichen, die Kommunen entlasten. Wo soll das Geld herkommen?

Stegner:

Wir wollen exakt das machen, was wir mit der gleichen CDU verabredet haben im Jahr 2009, die jetzt etwas anderes will. Die Schuldenbremse stand zu der Zeit schon in der Verfassung. Wir sagen, dass man nicht wie ein Buchhalter nur den Haushalt des gegenwärtigen Jahres in den Blick nehmen darf, sondern weiter denken muss bis zu dem Jahr 2020, wo die Schuldenbremse eingehalten werden soll. Wenn ich kontinuierlich dafür sorge, dass ich in Bildung und Kinderbetreuung investiere, sinken die Kosten für Jugendhilfe, dann sinken die Sozialkosten. Warum? Weil ein Kind das ausgebildet wird, eine Lehrstelle findet, einen Beruf ausübt, Steuern und Beiträge bezahlt, statt Sozialtransfers zu beziehen.

Vor drei Jahren hatten Sie drei beitragsfreie Kita-Jahre im Programm. Jetzt wollen Sie noch ein beitragsfreies Kita-Jahr schaffen. Ist das realistisch? Schenefeld hat jetzt als letzte Stadt im Kreis das einzige beitragsfrei Kita-Jahr gestrichen, weil kein Geld dafür da ist.

Stegner:

Wir wollen drei beitragsfreie Kita-Jahre, wir schaffen in dieser Legislaturperiode nur eins. Ich muss die Schenefelder ausdrücklich loben. Sie haben eine ganze Weile versucht, gute Politik für ihre Stadt zu machen, was dieses Thema angeht. Natürlich ist es mit Alleingängen des Landes nicht getan. Ich weiß, dass es irre schwer ist, das alles zu finanzieren. Aber es ist unsere erste Priorität. Wir wünschen uns einen Kraftakt von Bund, Ländern und Kommunen. Wir wollen das Grundgesetz ändern, um das Zusammenarbeitsverbot wieder aufzuheben. Ich würde mir wünschen, dass man auch auf die sozialen Folgekosten mangelnder Bildung schaut, die nicht zuletzt die Kommunen zu tragen haben.

Was heißt das?

Stegner:

Es geht um Millionen Euro Sozialtransfers, die dann während des Jugend- und Erwachsenenalters bezahlt werden müssen - also während der Erwerbslebenszeit. Und später noch einmal, weil es keine ausreichende Rente gibt. Das heißt, die ganzen Kosten begleiten sie über Jahrzehnte. Deshalb ist das über Bildung zu machen zwar teuer, aber jede Alternative noch teurer.

Thema erneuerbare Energien: Im Kreis Pinneberg haben wir den Windpark Uetersen. Die Untere Naturschutzbehörde des Kreises hat die Erweiterung abgelehnt und dem Land davon abgeraten. Wie entscheidet in solchen Fällen ein SPD-regiertes Schleswig-Holstein?

Stegner:

Ich habe wahrgenommen, dass im Kreistag die schwarz-gelbe Mehrheit verhindert hat, dass auf dem Gebiet durch entsprechendes Repowering mehr Energie produziert wird. Das ist fatal. Energiewende funktioniert nur, wenn wir erneuerbare Energie konsequent fördern. In Uetersen haben wir sogar den Idealfall, dass sie die erzeugte Energie vor Ort nutzen und damit die Bevölkerung autonom versorgen können. Wir reden da ja gar nicht über Leitungsbau. Das ist ein viel schwierigeres Thema, weil wir unsere Energie nach Nordrhein-Westfalen oder in den Süden bringen mit großen Leitungen. Wir müssen über Speicherkapazitäten reden und Wasserstofftechnologien. Das ist die Zukunft. Aber wenn wir nicht einmal das hinkriegen, was vor Ort möglich ist? Uetersen hat sogar eigene Stadtwerke. Eine SPD-geführte Regierung wird das unterstützten.

Wie wollen Sie den Herausforderungen des zunehmenden Pendlerverkehrs in den Hamburger Randkreisen begegnen?

Stegner:

Über die S 4 haben nach Stormarn wir im Landtag einvernehmlich abgestimmt. In Hamburg übrigens auch. Da gibt es keine Diskussionen. Wir haben uns jetzt erst wieder in der Ahrensburger Runde, ein Treffen der norddeutschen SPD-Landesverbände und von Vertretern der Gewerkschaften, zum Thema Verkehr zusammengesetzt. Im Grunde müssen wir uns auf eine Prioritätenliste der Norddeutschen verständigen. Wenn das gelingt, erhöht das die Realisierungschancen. Alles, was Verlagerung von Straßenverkehr auf Schiene oder Wasser angeht, hat für uns so hohe Priorität, dass wir das generell in den Vordergrund schieben. Beim Wasser liegt es auf der Hand: Der Nordostseekanal, der Hamburger Hafen, Elbvertiefung sind die Jobmotoren für das Land.

Welche Position hat die SPD zu A 20 und Elbquerung. Herr de Jager hat erklärt, dass das Projekt verwirklicht wird.

Stegner:

Wenn man den Schwerpunkt auf Schiene und Wasserstraßen legt, bedeutet das, dass wir an Straßenprojekten ganz viel nicht realisieren können. Das bedeutet: Konzentration auf wenige überragende Punkte beim Straßenausbau. Dabei ist die A 20 für uns das wichtigste Projekt. Wir müssen uns die Zustimmung der Niedersachsen und der Hamburger erhalten. Allerdings hat noch keiner eine Idee, wie die Elbquerung finanziert wird. Die müde Absichtserklärung des amtierenden Wirtschaftsministers habe ich vernommen - bewirken wird sie nichts. Da muss man anders in Berlin auftreten.

Die Prognose für die Piratenpartei liegen fünf bis sieben Prozent, sie ziehen womöglich in den Landtag ein. Wir wollen Sie mit den Piraten umgehen?

Stegner:

Die Piraten sagen, wenn ich das richtig lese: "Wir haben zwar keine Antworten, aber die gleichen Fragen wie die Wähler". Das kann man sympathisch finden. Für politische Verantwortung reicht das nicht aus.

Man sagt Ihnen nach, Sie hätten Ambitionen, Ihre politische Arbeit in Berlin fortzusetzen. Zum Beispiel als Generalsekretär. Wie lange bleiben Sie noch in Schleswig-Holstein?

Stegner:

Ich fühle mich sehr wohl in Schleswig-Holstein. Ich tue jetzt alles dafür, dass wir hier die Wahlen gewinnen. Mein Auge schaut nicht woanders hin. Die darauf hoffen, dass ich weggehe, werde ich wohl enttäuschen. Die das bedauern würden, können sich freuen.

Sie wollen die Region mehr in den Fokus der Landesregierung rücken. Wie wollen sie das schaffen?

Stegner:

Schauen Sie sich unseren Wahlkampf an. Wir machen hier irre viel mit Hamburger Regierungsvertretern. Hier kann man auch Etliches Lernen. Schauen Sie die Stadtwerke Norderstedt an. Das ist ein Dienstleister modernster Art mit Rundumversorgung ihrer Kunden. Es kommen viele Innovationen aus der Region. Wir haben hier erfolgreiche Bürgermeisterinnen, und wir haben hier einen unserer stärksten Kreisverbände. Das spielt bei uns eine große Rolle.

Ein Thema, das in dieser Region immer wieder auf den Tisch kommt, ist der Flughafen Kaltenkirchen. Ist das ein Thema für die SPD?

Stegner:

Mausetot ist das einzige Wort, das mir dazu einfällt.

Würde eine SPD-Regierung die AKN-Aktien verkaufen? Es ist im Gespräch, dass die Anteile an die Hamburger Hochbahn verkauft werden.

Stegner:

Ich sehe das kritisch. Wir halten von diesem ganzen Verscherbeln nichts. Man lernt natürlich auch aus eigenen Fehlern. Ich war selbst zwölf Jahre in Regierungsämtern. Wenn Sie lange regieren, dann machen Sie auch Fehler. Zu den Fehlern gehörte auch, dass wir Dinge privatisiert haben aus Haushaltsnot. Das hätten wir nicht tun sollen. Und dass man sich von Dingen trennt, von denen man sich nicht trennen sollte. Sich von dem, was man hat - gerade mit Blick auf öffentliche Infrastruktur - zu trennen, das muss man sich zwei, drei oder fünfmal überlegen. Wenn es weg ist, ist es weg.

Wen werden Sie im Parlament in der nächsten Legislaturperiode vermissen?

Stegner:

Ich werde vor allem die vermissen, die aus meiner eigenen Fraktion nicht mehr kandidieren. Ich glaube, es werden deutlich weniger Konservative dort sitzen. Manche vermisst man vielleicht. Den Möchtegern-Finanzminister Kubicki in der außerparlamentarischen Opposition auf seiner Luxusyacht zu beobachten, ist sicherlich eine besondere Freude. Und die Linkspartei hat ihre parlamentarische Berechtigung auch verspielt.

Was ist mit Herrn Carstensen?

Stegner:

Der hat gerade seinen 65. Geburtstag gefeiert. Ich wünsche ihm, dass er sein Privatleben in vollen Zügen genießen kann. Ich war nie der Auffassung, dass er den richtigen Beruf hat. Aber das ist eine andere Geschichte. Ich glaube, er ist der politisch schwächste Regierungschef, den dieses Land seit Jahrzehnten hatte.